Es war schon nach Mitternacht, als die deutschen U21-Europameister den Presseraum stürmten.
Das Geheimnis der "Hyänen-Bande"
"Campeones, Campeones, Campeones", sangen sie auf Spanisch, während sie um ihre beiden Mitspieler Lukas Nmecha und Ridle Baku tanzten. Die beiden, die gerade den deutschen Journalisten Rede und Antwort gestanden hatten, ließen sich nicht lange bitten und fielen in den wilden Reigen ein.
Mitten im Geschehen, zwischen innigstem Gesang und sprühenden Sektfontänen, sprang und lachte derweil jener Mann, der schlechthin als Vater dieses Triumphs bezeichnet werden darf.
Stefan Kuntz wischte sich das Gesicht ab, verabschiedete die Jungs mit lautem Klatschen und blickte mit breitem Grinsen in die Kamera.
"So ist die Hyänen-Bande", erklärte der 58-Jährige augenzwinkernd. "Keiner kann sie leiden, aber sie bekommen immer das, was sie wollen."
Kuntz: "Hochverdienter Europameister"
Zwei Stunden zuvor hatte die deutsche U21-Nationalmannschaft Portugal mit 1:0 geschlagen und sich zum Europameister gekrönt, zum dritten Mal insgesamt, nach 2009 und 2017. Eine Leistung, mit der viele nicht gerechnet hatten.
Selbst Trainer Kuntz nicht, der im September vergangenen Jahres von einem "schwächeren" Jahrgang gesprochen hatte.
Wolfsburgs Ridle Baku gab sich schon vor der K.o.-Phase aber kämpferisch. "Wir sind auch eine Runde weitergekommen - so schlecht können wir also gar nicht sein",sagte er im SPORT1-Interview lachend und fügte an: "Es wäre schön, wenn wir den Kritikern einen Pokal hinhalten könnten." Und tatsächlich hat die Mannschaft das geschafft.
Jetzt, nach dem Triumph auf größtmöglicher europäischer Ebene, hat sich das Bild ohnehin komplett verschoben.
Die Rede ist von einem "hochverdienten Europameister", wie Kuntz betont. "Wir vertrauen den Jungs und die Jungs geben unglaublich viel zurück. Was da zwischen Spielern und Trainern gesprochen worden ist, ist fantastisch. Champions gehen ihren Weg immer zu Ende."
Ist das Verhältnis von Spielern und Trainern also das Geheminis, das diese maximal-erfolgreiche Mannschaft umweht? (Die Spieler in der SPORT1-Einzelkritik)
"Die anderen hatten einen höheren Marktwert, aber wir haben ein unfassbares Mannschaftsgefüge", meinte Baku, der das entscheidende Tor von Nmecha per Traumpass vorbereitet hatte. "Es war auf jeden Verlass. Jeder Spieler wollte sein Leben auf dem Platz lassen."
Baku: "Hungrig sein"
Größten Anteil an dieser Alles-oder-nichts-Einstellung hat natürlich Kuntz, der den Ausdruck "Hyänen-Bande" ins Leben rief und den Spielern damit das vermittelte, was sie während der Spiele gegen Dänemark, die Niederlande und Portugal am meisten auszeichnete.
"Dass wir hungrig sein sollen", erklärte Baku. "Dass wir uns auf alles stürzen sollen. Das hat er uns gesagt und uns perfekt eingestellt."
Vor allem verstand Kuntz es, die Mannschaft von jetzt auf gleich wieder ins Rollen zu bringen, nachdem die Gruppenphase schon im März gespielt worden war. Damals hatte Deutschland auf Platz zwei hinter den Niederländern abgeschlossen. Ende Mai folgte dann die Finalrunde, auf die es kaum eine Vorbereitung hatte geben können.
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"Was wir gespielt haben, ist purer Fußball, pure Leidenschaft", sagte Kuntz. "Das begeistert die Leute zu Hause." Also Herz über Kopf? "Der Coach kann nicht alles vorsagen, da gehört auch der Schuss Intuition dazu."
Jene Intuition hat Deutschland nun zum Europameister gemacht und Kuntz zum zweifachen Titelträger, nachdem ihm dieses Kunststück schon 2017 geglückt war. Wie geht es jetzt aber weiter für jene Jungs, die in die Fußstapfen von Manuel Neuer, Jérôme Boateng oder Serge Gnabry treten?
"Das Problem mit dem Talente-Mangel kann dieser EM-Triumph nicht übertünchen", sagte Kuntz auf SPORT1-Nachfrage. "Der Schritt von der U21 zur A-Nationalmannschaft ist außerdem noch mal ein richtig großer, das habe ich immer gesagt." Trotzdem: "Dieser Titel kann eine Signalwirkung sein, für alle, die sagen: Das will ich auch."
Kurz darauf war Kuntz wieder verschwunden, irgendwo in den Katakomben, wo er mit seiner "Hyänen-Bande" das feiert, was "purer Fußball" ermöglicht hatte.