Natürlich ist der Status Quo ein bisschen ärgerlich für den Deutschen Fußball-Bund (DFB). Vier Jahre muss die Nationalmannschaft warten, bis sie die WM-Blamage 2018 wiedergutmachen darf. Vier Jahre: So lange gehen Kinder in Deutschland zur Grundschule, fristet der Hamburger SV schon sein Schattendasein in der 2. Liga und regiert ein Merkel-Nachfolger im Bundestag.
Das kann nicht die Zukunft des Fußballs sein
Aber noch ärgerlicher ist der Status Quo für den Weltverband FIFA. Vier Jahre soll Präsident Gianni Infantino ausharren, bis er die größte Weltbühne, die er hat, eröffnen und die FIFA-Konten mit den größten Sponsorengeldern, die er kriegen kann, auffüllen darf. Denn darum geht‘s bei seiner Idee, die Fußball-WM alle zwei statt vier Jahre auszutragen: um Geld und Geltung.
Infantinos Geltungssucht
Der Preis, den der internationale Fußball für die Geltungssucht seines Präsidenten zu zahlen hätte, ist weitaus höher. Man weiß fast gar nicht, wo man bei seiner Argumentation gegen die neueste Schnapsidee starten soll. Fangen wir bei der Eishockey-WM an. Die findet jedes Jahr kurz vor Sommerbeginn statt und ist kurz nach Sommer-Ende aus dem Gedächtnis verschwunden.
Kleiner Test: Wie hießen die Weltmeister der vergangenen fünf Eishockey-Turniere? Und wo fanden die Weltmeisterschaften statt? Dabei ist das jährliche Schaulaufen der Eishockey-Nationen durchaus sinnvoll: Nur so kann der Weltverband gegen die Medienaufmerksamkeit, die die nordamerikanische Profiliga NHL frisst, aus Tradition anstinken. Beim Fußball ist das anders (DATEN: Spielplan und Ergebnisse der WM-Qualifikation).
Weltmeisterschaften von epischer Bedeutung
Fußball-Weltmeisterschaften sind seit 1930 für die Geschichtsbücher inszeniert und von epischer Bedeutung für die Entwicklung des Sports. Wer Gastgeber ist, muss sein Land und die Stadien herrichten, weil man noch Jahre davon erzählen wird; von ihm gehen Signale aus. Die Aussicht auf die WM 2006 zwang Deutschland zu einem Kraftakt mit ebenso kräftigem Investitionsschub.
Von dieser Zeit profitiert die Bundesliga noch heute, 15 Jahre später. Mehr noch: Weil das Turnier ein besonderes war und das eigene Publikum schönen Fußball erwartete, war die Abkehr vom Rumpelfußball fast zwangsläufig. Die Deutschen mussten ihren Fußball selbst neu erfinden. Und dafür muss man nicht einmal Gastgeber sein. (“Das ist Quatsch“: Salihamidzic wird bei WM-Frage deutlich)
Spielen, spielen, spielen?
Alle vier Jahre, wenn das Resultat des eigenen Schaffens feststeht, im Guten wie im Schlechten, wird Bilanz gezogen. Nach dem vorzeitigen WM-Aus 2018 hinterfragten die Deutschen alles, was jahrelang Erfolg versprach, Spitzenpersonal und Ausbildung inklusive. Mit Verspätung hörte Joachim Löw schließlich auf. Zum Neustart bleiben vier Jahre — nicht mehr, nicht weniger.
Wie wohl die Diskussionen liefen, wenn man wüsste: Schon in zwei Jahren kann ich alles wieder wettmachen? Und wenn man etwas ändern wollte: Zwei Jahre sind keine lange Zeit. Man würde von einem Turnier zum nächsten hüpfen, die Europameisterschaft im Jahr dazwischen keine Gelegenheit zur Reflexion lassen. Die Lösung wäre: spielen, spielen, spielen. Ohne Sommerpause.
WM alle zwei Jahre? Nicht die Zukunft des Fußballs
Was die Ganzjahresbespielung mit den Fußballprofis macht, kann man nur ahnen. Jedenfalls: keine besseren Fußballer. Die Bundesliga mit ihren 34 Spieltagen, die Champions League mit ihren bis zu 19 Auftritten, die Pokalwettbewerbe sowie Länder- und Testspiele zwingen den Körper zum Dauerbetrieb. Und dann findet ein Wettbewerb statt, auf den die ganze Welt schaut.
Darum ist der WM-Turnus von vier Jahren so wirkungsvoll: Das Turnier entzieht sich mit seiner Seltenheit dem Routine-Stress. Alle vier Jahre hält die Welt für vier Wochen den Atem an und schaut genauer hin, was bei jeder Mannschaft an Entwicklung und Überraschung geschehen ist. Eine Inflation von WM-Turnieren würde das Gegenteil bewirken: Jeder Auftritt wäre ex und hopp.
Schon Infantino-Vorgänger Sepp Blatter zog mit der Idee einer WM-Reform um die Welt, um mit dem im Akkord produzierten Geld Einfluss und Machterhalt zu finanzieren. Damals wie heute nähme der FIFA-Präsident billigend in Kauf, dass Tradition und Fußballkultur und Spielerwohl mit Füßen getreten wird. Masse statt Klasse: Das kann nicht die Zukunft des Fußballs sein.
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