Diese Szene ließ den WM-Triumph der Spanierinnen für einen Moment in den Hintergrund rücken. Spaniens Verbandspräsident Luis Rubiales hat mit einer Aktion gegenüber der frischgebackenen Weltmeisterin Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung für - gelinde ausgedrückt - Irritationen gesorgt.
„Ist eine Form der sexuellen Gewalt“
Rubiales umarmte Hermoso wie alle spanischen Spielerinnen bei der Medaillenübergabe überschwänglich, doch dann küsste er die Mittelfeldspielerin unvermittelt auf den Mund. Hermoso reagierte auf der Bühne zunächst nicht auf den Vorfall, kommentierte ihn jedoch kurz darauf in der Umkleidekabine.
„Äh, ja... das hat mir nicht gefallen“, sagte die 33-Jährige mit einem Lächeln.
Hermoso mit Statement - heftige Kritik aus Politik
In einem Statement, das der spanische Fußballverband Sonntagnacht an die Nachrichtenagentur EFE schickte, äußerte sich die Spielerin später erneut zu dem Vorfall: „Es war lediglich eine Geste der Freundschaft und Dankbarkeit. Der Präsident und ich haben eine gute Beziehung zueinander, sein Verhalten mit uns allen war super. Es war eine spontane, gegenseitige Geste aufgrund der großen Freude wegen des WM-Sieges.“
Rubiales selbst meldete sich ebenfalls zu Wort. Bei Radio Marca erklärte er: „Der Kuss mit Jenni? Es gibt überall Idioten. Wenn zwei Menschen einen Moment der Zuneigung ohne weitere Bedeutung haben, sollte man nicht auf Idioten hören. Wir sind die Sieger und dazu stehe ich.“
Trotz der beschwichtigenden Aussagen von Hermoso hagelte es scharfe Kritik für Rubiales.
Unter anderem die spanische Gleichstellungsministerin Irene Montero schaltete sich in die Debatte ein und schrieb bei X, dem ehemaligen Twitter: „Das ist eine Form der sexuellen Gewalt.“ Man dürfe „nicht davon ausgehen, dass Küssen ohne Zustimmung etwas ist, das ‚passiert‘. Nur ein Ja ist ein Ja.“ Die Tageszeitung El Pais kommentierte: „Wir schreiben das Jahr 2023, diese Gesten sind nicht zu rechtfertigen“. Ein solcher Kuss auf den Mund sei „eine Aggression“.
Spaniens Titelgewinn in Australien und Neuseeland wurde von der Kontroverse über das Verhältnis des Verbandes und von Trainer Jorge Vilda zu den Spielerinnen überlagert. 15 Akteurinnen hatten im vergangenen Herbst gegen Vildas Führungsstil protestiert, doch mehrere lenkten ein, drei von ihnen waren beim WM-Triumph von Sydney dabei. Rubiales war ein entschiedener Befürworter Vildas.
Kemme ruft zu kollektivem Rücktritt auf
Die frühere deutsche Nationalspielerin Tabea Kemme rief das spanische Team nach dem WM-Triumph in ihrer Kolumne bei t-online.de zum „kollektiven Rücktritt“ auf: „Ich wünsche mir, dass die Menschen, die für den psychischen Machtmissbrauch im spanischen Verband verantwortlich sind, aus dem System genommen und sanktioniert werden.“
Rubiales kassierte auch für seine Aktion in den Sozialen Medien teils heftige Kritik. „Das Verhalten des spanischen Präsidenten Luis Rubiales ist nicht in Ordnung. Das ist der Höhepunkt in der Karriere eines Fußballers, und die Emotionen sind sehr hoch“, schrieb Mirror-Journalist Colin Millar beim Kurznachrichtendienst X.
„Was zur Hölle? Habe ich das richtig gesehen, dass Luis Rubiales, Präsident des spanischen Fußballverbandes, Jenni Hermoso (ungefragt) auf den Mund geküsst hat?? Wie viel dürfen sich Männer eigentlich noch erlauben?“, fragte X-Nutzerin „selmuggle“ und „borussenLeon“ kommentierte: „So richtig sympathisch die Verantwortlichen im spanischen Verband so allgemein.“
Tatsächlich gibt es mit Blick auf den Boss im spanischen Fußball einen dunklen Schatten: Rubiales stand im letzten Jahr für gleich mehrere vermeintliche Vergehen in der Kritik.
Rubiales‘ Schatten über Spaniens Titel
Zunächst soll der 45-Jährige Anfang 2020 eine Sex-Orgie veranstaltet haben. Dabei wird ihm vorgeworfen, Verbandsgelder für eine private Party mit jungen Mädchen veruntreut haben. Urheber des Vorwurfs, der im Sommer letzten Jahres öffentlich wurde, war sein Onkel Juan Rubiales, der seinen Neffen bei der Staatsanwaltschaft anzeigte.
Im vergangenen Oktober musste sich Rubiales dann wegen geleakter WhatsApp-Nachrichten rechtfertigen, in denen er sich abfällig zu mehreren spanischen Klubs äußerte.
Auch bei der Frauen-Nationalmannschaft war Rubiales Vorwürfen ausgesetzt. Gleich 15 spanische Spielerinnen hatten sich mit einer E-Mail an den Verbandspräsidenten gewendet. Konkret wurde darin die Arbeit des Nationaltrainers Jorge Vilda kritisiert. Doch Rubiales schützte Vilda, weshalb die Spielerinnen den Rücktritt als letzten Ausweg sahen.
Eben jener Vilda gewann nun mit seinem Team die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland.