Wie so oft reist Belgien mit großen Ambitionen zu einer Weltmeisterschaft.
Belgiens letzte Chance
Seit Jahren verfügen die „Roten Teufel“ über einen hervorragend besetzten Kader und gelten immer wieder als Geheimtipp, der so geheim nicht mehr ist.
Selbst der deutsche Bundestrainer Hansi Flick sprach dem Nachbarn vor dem Abflug nach Katar diesmal ein Sonderlob aus: „Ich finde, dass man sie zu den Favoriten zählen sollte. Die Mannschaft hat eine enorme Qualität“, sagte er. (NEWS: Alles Wichtige zur WM)
Auf einen Titelgewinn wartet die goldene Generation allerdings bis heute. Sowohl bei den beiden zurückliegenden Europameisterschaften 2016 und 2020 sowie bei der Weltmeisterschaft 2018 war jeweils im Viertelfinale Endstation. Bei der WM 2018 fuhr Belgien mit Platz drei immerhin den bisher größten Erfolg der Verbandsgeschichte ein.
Nun will das Team von Coach Roberto Martinez, das mit Stars der europäischen Top-Vereine gespickt ist, unbedingt noch einen draufsetzen. Denn es gibt einen kritischen Punkt: Größtenteils befinden sich die Schlüsselspieler schon in einem fortgeschrittenen Fußballer-Alter.
Auch Kapitän Eden Hazard hat die Zeichen der Zeit erkannt und hob die Bedeutung des bevorstehenden Wüstenturniers in Katar noch einmal hervor: „Wir wollen so weit wie möglich kommen, es könnte unsere letzte Chance sein.“
Courtois und De Bruyne tragen Belgiens Hoffnungen
Welchen Stellenwert die goldene Generation in Belgiens Fußball-Historie einnimmt, belegen die blanken Zahlen eindrucksvoll.
Die Liste der Rekordnationalspieler wird von Jan Vertonghen, Axel Witsel, Toby Alderweireld, Eden Hazard, Dries Mertens und Romelu Lukaku angeführt, die allesamt auch im aktuellen WM-Aufgebot zu finden sind. Darüber hinaus tummeln sich mit Thibaut Courtois und Kevin De Bruyne zwei weitere gegenwärtige Weltstars in den Top-Ten.
Inzwischen prägen Hazard und Co. den Stamm des Teams seit rund einem Jahrzehnt – und wollen nun im Emirat das lange Warten der eigenen Fans endlich beenden.
Während Hazard selbst bei Real Madrid aber seit geraumer Zeit in einer sportlichen Krise steckt, liegt die Hauptlast auf zwei anderen Schultern. Zum einen zählt der zum Welttorhüter ausgezeichnete Vereinskollege Courtois zu den ganz Großen seines Fachs.
Zum anderen sticht De Bruyne als einer der besten Mittelfeldspieler der Welt heraus. Die 31 Jahre alte Passmaschine von Manchester City wird einmal mehr den Takt in Belgiens Offensivspiel vorgeben.
Ungewissheit um Belgiens Top-Stürmer
Neben den unantastbaren Courtois und De Bruyne geben andere Mannschaftsteile aber durchaus Anlass zur Sorge.
Allen voran die Abwehrreihe ist weit von der absoluten Weltspitze entfernt. Im von Martinez bevorzugten 3-4-3-System haben Vertonghen (inzwischen bei RSC Anderlecht) und Alderweireld (Royal Antwerpen) ihre Plätze zwar sicher, doch über die Klasse früherer Zeiten verfügen die Routiniers nicht mehr.
Für die verbleibende Position in der Verteidigung kommen drei junge, unerfahrene Männer in Frage. Im internen Konkurrenzkampf liegt der 19-jährige Zeno Debast vom RSC Anderlecht, der erst zwei Länderspiele auf dem Buckel hat, wohl leicht gegenüber Wout Faes (Leicester City/24 Jahre/1 Länderspiel) und Arthur Theate (Stade Rennes/22 Jahre/3 Länderspiele) vorne.
Hinzu gesellt sich die Personalie Romelu Lukaku, der im Angriff normalerweise gesetzt ist. Doch: Der bullige Torjäger plagt sich seit Wochen mit hartnäckigen Oberschenkelproblemen herum und hat für seinen Klub Inter Mailand in der laufenden Saison erst fünf Spiele absolvieren können. (DATEN: Gruppen und Tabellen der WM)
„Wir wissen noch nicht genau, wann Lukaku zum Einsatz kommen kann, doch wir vertrauen unserem medizinischen Personal“, sagte Martinez und machte leichte Hoffnung: „Im Moment haben wir das Gefühl, dass er eine Chance auf ein oder zwei Gruppenspiele hat.“ So wird zum Turnierstart wahrscheinlich der Ex-Dortmunder Michy Batshuayi, in der laufenden Saison immerhin mit wettbewerbsübergreifend acht Treffern für Fenerbahce Istanbul, in der Spitze agieren.
Belgien hat Negativrekord inne
In welcher Form der steinige Weg zum anvisierten Titel trotzdem bewältigt werden kann, deutete die Mannschaft um De Bruyne in der WM-Qualifikation an.
Dort legten die „Roten Teufeln“ einen mühelosen Durchmarsch hin. Als Gruppenerster behauptete man sich ohne eine Niederlage (sechs Siege, zwei Unentschieden) vor Wales, Tschechien, Estland und Belarus.
Der Trend stimmt: Belgien qualifizierte sich seit der WM 2014 für alle fünf großen Turniere hintereinander, was eine Premiere in der Verbandsgeschichte darstellt. Vor dem Turnier in Brasilien hatte die Nation noch ganze fünf Endrunden in Folge verpasst.
Andererseits nimmt Belgien in Katar zum 20. Mal an einem großen Turnier teil, durfte aber noch nie einen Pokal in den Händen halten. Kein anderes europäisches Land war so oft bei einer Endrunde dabei, ohne ein einziges Mal den Titel gewonnen zu haben.
Bei der vielversprechendsten Möglichkeit wurden die Belgier ausgerechnet von Deutschland gestoppt. Im EM-Finale 1980 beendete ein Doppelpack von Horst Hrubesch beim deutschen 2:1-Sieg alle Träume.
Trifft Belgien auf Deutschland?
In Katar könnte es nun zu einem Wiedersehen zwischen Belgien und Deutschland kommen.
In der Gruppenphase steht zwar ein Duell mit Vize-Weltmeister aus Kroatien an, doch Marokko und Kanada sollten keine unüberwindbaren Hindernisse sein. (DATEN: Spielplan und Ergebnisse der WM)
Mehr Kopfzerbrechen dürfte Martinez und seinem Trainerteam ein mögliches Achtelfinale bereiten. Schon in der ersten K.o.-Runde drohen den „Roten Teufeln“ mit Deutschland oder Spanien echte Schwergewichte.
Aber, drei Euro ins Phrasenschwein: Auf dem Weg zum WM-Titel müssen ohnehin alle Gegner geschlagen werden – das wird auch Belgiens goldene Generation mittlerweile wissen. Vielleicht bietet sich ihr in Katar die letzte Chance, die jahrelangen Prophezeiungen zu erfüllen, auch wenn der letzte WM-Test gegen Ägypten unerwartet verloren ging.