Unter Niko Arnautis hat das Frauen-Team von Eintracht Frankfurt eine beachtliche Entwicklung genommen und sich in der Spitzengruppe der Bundesliga etabliert. Vor dem Spiel beim FC Bayern am Montagabend (ab 18 Uhr LIVE im TV auf SPORT1) spricht der 43-Jährige im Exklusiv-Interview mit SPORT1 unter anderem über seine Arbeit, Unterschiede zum Herrenfußball und Alexandra Popp.
Bayern? „Wir holen auf“
SPORT1: Herr Arnautis, zuletzt besiegte Deutschland mit vier Adlerträgerinnen im Einsatz England im Wembley-Stadion mit 4:3. Zudem trafen Barbara Dunst für Österreich, Géraldine Reuteler für die Schweiz, Carlotta Wamser und Rosa Rückert in den U-Nationalmannschaften. Was bedeuten dieser Sieg und die Tore Ihrer Spielerinnen für Sie und das Team?
Niko Arnautis: Natürlich freue ich mich sehr, dass einige unserer Spielerinnen getroffen haben und alle Nominierten Spielpraxis in ihren Auswahlmannschaften sammeln konnten. Wir stellen nach vielen Jahren wieder acht deutsche A-Nationalspielerinnen, dazu kommen U23-Spielerinnen sowie Akteurinnen in den Jugendnationalteams und internationale Spielerinnen. Wir hatten zeitweise nur vier Spielerinnen im Training, da alle anderen mit ihren Nationalteams unterwegs waren. Das erfüllt uns mit Stolz und zeigt, dass wir in Frankfurt auf einem sehr guten Weg sind. Dieses Wachstum motiviert uns und macht uns glücklich. Generell bin ich sehr zufrieden, dass wir als Eintracht Frankfurt so gut in die Saison gestartet sind. Wir haben mit unserem Fußball begeistert, und die Ergebnisse sprechen für sich. Wir sind hochmotiviert für das nächste Spiel in München gegen die Bayern - das wird ein echtes Highlight.
„Ich kann nur sagen: ‚Wahnsinn!‘“
SPORT1: Sie sind seit 2017 Trainer der Frauen von Eintracht Frankfurt - eine halbe Ewigkeit im Fußball. Wie blicken Sie auf Ihre bisherige Karriere zurück?
Arnautis: Es hat sich eine enorme Entwicklung in allen Bereichen gezeigt. Zuvor war ich Lehrer und Trainer an der Frankfurter Eliteschule des Sports und des Fußballs, der Carl-von-Weinberg-Schule, habe dort Jugendliche und die U17 des 1. FFC Frankfurt trainiert und später die U17-Jungen von Eintracht Frankfurt als Co-Trainer mit begleitet. 2017 habe ich dann die erste Frauenmannschaft übernommen, den damaligen 1. FFC Frankfurt - das ist jetzt sieben Jahre her. Damals mussten wir einen neuen Weg einschlagen, um gegen starke Konkurrenz wie Wolfsburg und Bayern bestehen zu können. Wir begannen mit dem Aufbau einer talentierten Mannschaft. Neben mir gab es damals nur eine hauptamtliche Person im sportlichen Bereich. Heute sind wir alleine dort zweistellig.
SPORT1: Sie haben anfangs auf junge Spielerinnen gesetzt.
Arnautis: Auch heute noch! Wir haben damals talentierte junge Spielerinnen wie beispielsweise Laura Freigang, Sophia Kleinherne oder Géraldine Reuteler geholt, die sich zu gestandenen Bundesliga- und -Nationalspielerinnen entwickeln und dieses Konzept bis heute beibehalten. Auch wenn uns Spielerinnen wie Sjoeke Nüsken zwischenzeitlich in Richtung Chelsea verlassen haben, konnten wir immer wieder Lücken mit jungen Talenten wie Lisanne Gräwe schließen, die am Montag in der A-Nationalmannschaft gegen Australien debütiert hat. Auch in den Nachwuchsteams gibt es unzählige talentierte U-Nationalspielerinnen. Mit der Fusion 2020 (1. FFC Frankfurt und Eintracht Frankfurt, Anm. d. Red.) ist auch die Infrastruktur gewachsen. Unsere Trainingsbedingungen sind erstklassig. Wir sind bei den Männern eingegliedert, haben aber unseren eigenen Bereich, trainieren auf dem Gelände des Deutsche Bank Park. Alles ist sehr professionell geworden. Ich kann nur sagen: „Wahnsinn!“
„Für mich ist es keine Frage des Geschlechts“
SPORT1: Was reizt Sie am Trainerjob bei den Frauen besonders, nachdem Sie auch kurz bei den Männern im U-Bereich gearbeitet haben?
