Raus im DFB-Pokal, raus in der Champions League, raus in der Europa League – der BVB hat sich aus allen drei Wettbewerben vorzeitig verabschiedet.
Die fünf Baustellen des BVB
Nicht erst seit dem 2:2 bei den Glasgow Rangers (Hinspiel: 2:4) und dem damit verbundenen K.o. in den Playoffs der Europa League ist klar, dass sich bei Borussia Dortmund zwingend etwas ändern muss. (KOMMENTAR: Diese Pleite kostet den BVB womöglich mehr als Haaland)
„Ein ‚Weiter so‘ wird es nicht geben“, kündigte Sebastian Kehl im kicker an. „Das ist für unsere Ansprüche natürlich zu wenig und stimmt uns nachdenklich. Wir werden es gut aufarbeiten und aus unseren Analysen klare Entscheidungen ableiten.“
Der ehemalige BVB-Kapitän, der zurzeit noch den offiziellen Titel Lizenzspielerchef trägt, übernimmt ab Sommer den Sportchef-Posten von Michael Zorc (hört nach 22 Jahren auf).
Gleich zu Beginn steht Kehl vor diesen fünf Baustellen:
1. Kaderumbruch einleiten
Die Zick-Zack-Fahrt in der laufenden Saison hat einmal mehr gezeigt, dass es im Sommer zwingend einen Kaderumbruch braucht. (BERICHT: Effenberg fordert Konsequenzen beim BVB)
Aktuell kicken zu viele überbezahlte Durchschnittsspieler beim BVB, in der Breite fehlt es zudem an Qualität. Von der Bank können Steffen Tigges, Youssoufa Moukoko, Jesus Reinier oder Felix Passlack nur bedingt helfen.
Das Qualitäts-Problem in der Breite wird Kehl so schnell nicht lösen können, dafür macht er sich allerdings längst intensiv Gedanken, wie man sich punktuell verstärken kann. Vor allem in der Abwehr muss sich etwas tun – 58 Gegentore in 35 Pflichtspielen sind absurd schlecht (1,6 Gegentore im Schnitt pro Spiel).
In Niklas Süle (kommt ablösefrei vom FC Bayern) wurde der Anfang gemacht, Nico Schlotterbeck (Freiburg) und Noussair Mazraoui (Amsterdam) könnten folgen. Für die Offensive befindet sich Karim Adeyemi (Salzburg) im Anflug. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Bundesliga)
Kehl muss außerdem den Mut haben, Spieler mit größeren Namen abzugeben. Der Vertrag von Routinier Axel Witsel wird nicht verlängert. Zu den Verkaufskandidaten müssen im Sommer auch Manuel Akanji (Manchester United ist dran), Emre Can, Nico Schulz, Marius Wolf, Julian Brandt und Thorgan Hazard gehören.
Spieler nach Dortmund locken wird für Kehl aus zwei Gesichtspunkten eine verdammt schwere Aufgabe: Einerseits hat das europäische Ansehen durch die Knockouts gelitten, zudem ist nur wenig Geld da. (BERICHT: Europa-Aus hat bittere Folgen für BVB)
Die Corona-Pandemie und das verfrühte Ausscheiden aus der Europa League haben Folgen: Am Freitag gab der börsennotierte Pott-Klub per Ad-hoc-Meldung bekannt, dass der bisher prognostizierte Verlust von 12 bis 17 Mio. Euro nicht mehr zu halten sei. Stattdessen rechnet man nun mit einem Jahresfehlbetrag zwischen 17 und 24 Mio. Euro.
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2. Verletzungsprobleme mindern
Raphael Guerreiro verletzte sich schon vorm Glasgow-Spiel, Thomas Meunier und Emre Can während der Partie – die Verletztenmisere reißt einfach nicht ab. Wieder sind es muskuläre Probleme. Auch Erling Haaland fällt deshalb weiterhin aus und wird auch am Sonntag in Augsburg noch nicht zur Verfügung stehen.
Hinzu kommen die Ausfälle von Giovanni Reyna, Dan-Axel Zagadou und Manuel Akanji. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die Saison. Kehl muss und wird alles auf den Prüfstand stellen und entsprechend handeln.
