Sie kam, sah und siegte: Megan Rapinoe prägte eine der erfolgreichsten Zeiten im US-Frauenfußball - am Sonntag platzte ihr Traum vom dritten WM-Titel in Folge allerdings nach einem hochdramatischen Krimi.
Für viele Staatsfeindin Nr. 1
Nachdem die Star-Kickerin ihren Versuch im Elfmeterschießen über den Kasten gejagt hatte, trottete sie mit einem ungläubigen Grinsen davon, nach dem Motto: Das kann doch nicht wahr sein. Hinterher nannte Rapinoe es einen „kranken Witz“, dass ihre Karriere so endete - in den Sozialen Medien kassierte sie für den entgeisterten Schmunzler einen regelrechten Shitstorm.
„Ich habe noch nie in meinem Leben eine Spielerin gesehen, die das Tor nicht trifft und anschließend lacht, als würde es sie nicht interessieren. Diese Frau ist eine absolute Schande“, ätzte ein User. Viele weitere Fans pöbelten gegen die 38-Jährige mit den markant bunten Haaren. Aber woher kommt der Hass auf eine so legendäre Spielerin, gegen die auch der ehemalige US-Präsident Donald Trump jetzt wieder austeilte?
„Die schockierende und völlig unerwartete Niederlage des US-Frauenfußballteams gegen Schweden steht sinnbildlich für das, was mit unserer einst großen Nation unter dem korrupten Joe Biden geschieht. Viele unserer Spielerinnen waren offen feindselig gegenüber Amerika“, twitterte der 77-Jährige und lieferte damit schon einen Anhaltspunkt, warum Rapinoe gerade für die Konservativen in den tief gespaltenen USA ein großes Feindbild ist.
Ikone im Sport - Feindbild in der Politik
Dabei stehen nicht nur zwei WM-Titel in ihrer Vita, sondern auch zwei olympische Goldmedaillen hat Rapinoe, womit sie ihrem Land zu Ruhm verhalf. 2019 wurde sie dank ihrer sechs Treffer Toptorschützin und zur besten Spielerin der WM gekürt. Für ihre herausragende Leistung wurde sie zudem von der FIFA zur Weltfußballerin gewählt und erhielt den Ballon d‘Or.
Doch die 38-Jährige, die nun ihre ruhmreiche Karriere beenden wird, hat nicht nur sportlich für Furore gesorgt, sondern sich auch abseits des Feldes als Sprachrohr einen Namen gemacht - ebenso wie mächtige Feinde.
Dabei beschrieb sie sich selbst in ihrer Autobiografie „One Life“ einst noch als schüchternes Mädchen, das sich lieber hinter Zwillingsschwester Rachael versteckte: „Oft gehörte ich nicht dazu, passte nicht rein“, schrieb sie.
Das änderte sich jedoch zu dem Zeitpunkt, als sie das Spiel mit dem runden Ball für sich entdeckte. Die einst schüchterne Megan wurde immer besser und selbstbewusster, mit 21 Jahren wurde sie erstmals zur Nationalmannschaft berufen und gab am 26. Juli 2006 ihr Debüt gegen Irland.
Rapinoe outet sich: Marta und Co. folgen
Nach reiflicher Überlegung entschied sie sich 2012, ihre Homosexualität öffentlich zu machen. „Wenn man sich als Sportpromi outet, tut man das sicher nicht in erster Linie für sich selbst, sondern für andere“, begründete sie in ihrem Buch den mutigen Schritt, der in den teilweise erzkonservativen USA naturgemäß nicht nur positiv aufgenommen wurde.
Sie war eine der ersten Fußballerinnen, die sich zu diesem Schritt entschloss - und öffnete damit die Tür für ihre Sportkolleginnen. Schließlich folgten zahlreiche Spielerinnen wie Welt-Star Marta oder das kolumbianische Wunder-Talent Linda Caicedo ihrem Beispiel.
Genau diesen Effekt dürfte sich Rapinoe erhofft haben, als sie ihr Coming-Out hatte. Doch es blieb nicht dabei, denn sie setzt sich seither vehement für die Rechte der LGBTQ+-Bewegung und Transgender-Menschen ein.
Equal Pay im US-Fußball auch dank Rapinoe
Es ist allerdings nicht das einzige Reizthema, bei dem sie im Mittelpunkt steht. Die meinungsstarke Stürmerin mit den kurzen, zumeist gefärbten Haaren setzt sich auch für Equal Pay ein.
