Das wäre ein Debüt wie aus dem Bilderbuch geworden. Startelf-Debütant Jamie Leweling durfte bereits nach einer Minute und 40 Sekunden über den vermeintlichen Führungstreffer der DFB-Elf im Nations-League-Duell gegen die Niederlande jubeln, nachdem er Deutschland auf Vorlage von Serge Gnabry mit einem Linksschuss vermeintlich in Führung gebracht hatte. Doch die Freude währte nur kurz.
Szene macht Nagelsmann fassungslos
Denn Schiedsrichter Slavko Vincic nahm den Treffer, der minutenlang überprüft wurde, nach Studium der Videobilder zurück. Die Begründung: Abseits. Das sorgte für Proteste bei den Deutschen. Denn die Szene war in der Tat äußerst vielschichtig: Denn nicht Leweling, sondern Vorlagengeber Gnabry stand beim Pass von Joshua Kimmich im Abseits.
Das Knifflige: Der Pass von Kimmich kam gar nicht bei dem im Abseits stehenden Gnabry an, sondern wurde vom 18-jährigen Jorrel Hato abgefangen. Anschließend kam Micky van de Ven an den Ball, verlor diesen aber an den aus dem Abseits heranstürmenden Gnabry, der auf Leweling legte. Der 23-Jährige, der für den angeschlagenen Deniz Undav in die Startelf gerückt war, schoss den Ball ins Tor.
„Es war ein bisschen ärgerlich, dass das Tor nicht gezählt hat. Ich habe es einmal gesehen und habe es immer noch nicht ganz verstanden“, sagte Nagelsmann im ZDF. Zwar sei Gnabry im Abseits gestanden, allerdings zuerst nur passiv. „Ich habe mal gelernt - vielleicht stimmt es auch nicht -, dass wenn der Verteidiger eine bewusste Verteidigungsaktion hat… und er nimmt den Ball ja kontrolliert mit und pennt halt.“
Nagelsmann sieht Fehler vom Schiedsrichter
„In meinen Augen ist es ein Fehler vom Schiedsrichter, das Tor nicht zählen zu lassen. Aber es ist wie es ist“, erklärte Nagelsmann weiter.
Die Frage, die Schiedsrichter Vincic beantworten musste: Wurde aus dem passiven Abseits von Gnabry ein aktives? Das wäre nicht der Fall, wenn zwischendurch eine neue Spielsituation vorliegen würde. Das Regelwerk des IFAB (International Football Association Board) besagt, dass ein absichtliches Spielen des Balles (Deliberate Play) eines Verteidigers eine neue Spielsituation heraufbeschwört.
Anhang der TV-Bilder könnte man zum dem Schluss kommen, Hato habe den Ball bewusst und kontrolliert zu van de Ven gespielt, somit wäre es eine neue Spielsituation und der Treffer müsste zählen. ZDF-Experte Per Mertesacker sah das in der Halbzeitpause anders: „Dadurch, dass die Niederländer keine kontrollierte Abwehraktion ausführen, wird aus Gnabrys passivem Abseits ein aktives“, meinte der ehemalige Innenverteidiger. In der Tat hatte Hato nur eine sehr kurze Reaktionszeit, bevor er den Ball spielen musste. Vincic sah dies offenbar genauso.
Gräfe: „Falsche Slomo für Vincic“
Ex-Schiedsrichter Manuel Gräfe sah es indes anders. Es sei falsch, das 1:0 nicht zu geben, schrieb Gräfe auf X. „Hato spielt kontrolliert“, analysierte Gräfe und verwies auf die Hintertorperspektive. Diese wurde Vincic in der Review-Area allerdings nicht gezeigt. „Falsche Slomo für Vincic“, urteilte daher Gräfe.
Deutsches Tor? „Die stolpern halt rum“
Auch Mertesacker stellte nach Spielende im Austausch mit Nagelsmann in Bezug auf die Oranje-Verteidiger klar: „Die stolpern halt rum. Normalerweise sind das ja zwei Aktionen und kann geklärt werden.“
Grund zum Jubeln hatte Leweling später trotzdem: In der 63. Minute war er nach einem Eckball zur Stelle und drosch den Ball in den oberen Torwinkel. Diesmal zählte der Treffer.