Über eine Milliarde Menschen werden auf den Tag genau in einem Jahr nach Katar blicken.
Ein Jahr bis Katar: So sieht es vor Ort aus
Vorausgesetzt, es gibt kein gesteigertes Desinteresse am größten, globalen Fußballspektakel. Beim Endspiel 2018 im russischen Moskau zwischen Frankreich und Kroatien wurde die magische Marke jedenfalls locker geknackt.
Am 18. Dezember 2022 steigt in Doha das Finale der nächsten Weltmeisterschaft, und schon jetzt sind die Vorboten des umstrittenen Turniers auf der Halbinsel im Persischen Golf allgegenwärtig.
Vor allem Negativschlagzeilen macht die Wüsten-WM, ob nun jüngst wegen der Verurteilung des ehemaligen Mediendirektors des Organisationskomitees oder neuer, schockierender Zahlen um die Opfer unter den Gastarbeitern. (NEWS: Alles Wichtige zur WM-Qualifikation)
Bis zum Start des Turniers am 21. November nächsten Jahres wird sich ein Großteil der Berichterstattung um die bekannten und weiter lodernden Brennpunkte drehen. Vor allem um die Fragen nach dem Umgang mit Menschenrechten, Pressefreiheit, Arbeitsbedingungen. Irgendwann wird der Sport im Mittelpunkt stehen.
Doch wie ist der Stand der Dinge in Sachen Organisation, Spielstätten, Infrastruktur? Worauf müssen sich die Fans einstellen?
SPORT1 war während der Generalprobe, des FIFA Arab Cup, vor Ort und hat sich ein Bild der Lage gemacht. Einen Blick hinter die Kulissen.
Das Land:
Katar klotzt. Katar brummt. Überall wird gebaut. Fünfspurige Straßen, die nagelneue Metro, hochmoderne Stadien, neue Hotels. Es ist Gigantismus pur.
Allerdings wird die glitzernde Infrastruktur auch auf eine harte Probe gestellt. Es ist eine WM in einer einzigen Stadt. Man kann fast zuschauen, wie deren Kern mit dem neun Kilometer entfernten Ar-Rayyan mit seinen drei WM-Stadien zusammenwächst.
Die Temperaturen im europäischen Winter - das wird einige überraschen - sind optimal für Fans und Spieler. Zwischen 25 und 30 Grad am Tag, in der Nacht kann das Thermometer schon mal unter die 20 Grad fallen. Es wird eine WM unter freiem Himmel - zumindest, wenn man vor Ort ist.
Alle Fangruppen aus dem Ausland werden in den Hotels in Doha untergebracht sein, also auch rivalisierende. Eine große, neue Herausforderung für die Sicherheitskräfte und den gesamten Apparat.
Gastarbeiter tragen die Last. In größter Hitze, teils sieben Tage die Woche und in langen Schichten. Seit der WM-Vergabe sollen 15.000 Arbeiter in Katar ums Leben gekommen sein, so die Organisation Human Rights Watch im ZDF.
Ähnlich erschreckende Meldungen über die Bedingungen für Gastarbeiter hatte es, wenngleich in viel kleinerem Maßstab, bereits beim Turnier 2018 gegeben.
An den unzähligen Baustellen in Katar sieht man spätabends und in der Nacht alte Busse, in die die Arbeiter nach Feierabend einsteigen und mit denen sie in ihre Wüsten-Camps transportiert werden.
Im Vergleich zu Russland 2018 sieht man in Doha sehr wenig Polizei. Es gibt so gut wie keine Kriminalität. Dafür allerdings an jeder Ecke Videoüberwachung.
Die Stadien:
Insgesamt sind acht Spielstätten vorgesehen. Die Fassungsvermögen sind sechsmal 40.000 Zuschauer und 60.000 im Al-Bayt Stadium. Gar 80.000 Fans passen ins Lusail Iconic Stadium, wo auch das Finale steigt.
Es sind verhältnismäßig geringe Kapazitäten: Wenn alle 64 Spiele ausverkauft wären, entspräche das einem Schnitt von 42.000 Zuschauern pro Partie – die niedrigste Zahl seit 40 Jahren bei der damaligen WM in Spanien. (DATEN: Tabellen der WM-Qualifikation)
Unbestrittenermaßen wird es eine WM der kurzen Wege. Sieben Stadien stehen in oder nahe Doha. Einzig das Al Bayt Stadium liegt ca. 50 km nördlich der Hauptstadt in al-Chaur. Die sieben Stadien Dohas sind über die nagelneue, beeindruckende Metro zu erreichen. Sie fährt völlig autonom - ohne Fahrer.
Eine Fahrt kostet umgerechnet 50 Cent und bringt die Fans direkt zu den Stadien. Will man zum Eröffnungsspiel ins Al Bayt Stadium, muss man den kostenlosen Shuttlebus nehmen oder in ein Taxi investieren.
Katar rühmt sich, dass die Stadien sehr nachhaltig gebaut sind. Teilweise werden diese wieder zurückgebaut. Im Al Bayt Stadium wird der gesamte Oberrang abgebaut und die Kapazität auf 30.000 reduziert. Die Sitzplätze werden an Entwicklungsländer verschenkt, so heißt es.
Das Ras Abu Aboud Stadium – gebaut aus alten, recycelten Schiffscontainern - wird extra für die WM errichtet und soll nach sieben WM-Partien wieder vollständig verschwinden
Die Mannschaft:
Beim FIFA Arab Cup 2021, dem Testturnier für die WM, spielte der Gastgeber eine gute Rolle und schied erst im Halbfinale gegen Algerien aus.
Der Rivale Vereinigte Arabische Emirate unter Trainer Bert van Marwijk wurde im Viertelfinale mit 5:0 nach Hause geschickt, alle Tore fielen dabei in der ersten Halbzeit. Dennoch ist Katar nächstes Jahr nicht mal ein Außenseiter.
Sportlich kann das Gastgeberland mit den Teams aus Europa und Südamerika nicht mithalten. 2019 feierte man den größten Erfolg mit dem Gewinn der Asienmeisterschaft, besiegte Japan im Finale.
Trainer ist der bei Barca ausgebildete Félix Sánchez, den sein Weg über die Aspire Academy und über Katars Jugendauswahlen bis zu den Herren führte. (DATEN: Spielplan und Ergebnisse der WM-Qualifikation)
Der Heimvorteil oder zumindest die lautstarke Unterstützung der Fans wird sich in Grenzen halten. Die Katarer freuen sich über jeden Treffer ihres Teams, stehen aber nicht lautstark in der Kurve und brüllen ihre Stars nach vorne, wie man es aus den klassischen Fußballnationen kennt.
Übrigens: Keine drei Millionen Einwohner hat das kleine Land, auf das in einem Jahr Milliarden blicken werden.