Arnautis: Für mich ist es keine Frage des Geschlechts - mir macht die Arbeit als Trainer einfach Freude. Der Wechsel zurück zu den Frauen lag auch daran, dass ich an der Eliteschule für die Mädels verantwortlich war. Es war einfacher, dieselbe Gruppe auf Schul- und Vereinsebene zu betreuen. Außerdem hatte ich die Vision, mit meinem Team etwas Einzigartiges zu entwickeln. Im Kern unterscheidet sich die Arbeit kaum von der bei den Männern. Der Umgang bei Frauen ist vielleicht etwas anders - am Ende aber ist es Fußball.
SPORT1: Wie ist der Unterschied genau?
Arnautis: Die Mädels bringen manchmal eine noch größere Motivation mit, sind sehr selbstkritisch und stellen mehr Fragen zu den Entscheidungen eines Trainers.
SPORT1: Woran liegt das?
Arnautis: Das hat viel mit den unterschiedlichen Startbedingungen zu tun. Wie haben die Jungs mit Fußball begonnen, und welchen Weg mussten teilweise die Mädels gehen, um sich durchzusetzen? Frauen sind oft wissbegieriger als Männer beziehungsweise hinterfragen Dinge häufiger - was ich sehr schätze. Manchmal muss ich aber auch sagen: „Mach es einfach, ohne über jedes Detail nachzudenken!“ Trotzdem bringen die Mädels enorm viel Selbstdisziplin und Dankbarkeit mit. Die Professionalität ist inzwischen hoch, und das Umfeld des Frauenfußballs unterscheidet sich in vielen Bereichen nicht mehr so sehr vom Männerbereich - abgesehen von den Gehaltsstrukturen und Sponsoreneinnahmen.
SPORT1: Gibt es für Sie eine Spielerin, die sich wie ein weiblicher Harry Kane anfühlt?
Arnautis: (lacht) Es ist natürlich ein Unterschied, ob jemand eine langjährige Nationalspielerin ist oder sich gerade erst im Verein etabliert hat. Laura Freigang beispielsweise ist so eine Persönlichkeit, die aktuell sehr zuverlässig trifft. Wir leben jedoch vom Kollektiv, weil sich bei uns jede Spielerin optimal entfalten kann.
SPORT1: Wie viele Ihrer Spielerinnen können vom Fußball leben?
Arnautis: Die Spielerinnen unserer ersten Mannschaft sind allesamt Profispielerinnen. Einige verfolgen nebenbei selbstständig Projekte, die sie interessieren, und einige studieren für die Zeit nach ihrer Karriere. Die Strukturen sind aber ganz klar gegeben, dass sich die Mädels voll und ganz auf den Fußball konzentrieren können.
„Ich fand Klopp schon immer beeindruckend“
SPORT1: Welcher Trainer inspiriert Sie? Klopp, Nagelsmann?
Arnautis: Mit Julian habe ich damals die A-Lizenz gemacht und finde es beeindruckend, wie er arbeitet. Es gibt viele unterschiedliche Trainerpersönlichkeiten. Ancelotti ist völlig anders als Guardiola oder Klopp, was ich spannend finde. Bei Bayern hat Ancelotti nicht so optimal funktioniert, bei Real Madrid harmoniert es aktuell perfekt. Wichtig ist, dass man als Trainer authentisch bleibt. Ich fand Klopp schon immer beeindruckend, weil er eine besondere Art hat, die mich inspiriert. Eine solche Leidenschaft sehe ich auch bei mir.
SPORT1: Eine Ihrer Stärken ist die Teamführung. Was macht Ihre Herangehensweise besonders wertvoll?
