In allen WM-Jahren seit 1930 in Uruguay kannten wir im September des jeweiligen WM-Jahres den Fußball-Weltmeister. Dieses Jahr ist alles anders. Ob es besser wird, wissen wir Weihnachten.
„Auftritt lässt wenig Gutes erahnen“
Wäre man der Entscheidung der 22 FIFA-Herren (Frauen traute man so ein Votum noch nicht zu) gefolgt, hätten wir das in jeder Hinsicht unglaubliche Turnier mit Spielen bei Temperaturen von bis zu 50 Grad bereits hinter uns. Dies ist bei den meisten bereits in Vergessenheit geraten, zeigt aber die Verantwortungslosigkeit dieser Entscheidung und den mangelnden Respekt nicht nur gegenüber den Spielern, sondern allen Betroffenen, die sich in diesen „Saunen“ Gedanken um ihre Gesundheit hätten machen müssen. Bei diesen Temperaturen ist (Hochleistungs)-Sport nicht möglich. (DATEN: Spielplan und Ergebnisse der WM)
Dies dürfte auch dem katarischen Botschafter bekannt gewesen sein, der gestern auf Einladung des DFB die Möglichkeit erhielt, für sein Land und die WM zu werben.
Zunächst gilt es aber dem DFB zu gratulieren, der dieses Thema, bei dem es für ihn nichts zu gewinnen gibt, proaktiv angeht. Dass nicht die gesamte Veranstaltung mit dem Titel ‚Menschenrechte vor, während und nach der WM in Katar‘ öffentlich zugänglich war, ist ein kleiner Wermutstropfen, den aber nicht der DFB, sondern einige wenige Partner und Sponsoren mit ihrem Veto zu vertreten hatten.
Menschenrechte? Der Botschafter verweist auf China und Russland
Der öffentliche Teil begann mit einer einführenden Diskussion mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf, Sportdirektor Oliver Bierhoff und der Präsidentin des norwegischen Fußballverbandes, Lise Klaveness (41). Die ehemalige Nationalspielerin ihres Landes hatte beim letzten FIFA-Kongress einen bemerkenswerten Auftritt, bei dem sie unter anderem den Gastgeber, Katar, kritisierte. (DATEN: Gruppen und Tabellen der WM)
Der aus Berlin angereiste katarische Botschafter, Scheich Abdullah Bin Mohammed bin Saud Al-Thani, schien dies nicht vergessen zu haben. Mehrfach sprach er in ihrem Zusammenhang abfällig von ‚the young Lady‘. Ansonsten ließ er seine Redezeit ungenutzt, um positive Werbung für sein Land und die bevorstehende WM zu machen.
So beklagte er sich über die seit Jahren anhaltende Kritik am Austragungsort Katar, sprach dabei von ‚Cherry picking‘, wenn es um Vorwürfe zu Menschenrechtsverletzungen ging. Kern seiner Verteidigungsrede war jedoch der Verweis auf China und Russland, die seiner Meinung nach deutlich weniger im Fokus der Kritik gestanden hätten.
Viele Kneipenwirte verzichten auf Ausstrahlung der WM
Dieser Auftritt lässt wenig Gutes erahnen. Am Ende seiner missglückten Rede empfahl er, sich doch vor Ort mit den Betroffenen auszutauschen - oder ‚Shut Up‘.
Dass nicht besonders viele deutsche Fans dieser Reiseempfehlung folgen werden, zeigen die bislang abgesetzten Tickets, die bei einigen Spielen der deutschen Mannschaft bei unter 1.000 liegen sollen. (NEWS: Alles Wichtige zur WM)
Die Vorstellung des Botschafters wird diese Zahlen sicher nicht in die Höhe schnellen lassen. Deutlich mehr Resonanz dagegen rufen scheinbar die Boykott-Aufrufe von Fans hervor. Dass sich nun auch vermehrt Kneipenwirte entschließen, trotz möglicher Umsatzeinbußen auf die Ausstrahlung der Spiele „der besten WM aller Zeiten“ (O-Ton FIFA-Präsident Infantino) zu verzichten, verdient Erwähnung.
Hoffentlich trägt die Solidarität diese haltungsstarken Wirte durch den sicher kalten Winter. Eine Veröffentlichung aller Kneipen, die sich hier engagieren, wäre ein bemerkenswertes Zeichen.
Andreas Rettig arbeitete von 2013 bis 2015 als DFL-Geschäftsführer, zuvor war er Manager beim SC Freiburg, dem 1. FC Köln und dem FC Augsburg. Von 2015 bis 2019 prägte er als kaufmännischer Geschäftsleiter den FC St. Pauli. Zuletzt war der heute 59-Jährige vom 1. Juni 2021 bis zum 2. Mai 2022 Vorsitzender der Geschäftsführung beim Drittligisten FC Viktoria Köln.