4. Juli 1998. Niederlande gegen Argentinien, WM-Viertelfinale. Es läuft die 89. Minute.
Der Rembrandt des Weltfußballs
Nach frühen Toren durch Patrick Kluivert und Claudio López steht es 1:1, als Frank de Boer aus der eigenen Hälfte einen langen Ball in Richtung des argentinischen Strafraums schlägt.
„Frank de Boer spielt den Ball in Richtung Dennis Bergkamp“, sagt der niederländische TV-Reporter Jack van Gelder im Original-Kommentar noch ganz nüchtern - ohne zu wissen, dass in den folgenden Sekunden etwas Magisches passieren soll.
Etwa 15 Meter halbrechts vor dem Tor senkt sich der Ball genau in den Lauf von Bergkamp, mit dem ausgestreckten rechten Bein stoppt ihn der niederländische Stürmer aus der Luft - drei Sekunden und zwei weitere Kontakte später hat der damals 30-Jährige seinen Bewacher Roberto Ayala abgeschüttelt und ein Meisterwerk vollendet: Mit dem rechten Außenrist schlenzt Bergkamp den Ball an Roa vorbei ins linke obere Toreck.
„Man spielt niemals das perfekte Spiel“, sagte Bergkamp später einmal: „Aber dieser Moment für sich, glaube ich, war perfekt.“ Das Fußballmagazin 11Freunde ordnete Bergkamps Geniestreich in die Kategorie der „Tore, die man niemals vergessen darf“ ein - und befand auch darüber hinaus: „Niemand schoss so schöne Tore wie Dennis Bergkamp.“ Die BBC stellte die Tore Bergkamps - der heute 55 Jahre alt wird - einst gar in eine Reihe mit den Kunstwerken seiner Landsleute Rembrandt, van Gogh, Vermeer.
Vom Elektriker-Sohn zum Fußball-Idol
Geboren in einem Amsterdamer Arbeitervorort als Sohn eines Elektrikers, trägt Bergkamp seinen Vornamen wegen der schottischen Manchester-United-Legende Denis Law, die sein Vater verehrte.
Mit 11 wurde Bergkamps Talent von den Ajax-Nachwuchsscouts entdeckt, mit 17 feierte er sein Profidebüt - unter Trainer Johan Cruyff, als Spieler, Trainer und taktischer Denker Verkörperung des niederländischen Fußballs.
Der variable Offensivkünstler Bergkamp spielte bei Ajax anfangs noch an der Seite von Marco van Basten und entwickelte sich nach dessen Abgang zum legitimen Erben: Er schwang sich zum Top-Torjäger auf, gewann mit Amsterdam unter den Coaches Cruyff, Leo Benhakker und Louis van Gaal (fast) alles, was es zu gewinnen gibt: Meistertitel, Pokal, Europapokal der Pokalsieger, UEFA-Cup, Torjäger-Trophäen, die Kür zum niederländischen Fußballer des Jahres.
Nach einem - trotz eines weiteren UEFA-Pokalsiegs 1994 - eher enttäuschenden Intermezzo bei Inter Mailand wurde Bergkamp noch bei einem weiteren Team zur Klubikone.
Bergkamp prägte bei Ajax und bei Arsenal eine Ära
Zwischen 1995 und 2006 schoss Bergkamp - an dem vorher auch der FC Bayern interessiert war - den FC Arsenal zu zahlreichen Titel und prägte die kurz nach seinem Wechsel begonnene Ära von Trainer Arséne Wenger: Unter der Regie des offensivfreudigen Coachs aus dem Elsass blühte Bergkamp neu auf und entwickelte sich nochmal weiter. Drei Meistertitel, drei Pokalsieger und die Aufnahme in die Hall of Fame der Premier League und des englischen Fußballs waren die Meilensteine.
Auch in der niederländischen Nationalmannschaft war Bergkamp zwischen der WM 1990 und der EM 2000 ein Dreh- und Angelpunkt, mit 37 Treffern war er zwischenzeitlich Rekordtorschütze, ehe Patrick Kluivert ihn übertraf.
Flugangst erschwerte die internationale Karriere
Bergkamps internationale Karriere war dabei stark beeinträchtigt von einem persönlichen Handicap: Er hatte schwere Flugangst, die ihn nach einem Zwischenfall auf dem Weg zur WM 1994 in den USA befiel und nicht mehr losließ: Der Transatlantik-Flug der Elftal verzögerte sich damals wegen einer vermeintlichen Bombendrohung - die sich als Witz eines niederländischen Journalisten herausstellte. Bergkamps Phobie wurde verstärkt durch die Erinnerung an den tragischen Tod mehrerer niederländischen Jugendspieler bei einem Flugzeugabsturz in Surinam einige Jahre vorher.
Nach 1994 betrat Bergkamp nie mehr einen Flieger, bestritt Auswärtsreisen nur noch per Auto oder Bus - und musste sie teilweise auslassen, wenn die Entfernung zu groß war.
Im Jahr 2006, nach Arsenals verlorenem Champions-League-Finale gegen den FC Barcelona - Bergkamp war damals nur noch Ersatz - endete die aktive Karriere von „DB10″. Seine Flugangst spielte eine Rolle bei der Entscheidung, keine Karriere als Cheftrainer anzustreben - er hatte aber Engagements als Assistenz- und Technikcoach bei Ajax.
Ansonsten konzentriert sich Bergkamp auf die Vermarktung seiner Legende und sein erfülltes Privatleben: Er ist vierfacher Familienvater und auch schon mehrfacher Opa - Tochter Estelle hat zwei Kinder von Eintracht Frankfurts Donny van de Beek.
2014 errichtete Arsenal Bergkamp ein Denkmal - es zeigt ihn bei der Ballannahme vor seinem Tor gegen Argentinien.
Bergkamps zweiter genialer Moment 1998
Was bei der Erinnerung an Bergkamps legendärstes Tor oft vergessen wird: Es war nicht sein einziger genialer Moment an diesem 4. Juli 1998. Das frühe 1:0 durch Kluivert bereitete Bergkamp mit einer unglaublichen Kopfballablage vor.
Beim ersten Betrachten wirkt sie relativ banal. Aber je häufiger man sich die Aktion anschaut, je mehr man auf die Details achtet - die Schärfe des Zuspiels von Ronald de Boer; Bergkamps perfekte Kopfballtechnik im Rückwärtsfallen; das Gespür für Kluiverts Laufweg, lange bevor dieser am entscheidenden Ort steht - desto magischer wird auch dieser Assist.
Torjäger, Vorbereiter, Spielmacher: Dennis Bergkamp war all das - und vor allem auch ein besessener Perfektionist, der immer weiter an seinen Fähigkeiten feilte. Speziell daher wurde er auch von seinen berühmten Weggefährten über alle Maßen verehrt. Thierry Henry antwortete einmal auf die Frage, was er an seinem langjährigen Arsenal-Kollegen Bergkamp besonders schätze: „Jede. Einzelne. Sache.“