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Russen wie Touristen im eigenen Haus

Ohne erkennbare Euphorie, aber mit bestmöglicher Organisation bereitet sich Moskau auf die WM-Eröffnung vor. Die Menschen erfreuen sich an den Fans aus aller Welt.
Megastar Robbie Williams gibt in Moskau den WM-Startschuss – wir blicken zurück auf die spektakulären Eröffnungsfeiern der letzten Turniere.
Ohne erkennbare Euphorie, aber mit bestmöglicher Organisation bereitet sich Moskau auf die WM-Eröffnung vor. Die Menschen erfreuen sich an den Fans aus aller Welt.

Die ganze Fußballwelt fiebert dem heutigen Nachmittag entgegen. Wenn am Nachmittag das Eröffnungsspiel zwischen Russland und Saudi-Arabien (ab 17 Uhr im LIVETICKER) angepfiffen wird, wird unter Fans ein einmonatiger Ausnahmezustand eingeläutet. Nur weite Teile der Bevölkerung des Gastgeberlands trifft das offenbar wie aus heiterem Himmel.

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Seit Tagen sind zum Beispiel auf der vollgestopften Fußgängerzone zwischen Rotem Platz und Gedenkstätte für die Opfer des Totalitarismus russische Passanten zu beobachten, die freudig bis erstaunt das ausgelassene Treiben der Fans aus den Ländern anderer WM-Teilnehmer mit ihren Smartphones fotografieren.

Das über sie hereingebrochene Spektakel schien den russischen Passanten unwirklich vorzukommen, wie der größtmögliche Kontrast zu ihrem Alltagsleben.

Eine iranische Fangruppe ahmte das seit der EM 2016 international bekannte "Huh!" der Isländer lautstark nach. Ein paar Meter weiter sangen sich ebenso stimmgewaltig Peruaner ein und hielten dabei mit Luft gefüllte Plastik-Lamas in die Höhe.

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Wieder ein Stück weiter hatten sich rund hundert argentinische Anhänger versammelt, um ihre Lieder auf ihre weiß-himmelblaue Mannschaft, die Albiceleste, und auf Lionel Messi zu intonieren.

Viele Erinnerungsfotos werden geschossen

Mexikaner, Brasilianer und Fans aus Saudi-Arabien standen und feierten ebenfalls in Gruppen zusammen. Und unweit des berühmten Kaufhauses GUM nahe des Kremls schickte eine russische Frau ihre Tochter für ein Erinnerungsfoto zu einer marokkanischen Fangruppe.

Das Mädchen schien etwas verlegen zwischen den Gästen aus dem Maghreb. Und als gegenüber sechs junge russische Männer "Russia“ schmetterten, wechselte eine junge Marokkanerin spontan die Seiten und sprang mit ihrer Landesflagge vergnügt vor den Gastgebern umher. Die sechs russischen Männer hinter ihr lächelten, oft mit Zahnlücken.

Abgesehen von den früh fehlenden Zähnen sind das für den Weltverband und Veranstalter FIFA genau jene Bilder, die er sich für sein Marketing wünscht und die nun täglich um die Welt gehen werden. Das Milliardengeschäft Fußball-WM als Trug- oder zumindest Zerrbild, als fröhliche, unschuldige Party der Völkerverständigung. Dem Präsidenten des Gastgeberlandes, Wladimir Putin, kommt die plötzliche Heiterkeit vor allem innenpolitisch gelegen.

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Doch die Bilder, in denen tausende Russen die Gäste verblüfft fotografieren, erzählen auch etwas über das politische und gesellschaftliche Innenleben des Landes. Und diese Bilder haben zudem etwas von einem Menetekel.

Einheimische wirken wie Touristen

Die Einheimischen wirken wie Touristen im eigenen Haus. Und sollte die russische Mannschaft die Einschätzung vieler Experten bestätigen, bleibt den Gastgebern ohnehin bald nur noch eine Zuschauerrolle, womöglich sogar bereits nach der Gruppenphase. "Das ist das schlechteste russische Team, das ich in meinem Leben gesehen habe", prügelte der ehemalige Nationalspieler Andrej Kantschelskis, einst in Diensten von Manchester United, verbal auf seine Nachfolger ein. SPORT1-Experte Mario Basler sprach von einer "Katastrophentruppe, das ist keine Mannschaft."

Selbst Russlands Präsident Wladimir Putin scheint nicht wirklich an ein gutes Abschneiden der Sbornaja zu glauben. "Ich muss leider zugeben, dass unsere Mannschaft zuletzt keine guten Ergebnisse erzielt hat. Aber wir - alle Fans und Liebhaber des russischen Fußballs - erwarten einfach, dass das Team mit Würde spielt, modernen und interessanten Fußball zeigt und bis zum Ende kämpft."

Ein frühes Aus des Gastgeberteams käme der FIFA nicht gelegen, Putin noch weniger. Er sieht seine Sportler gerne siegen wie bei den Olympischen Winterspielen in Sotchi 2014. Wie man inzwischen weiß, waren den Gastgebern dafür viele Mittel recht, Stichwort Staatsdoping. Wobei das auch für viele andere Nationen und Staatsoberhäupter gelten dürfte.

Ortswechsel, eine der beiden Malls am Bahnhof Kievskaya. Hier steht Verkäuferin Anna in einem der offiziellen WM-Shops. Kunden? Keine, wie schon am Vormittag. Für die Beantwortung der Frage, ob die Geschäfte schlecht laufen, bedarf es der Spracherkennung und Übersetzung von Google.

Das klappt zunächst überhaupt nicht, was Anna nicht vorzuwerfen ist, da die Übersetzungshilfe von Englisch auf Russisch und umgekehrt zwar schöne Sätze entwirft, die aber leider wenig bis nichts mit dem Gesprochenen zu tun haben. Lost in Google-Translation. Erst der vierte, so einfach wie möglich gehaltene Versuch gelingt. "Heute ist es ruhig", antwortet Verkäuferin Anna diplomatisch.

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Merchandising-Geschäfte in Russland schwächeln

Das deckt sich nicht nur mit den Medienberichten, wonach die Merchandising-Geschäfte in Russland schwächeln, sondern auch mit den sonstigen Eindrücken aus Moskau kurz vor der WM-Eröffnung. Euphorie ist allenfalls sehr punktuell zu erkennen und eher bei den Gästen als bei den Gastgebern.

Die Russen fallen dafür mit einer bestmöglichen Organisation und vielen Sicherheitsvorkehrungen und -kräften auf, an Metros, Malls, öffentlichen Plätzen und rund um die Stadien. Im Alltagsleben ist wenig bis nichts von der WM zu sehen und zu spüren, die Vorfreude der Russen wirkt allenfalls verhalten, wohl auch wegen der geringen Aussichten ihrer Mannschaft.

Aber viele scheinen sich zu erfreuen an der ungewohnten Ausgelassenheit, die mit den Gästen aus aller Welt Einzug hält. Und spät am Abend im Innenhof eines Wohnblocks aus Sowjetzeiten ertönen tatsächlich noch einmal zarte "Russia"-Rufe. Sie stammen von einem kleinen Mädchen, das gerade mit seinen Eltern nach Hause kommt, wohl aus dem Trubel nahe des Kremls. Die Eltern ermahnen das Mädchen zur Ruhe.

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