Rio de Janeiro, im Juli.
"Freunde der Tonne!"
Sie ist kleiner als erwartet, ihre Präsenz trotzdem beeindruckend.
Sie bestellt beim Kellner des Teamhotelrestaurants einen Cafe con Leche und Garnelen im Speckmantel.
Sie isst die Garnelen so, wie sie die Interviewanfragen beantwortet: angespannt, gestresst, sichtlich aufgewühlt von der Anstrengung der vergangenen Tage.
Der Versuch, mit ihr ein Gespräch über all das zu führen, den plötzlichen Ruhm nach dem Wut-Interview von Per Mertesacker, die Kritik daran, wie es von nun an weitergehen soll, gestaltet sich folglich etwas kompliziert.
SPORT1: Eistonne, Glückwunsch zu Ihrem Einzug in den allgemeinen Kanon der Fußballsprache. Um aber gleich mit einer kritischen Frage einzusteigen: Warum gestaltete sich Ihr Weg dorthin so schwerfällig?
Eistonne: Völlig wurscht. Ich war in den Twitter-Trends unter den ersten acht und das zählt.
SPORT1: Aber das allein kann ja nicht das Niveau sein, was Sie sich vorher ausgerechnet haben, einen Tag lang in den Twitter-Trends zu stehen. Dass man sich noch steigern muss, um auch in ein paar Jahren noch Allgemeingut zu sein, denke ich, dürfte auch Ihnen klar sein.
Eistonne: Was wollen Sie jetzt von mir? Was wollen Sie jetzt, so kurz nach dem Hype? Kann ich nicht verstehen.
SPORT1: Ich gratuliere erstmal, also nochmal - und wollte dann fragen, warum es wiederum noch nicht so gut gelaufen ist, wie man sich das letztgültig vorstellt. Dass - nur als Beispiel - auch Barack Obama Sie auf Twitter erwähnt, oder Rihanna. Was dazu noch verbessert werden muss im Umschaltspiel zwischen Boulevard und Qualitätspresse, was das Berichten über Wut-Interviews mit Eistonnen angeht. Nur so.
Eistonne: Glauben Sie jetzt, dass das so einfach geht? Glauben Sie jetzt, dass die Konkurrenz unter den besten 16 Wut-Interviews irgendwie Karnevalsreden sind oder was? Die haben es Per und mir richtig schwer gemacht, hier zur Geltung zu kommen. Käse, Mist, Scheißdreck, am Arsch geleckt, Tiefpunkt, niedrigerer Tiefpunkt: Das war ein Auf und Ab, da muss man lange Zeit das Niveau halten, das haben wir geschafft, am Ende auch verdient, Freunde der Tonne. Alles andere: Per Mertesacker hat sich jetzt drei Tage in mich reingelegt und nun sehen wir weiter.
SPORT1: Ein absoluter Kraftakt, eine Energieleistung. Glauben Sie aber auch, dass bei Ihrem Zusammenspiel mit Per Mertesacker jetzt zusätzlich dazu auch noch dieser Wow-Effekt kommt, so wie 1997, bei der anderen Tonne, mit Klinsmann?
Eistonne: Ich versteh die ganze Fragerei nicht.
SPORT1: Lassen Sie mich die Frage noch einmal anders formulieren: Welche feuilletonistische Deutung Ihres Zusammenspiels mit Per Mertesacker finden Sie schlüssiger? Sehen Sie das Ganze mehr als Aufbegehren gegen ein Verhaltensideal der professionellen Munterkeit und die Mentalität des wendigen Karrieristen, das inzwischen in allen Segmenten der Gesellschaft herrscht, wie von der "Zeit" diagnostiziert oder - wie von der "FAZ" gefordert, als Anlass, dass der Journalismus aus der Epoche der als selbiger nur drapierten Aufmerksamkeitsökonomie heraus- und sein Selbstverständnis als kritischer Beobachter des sportlichen Zeitgeschehens wiederfindet?
Eistonne: Wat wollen Sie?
SPORT1: Nur so.
Eistonne: Ich bin jedenfalls superhappy und bereite mich auf Frankreich vor.
SPORT1: Dazu alles Gute.
Eistonne: Danke.
SPORT1: Bitte.
Eistonne: Wo sind meine Flip-Flops?
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