Gianni Infantino blickte ernst, holte tief Luft - und dann legte der FIFA-Präsident vor versammelter Weltpresse einen denkwürdigen, exakt einstündigen Monolog hin. (NEWS: Alles Wichtige zur WM)
Infantino mit Skandal-PK
Scheinheilig, rassistisch, ungerecht: Infantino teilte mächtig aus und erhob bei seinem bizarren Auftritt schwere Vorwürfe gegen seine Kritiker und die gesamte westliche Welt.
„Diese einseitige Moralpredigt ist reine Heuchelei“, rief er den rund 400 Journalisten in Doha zu und griff einen Tag vor dem Eröffnungsspiel zwischen Katar und Ecuador am Sonntag mit einem Rundumschlag insbesondere die Medien an.
„Es fällt mir wirklich schwer, diese Kritik zu verstehen“, sagte Infantino, sie sei „zutiefst ungerecht“.
So seien Verurteilungen Katars aus der westlichen Welt vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte unangebracht. „Für das, was wir Europäer in den vergangenen 3000 Jahren getan haben, sollten wir uns für die nächsten 3000 Jahre entschuldigen, bevor wir anfangen, den Menschen moralische Lektionen zu erteilen“, sagte der umstrittene Chef des Fußball-Weltverbandes.
Nicht alles sei gut in Katar, räumte er ein, gleichzeitig beobachte er jedoch Fortschritte im Wüstenstaat und verwies unter anderem auf die Abschaffung des Kafala-Systems.
Katar biete Arbeitsmigranten, deren Bedingungen im Vorfeld des Turniers immer wieder scharf kritisiert wurden, „eine Perspektive“, sagte Infantino. „Wir in Europa schließen unsere Grenzen, und wir erlauben diesen Menschen nicht, legal in Europa zu arbeiten“, führte er weiter aus, „wir alle wissen, dass es illegale Arbeit in Europa gibt. Wenn ihr euch wirklich um das Schicksal dieser Menschen scheren würdet, bietet das, was Katar macht, Chancen. Legale Chancen. Gebt ihnen Arbeit, gebt ihnen Sicherheit.“
Erst am Freitag war DFB-Präsident Bernd Neuendorf deutlich auf Distanz zum FIFA-Boss gegangen. „Es gibt einige Dinge, die mich in etzter Zeit bei der FIFA irritiert und verstört haben“, sagte er.
Die Bauarbeiten für die WM-Stadien und die zusätzliche Infrastruktur sollen angeblich tausenden Arbeitsmigranten das Leben gekostet haben. Zudem wurden im Vorfeld der WM insbesondere die Menschenrechtssituation in Katar sowie fehlende Rechte für Frauen und die LGBTQ-Gemeinschaft angeprangert.
Infantino drückte zu Beginn seines Monologs seine Unterstützung für diese Gruppen aus. „Heute fühle ich mich katarisch, heute fühle ich mich arabisch, heute fühle ich mich afrikanisch, heute fühle ich mich schwul, heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Gastarbeiter“, sagte der gebürtige Schweizer.
Jeder und jede sei in Katar „herzlich willkommen: Wenn jemand was anderes sagt, ist das nicht die Haltung des Landes – und es ist nicht die Haltung der FIFA“, ergänzte er.
Der 52-Jährige legte bei seinem frei gehaltenen Vortrag häufig längere Pausen ein und erhob immer wieder die Stimme. Er wurde auch persönlich: Er sei der Sohn von Gastarbeitern und als Kind wegen seiner roten Haare gehänselt worden: „Ich weiß, was es bedeutet diskriminiert zu werden. Ich wurde gemobbt.“
In erster Linie jedoch war Infantino im Angriffsmodus. So verurteile er auch Medienberichte über angeblich „gekaufte“ Fanparaden im Vorfeld der WM-Endrunde als fremdenfeindlich.
„Das ist Rassismus, purer Rassismus – das muss aufhören. Jeder in der Welt hat das Recht, für wen auch immer zu sein“, sagte er und fragte: „Kann jemand, der wie ein Inder aussieht, nicht für Deutschland oder Spanien sein?“