Arnautis: Einige meiner Spielerinnen sind schon lange im Verein, was für gute Kontinuität und Vertrauen spricht. Wichtig ist eine offene, ehrliche Kommunikation und Empathie für besondere Situationen. Ich habe ein gutes Gespür für die Bedürfnisse meiner Spielerinnen. Auch die, die nicht immer spielen, haben ihren Anteil am Erfolg. Jede muss in ihrer Rolle präsent sein, damit das Team funktioniert. Ich kann nicht jede Woche sagen: „Du bist super, spielst aber nicht.“ Es geht darum, sie mitzunehmen und stets ehrlich miteinander umzugehen - wie in einer Familie.
„Der Frauenfußball braucht sich nicht mehr zu verstecken“
SPORT1: Wie sehen Sie die Entwicklung des Frauenfußballs?
Arnautis: Sehr positiv, national und international. Viele große Klubs im Männerbereich haben inzwischen ebenso starke Frauenmannschaften. Das Niveau steigt kontinuierlich, und die Konkurrenz wird härter. Die finanzielle und mediale Aufmerksamkeit wächst. Fast 50.000 Zuschauer haben das Freundschaftsspiel zwischen England und Deutschland im Wembley-Stadion verfolgt. Der Frauenfußball braucht sich nicht mehr zu verstecken.
SPORT1: Aus der Women‘s Super League nimmt man interessierte Blicke wahr. Wäre das ein Traum?
Arnautis: Die Women‘s Super League ist eine starke Liga. Ich bin in Frankfurt verwurzelt und liebe meine Aufgabe hier - es ist eine Herzensangelegenheit. Und ich sehe mich langfristig bei Eintracht Frankfurt.
SPORT1: Wie nah ist Eintracht Frankfurt inzwischen an den jahrelangen Aushängeschildern des Frauenfußballs, Bayern und Wolfsburg, dran?
Arnautis: Sehr nah, die Spitze in der Liga wird grundsätzlich breiter. In den vergangenen Jahren konnten wir beide Klubs schlagen und oft ärgern. Bayern hat enorm in den Frauenfußball investiert, und Wolfsburg hat nach wie vor einen gewissen Vorsprung. Aber wir sind mittlerweile immer mehr auf Augenhöhe.
SPORT1: Tabea Kemme sprach im Juli über Equal Pay und bezeichnete die derzeitige Bezahlung der Frauen als „inakzeptabel“. Wie sehen Sie das?
Arnautis: Das Thema ist komplex. Man muss sehen, was an Einnahmen für die Klubs hereinkommt. Der aktuelle Fernsehvertrag bei den Männern beispielsweise ist mit dem der Frauen nicht vergleichbar. Gleichwohl sollte der Frauenfußball eine Infrastruktur erhalten, die flächendeckend Profifußball möglich macht. Wir brauchen noch mehr Ideen, wie mehr Einnahmen generiert und im Optimalfall auch Gewinne erzielt werden können. Die Professionalisierung im Frauenfußball schreitet voran.
SPORT1: Am Montag steht das Topspiel beim FC Bayern an (ab 18 Uhr LIVE im TV bei SPORT1) Wie fühlen Sie sich?
Arnautis: In München etwas mitzunehmen, wäre top. Wir hatten schon viele packende Duelle mit Bayern. Bayern gegen Frankfurt ist inzwischen ein Klassiker, sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern. Es wird ein schweres Spiel, aber wir glauben an uns.
SPORT1: Ist Bayern wie bei den Männern die unangefochtene Nummer eins der Liga?
Arnautis: Ja. Da gibt es keine zwei Meinungen, Bayern als amtierender Meister ist auch in dieser Saison Favorit auf den Titel. Aber wir holen auf.
Popp? „Solche Vorbilder braucht der Frauenfußball“
SPORT1: Alexandra Popp hat ihre Karriere in der Nationalmannschaft beendet. Wie denken Sie über Ihren emotionalen Abschied?
Arnautis: Alex ist eine prägende Figur. Sie hat viel geleistet und den Frauenfußball stark beeinflusst. Solche Vorbilder braucht der Frauenfußball. Ihr DFB-Abschied war sehr emotional, und sie wird vermisst werden.
SPORT1: Was wünschen Sie sich für den Frauenfußball?
Arnautis: Dass der eingeschlagene Weg konsequent weiterverfolgt wird, denn die Mädels verdienen es, ihren Traum auch in Zukunft leben zu können. Dieser Weg soll bitte mit vernünftigen und guten Schritten fortgesetzt werden.