Vorrunden-Aus bei den Weltmeisterschaften 2018 und 2022, Achtelfinal-Aus bei der EM 2021 – bei den letzten drei großen Turnieren ist Joshua Kimmich als Führungsspieler mit der deutschen Nationalmannschaft krachend gescheitert.
Kimmich: „Angst, in ein Loch zu fallen“
Mit Tränen in den Augen stand der 27 Jahre alte Mittelfeldspieler nach dem 4:2-Sieg gegen Costa Rica, das trotzdem nicht für den Einzug in die K.o.-Runde gereicht hat, in der Mixed Zone und stellte sich den Fragen der Reporter. „Es ist heute der schwierigste Tag meiner Karriere“, sagte der Bayern-Star schonungslos ehrlich. „Das ist für mich schon nicht einfach zu verkraften, weil ich persönlich mit dem Misserfolg in Verbindung gebracht werde.“ (NEWS: Alles Wichtige zur WM)
SPORT1 war dabei und gibt das ehrliche Gespräch wieder.
SPORT1: Haben Sie schon eine Erklärung parat?
Joshua Kimmich: „Am Ende ist es das Japan-Spiel, das uns das Weiterkommen gekostet hat und generell das Auslassen von sehr guten Torchancen.“
SPORT1: Sind Sie Sauer auf Spanien, das mit 1:2 gegen Japan verloren hat und trotzdem weiter ist? (DATEN: WM-Spielplan 2022)
Kimmich: „Natürlich hat man gehofft und damit gerechnet, dass Spanien das Spiel gewinnt. Ich glaube nicht, dass es uns zusteht, Spanien einen Vorwurf zu machen. Ich habe das Spiel nicht gesehen, aber wir hatten die Möglichkeit, Spanien und Japan zu schlagen. Wir hatten die Möglichkeit, zur Pause heute 4:0 zu führen und Spanien unter Druck zu setzen. Es geht nicht darum, die Schuld bei den Spaniern zu suchen.“
Kimmich über schwierige Vorbereitung
SPORT1: Sie hatten als Team den Anspruch, hier in Katar Weltmeister zu werden?
Kimmich: „Was heißt den Anspruch, Weltmeister zu werden?! Ich habe von Anfang an gesagt: Ich schaue nur auf das erste Spiel. Ich wusste, wie wichtig dort ein Sieg sein wird. Wir vergeigen das erste Spiel und setzen uns dadurch komplett unter Druck. Mir war aber auch bewusst, dass ein Gefühl entstehen kann, wenn wir durch die Vorrunde kommen. Ich fand, es war in der Vorbereitung schwierig, einen Rhythmus und ein Gefühl des Eingespieltseins zu entwickeln. Es war auch so, dass wir oft nicht alle Spieler zur Verfügung hatten. Deswegen war meine Hoffnung, dass wir während des Turniers zusammenwachsen können. Das ist uns nicht gelungen nach dem ersten Spiel. Im zweiten Spiel haben wir gut verteidigt und wenig zugelassen. Aber wenn ich sehe, was wir heute an Torchancen liegen lassen, dann ist es nicht nur Pech, sondern auch sehr viel Unvermögen. Dazu bekommen wir sehr einfach Gegentore. Ein Gegner muss nicht viel investieren, um gegen uns billig Gegentore zu machen.“ (DATEN: Gruppen und Tabellen der WM)
SPORT1: Wie sehr spielen die Nebengeräusche bei diesem Turnier, wie Binden-Zoff, politische Themen etc., eine Rolle für das Aus?
Kimmich: „Das sind wir fast schon gewohnt von der letzten WM, da gab es auch schon Nebengeräusche. Bei dieser WM war es wieder so. Prinzipiell ist es wichtig, dass wir unsere Stimme nutzen, aber in erster Linie sind wir Fußballer und müssen uns aufs Sportliche konzentrieren.“
SPORT1: Wie hart ist für Sie persönlich dieses erneute Ausscheiden?
Kimmich: „Es ist heute der schwierigste Tag meiner Karriere. Wenn man zurückschaut: 2018 vergeigt, letztes Jahr die Euro in den Sand gesetzt. Ich bin 2016 dazugekommen, davor war Deutschland immer im Halbfinale. Dann kommt man dazu und scheitert zweimal in der Vorrunde bzw. letztes Jahr im Achtelfinale. Das ist für mich schon nicht einfach zu verkraften, weil ich persönlich mit dem Misserfolg in Verbindung gebracht werde. Das ist natürlich nichts, wofür man stehen möchte. Klar habe ich den Anspruch und Ehrgeiz, gerade auch in der Rolle die ich habe mit mehr Verantwortung, die Mannschaft weiterzubringen. Das ist nicht gelungen, wir fahren wieder nach Hause. Dementsprechend habe ich echt Angst, in ein Loch zu fallen.“
Kimmich über Rücktritt und Müller
SPORT1: Das sind bemerkenswert ehrliche Worte. Haben Sie Gedanken an einen Rücktritt aus der Nationalmannschaft?
Kimmich: „Null. Nein!“
SPORT1: Thomas Müller hat seinen Rücktritt angedeutet. Sind Sie überrascht davon?
Kimmich: „Ich habe nicht gehört, was er gesagt hat. Überrascht? Bin ich vielleicht schon. Wir haben in zwei Jahren eine Heim-EM. Thomas ist ein Spieler, der immer noch auf allerhöchstem Niveau unterwegs ist. Am Ende des Tages muss er das selbst entscheiden. Er hat immer höchste Ansprüche, er hat die WM schon gewonnen. Er wird ein ganz gutes Gefühl haben, ob es noch richtig ist, weiterzumachen oder nicht.“