Susanne Franke von der Schalker Fan-Initiative e. V. hat momentan eigentlich zwei Jobs. Ihren normalen Beruf und „Boycott Qatar 2022″. (NEWS: Alles Wichtige zur WM)
WM-Boykott? Es geht gerade erst los!
Die Mitglieder dieser Initiative sind kurz vor dem umstrittenen Turnier als Gesprächspartner*innen so gefragt wie nie zuvor – und werden auch nicht müde, ihre Sache zu erklären. Denn Missverständnisse sind längst Teil des Systems. (DATEN: Spielplan und Ergebnisse der WM)
- „Flutlicht an. Im Gespräch mit der Wortpiratin“, der Podcast auf SPORT1, in dem Journalistin und Autorin Mara Pfeiffer Menschen in den Mittelpunkt stellt, die im schnelllebigen und lauten Fußballgeschäft oft zu wenig im Rampenlicht stehen.
Franke wird beispielsweise richtig fuchsig, wenn ausgerechnet ihrer Gruppe Eurozentrismus vorgeworfen wird, weil sie nun die erste Weltmeisterschaft in der arabischen Welt kritisieren. Es sei vielmehr mit dem Turnier der Höhepunkt einer extrem kritischen Entwicklung erreicht, so dass sich der Protest jetzt formiert hat. (DATEN: Gruppen und Tabellen der WM)
„Nicht unsere WM“
Aber nicht umsonst heiße es: „Boycott Qatar 2022″, erklärt die leidenschaftliche Schalkerin. Es gehe um den Boykott eines Turniers, nicht den der Region – obgleich es natürlich in Katar selbst auch einiges lautstark zu kritisieren gebe.
Alle Themen, die Fans seit Jahren im Fußball kritisch begleiten, sieht Franke bei dieser WM wie unter einem Brennglas. Sie betont deshalb auch den Slogan, mit dem die Initiative längst arbeitet: „Nicht unsere WM“. Man habe die WM der Funktionär*innen und Verantwortlichen, die WM des Big Business, nicht verhindern können.
Aber man werde sie nun erst recht nutzen, um zu kritisieren, wohin der Fußball sich bewegt. Die Botschaft: „Ihr habt etwas entschieden, was wir als Fans nicht haben wollten. Es ist eure, aber es ist nicht unsere WM.“
Bringt ein Boykott etwas?
Die Schalkerin begleitet die Sache mit Verve und Leidenschaft, macht aber auch keinen Hehl aus ihrem Unwillen darüber, wie verkürzt das Thema des Boykotts bisweilen aufbereitet oder nach wie vor von Verantwortlichen im Fußball verhandelt wird.
„Einer solch gewachsenen Bewegung zu sagen: ‚Boykott bringt doch nichts!‘, das finde ich frech.“ Zudem sei das Thema, anders als manch ein Funktionär nun tröte, nicht erst kürzlich vom Himmel gefallen.
So nicht, FIFA, DFB und Co.!
Ein Boykott durch alternative Aktionen sei selbstverständlich nach wie vor möglich, betont Susanne Franke. Mit „Back2Bolzen“ gibt es sogar eine Plattform, auf der Fans sich mit ihrem Alternativprogramm registrieren können.
Ob man WM-Spiele dadurch ersetzt, gemeinsam alte Partien zu schauen, zu stricken oder ein Kickerturnier zu veranstalten, spiele dabei keine Rolle, sagt die Fußballliebhaberin. Es gehe letztlich um Sichtbarkeit und darum, auch während des Turniers immer wieder darauf zu verweisen: so nicht, FIFA, DFB & Co.
Fußball als Gemeinschaftserlebnis
Sich auf diese Weise im Fußball einzusetzen, das ist für Franke nun nichts Neues. Schon bald nach der Gründung der Schalker Fan-Initiative e. V. stößt sie Anfang der 1990er-Jahre zur Gruppe, von der Franke sagt, sie habe ihr den Fußball quasi zurückgegeben.
Zunächst erlebt sie den als Kind mit ihrem Papa, und zwar vor allem als Gemeinschaftserlebnis. Ihr „gar nicht mal so emotionaler Vater“ reagiert im Stadion auf eine Art, die sie ebenso fasziniert wie die Tatsache, dass Fans sich 90 Minuten in den Regen stellen, um im Zweifel eine Niederlage zu sehen. Nieselregen auf der Kinderbrille gehört zu ihren ersten Erinnerungen an Fußball.
Auszeichnung durch Julius-Hirsch-Preis
Als in den Kurven eine politische Unkultur Einzug hält, glaubt Franke diesen Raum für sich verloren. Die „Ini“, wie die Fan-Initiative auf Schalke auch liebevoll genannt wird, gibt ihr den Raum zurück – und zugleich die Möglichkeit, sich zu engagieren gegen Diskriminierungen im Stadion.
Dabei helfe auch, dass Schalke nach wie vor eingetragener Verein ist, sagt sie: Man sei zwar Kummer gewöhnt mit dem Club – und gar nicht mal nur sportlich –, habe aber die Chance, sich einzubringen und miteinander um Ergebnisse zu ringen.
Die „Ini“ wurde für ihr widerständiges Ringen vom DFB 2017 mit dem „Julius-Hirsch-Preis“ ausgezeichnet, quasi ein „Oscar fürs Lebenswerk“. Auf den sei man schon sehr stolz, sagt Franke, betont aber in Sachen Lebenswerk: Fertig sei man noch lange nicht! Nicht mit dem Ringen – und nicht mit dem Protest, der nach der WM gegen die Zustände im Fußball weitergehen soll.