Die Fragen, die er sich stellen muss: Stimmen Trainingssteuerung und -Belastung? Geht in der Reha alles mit rechten Dingen zu? Wie professionell arbeitet die medizinische Abteilung? Auch vor personellen Konsequenzen darf der neue Sportchef nicht zurückschrecken.
Ihm wird sicher nicht verborgen geblieben sein, dass viele Spieler ihre medizinischen Untersuchungen und die Reha lieber woanders statt in Dortmund machen. Für einen Top-Klub wie den BVB nicht gerade ein Merkmal für Qualität.
3. Teamgeist fördern
Zurzeit elf Einzelspieler auf dem Platz. Innerhalb der Mannschaft rumort es gewaltig. Nach SPORT1-Informationen ist die Stimmung in der Kabine so schlecht wie lange nicht mehr. (DATEN: Die Tabelle der Bundesliga)
Kaum ein Spieler steht offen zu seinen Fehlern, zeigt lieber mit dem Finger auf andere. Einen lebendigen Teamgeist, wie es ihn gegen Ende der vergangenen Saison gab und die im DFB-Pokalsieg endete, gibt es aktuell nicht.
Bestes Beispiel dafür: Die lautstarke und sichtbare Kritik in Glasgow von Jude Bellingham an Mitspieler Nico Schulz. Der Engländer faltete den Verteidiger nach einem misslungenen Pass in der 78. Minute zusammen, anstatt ihn aufzubauen. (BERICHT: Wüste Tirade! Bellinghams Zorn trifft Mitspieler)
Kehl muss gemeinsam mit Trainer Marco Rose, dessen Stab und den Spielern wieder den Teamgeist fördern und gute Stimmung in die Kabine bringen.
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4. Haaland und Bellingham überzeugen
Erling Haaland und Jude Bellingham sind die mit Abstand wichtigsten Spieler bei Borussia Dortmund. Während Haaland (Vertrag bis 2024) den BVB im Sommer aufgrund einer 75-Mio-Klausel verlassen kann, läuft Bellinghams Vertrag ohne eine solche Klausel noch bis 2025.
Mit peinlichen Auftritten wie dem gegen Glasgow fällt es schwer, die beiden Mega-Talente perspektivisch für den BVB zu überzeugen. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der Bundesliga)
Schafft es Kehl tatsächlich in den nächsten Wochen, vor allem Haaland (wird vor allem von Manchester City und Real Madrid ernsthaft umworben) von einem Verbleib in Dortmund zu überzeugen, wäre das ein Riesen-Coup, der dem künftigen Sportchef gleich Profil geben würde.
Bei Bellingham deutet sich ein Abflug noch nicht an. Aber auch ihn muss Kehl trotz immer wiederkehrender Lockrufe aus England langfristig für das Projekt Borussia Dortmund überzeugen.
5. Reus und Hummels nicht überbewerten
Kehl übernimmt und steht gleich vor seiner schwierigsten Entscheidung: Wohin mit Kapitän Marco Reus und Mats Hummels?
An den beiden Routiniers, die – keine Frage (!) - große Verdienste für den BVB und den deutschen Fußball erbracht haben, nagt der Zahn der Zeit. Sie haben zu viele Schwankungen in ihren Leistungen. Mal spielen sie auf Weltklasse-Niveau, mal fehlerbehaftet, mal tauchen sie gänzlich ab – so sind sie nur bedingt eine Hilfe.
Die Verträge der beiden BVB-Identifikationsfiguren laufen noch bis 2023. Eine verfrühte Entscheidung diesbezüglich wird es nicht geben. Nach der Saison werden sich die BVB-Macher hinsetzen und die Lage mit den Spielern besprechen.
SPORT1-Experte Stefan Effenberg stellte in seiner Kolumne für t-online.de klar: „Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sie noch zwei Jahre länger bleiben. Die Leistung muss zum Gehalt passen.“
Eine Stammplatz-Garantie darf es auch für Reus und Hummels nicht geben. Im besten Fall schafft es Kehl zusammen mit Coach Rose, dass die beiden Stars als wichtige Stützen am Umbruch mitwirken, aber auch bei einem Bankplatz nicht murren.
Auf Bald-Sportchef Kehl wartet eine Menge Arbeit. Er selbst sagt: „Die Situation ist eine Herausforderung, das ist offensichtlich, aber wir nehmen sie entschlossen an.“