Jahrelang kämpfte sie mit ihren Teamkolleginnen in der Nationalmannschaft für gleiche Prämien bei Männern und Frauen. Der Streit gipfelte sogar in einem Gerichtsverfahren, an dessen Ende feststand, dass die US-Spielerinnen genauso viel bekommen wie ihre männlichen Kollegen.
„Es ist ein großartiger Tag. Ich glaube, das ist der Moment, an dem wir später sagen werden, US Soccer hat sich zum Besseren verändert“, sagte Rapinoe in der TV-Show Good Morning America.
Rapinoe kämpft für Abtreibungsrecht in den USA
Mächtig auf die Palme brachte sie auch die Entscheidung des Supreme Courts, das landesweite Recht auf Abtreibung zu kippen. Somit dürfen die Bundesstaaten nun individuell entscheiden, ob ein Schwangerschaftsabbruch legal möglich ist.
„Das ist grausam und traurig“, meinte sie in einem emotionalen Statement und ergänzte, „es wird so viele der bestehenden Ungleichheiten in unserem Land noch verschärfen.“
Sie erhielt auch viel Unterstützung für ihre Meinung: Bereits im Vorfeld hatte sie sich mit 500 Sportler:innen an das höchste US-Gericht gewandt, dieses Gesetz nicht zu kippen.
Rapinoe kniet bei Nationalhymne - und wird degradiert
Aber ob Homosexualität, Geschlechtergleichstellung oder Abtreibung - für politische Gegner wurde Rapinoe zu einer großen Zielscheibe. Zumal sie auch auf einem weiteren heiklen Themenfeld ein deutliches Zeichen setzte.
Als sie 2016 aus Solidarität zu NFL-Quarterback Colin Kaepernick bei der Nationalhymne auf das Knie ging, schlug ihr viel Hass entgegen. Schließlich kam diese Geste, die als Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus gilt, bei vielen patriotischen US-Amerikaner:innen (inklusive des späteren Präsidenten Trump) alles andere als gut an.
Auch die damalige Bundestrainerin Jill Ellis zog Konsequenzen und ließ eine ihrer Star-Spielerinnen monatelang links liegen. Im Jahr drauf änderte es sich jedoch wieder, allerdings ohne eine Aussprache. „Ich kann nicht sagen, wie verrückt es mich gemacht hat“, kommentierte Rapinoe in ihrem Buch das schwierige Verhältnis zu Ellis.
Rapinoe mit Fehde gegen Trump
Noch komplizierter wurde es dann zwischen Rapinoe und Trump. Nach ihrem WM-Triumph 2019 weigerte sie sich zusammen mit ihren Kolleginnen, zum traditionellen Besuch im Weißen Haus anzutreten.
Es folgte eine Fehde mit dem eigenwilligen US-Präsidenten, der sich besonders auf die Stürmerin einschoss. So kritisierte Trump nach Olympia-Bronze, dass die „Frau mit den lila Haaren“, wie er sie nennt, „schrecklich schlecht gespielt“ habe.
Das Team könne nicht gewinnen, wenn eine ihrer Anführerinnen „eindeutig zu viel Zeit damit verbringt, über ihre radikalen linkspolitischen Ziele nachzudenken, anstatt ihre Arbeit zu machen“. Sowieso steht für Trump fest: „Wenn man woke ist, verliert man.“
„Sie hat so unglaubliche Dinge getan...“
Bei allem Hass und dem heftigen Gegenwind auch jetzt wieder - Rapinoe kann sich trotzdem auch einer großen Unterstützung sicher sein. „Sie sagt, was sie denkt, und steht für ihre Anliegen ein. Sie ist keine Ja-Sagerin“, lobte die Schweizer Rekord-Nationalspielerin Ana-Maria Crnogorcevic beim Blick. So sagte Rapinoe beispielsweise auch ihre Teilnahme am Challenge-Cup 2020 aus Angst vor einer Corona-Infektion ab.
Ihre kompromisslose Haltung und Kampf für Toleranz und gegen Ungerechtigkeit brachten Rapinoe bei aller Kritik auch hohes Ansehen ein. Vom Time-Magazin wurde sie in die Liste der „Frauen des Jahres 2023″ aufgenommen.
US-Teamkollegin Kelley O‘Hara verneigte sich im Interview mit der Deutschen Welle regelrecht: „Sie hat so unglaubliche Dinge für dieses Team und für die Welt getan, dass es wirklich etwas Besonderes ist, sie aus der Nähe zu erleben“, schilderte sie.
Und Rapinoe selbst? Nach dem WM-Aus erklärte sie, für sie gelte immer nur ein Maßstab: „Ich habe versucht, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“