Nach dem dramatischen EM-Aus der deutschen Nationalmannschaft im Viertelfinale gegen Spanien (1:2 n. V.) ist die Handspiel-Szene aus der 106. Minute weiterhin Diskussionsthema Nummer eins.
„Das ist ein klarer Strafstoß“
Für Markus Merk, dreimaliger FIFA-Weltschiedsrichter, ist die Sachlage dabei klar. „Für mich persönlich ist es ein ganz klarer Strafstoß“, sagte der ehemalige Topschiedsrichter am Sonntag im fenster.com EM-Doppelpass auf SPORT1. Zwei Dinge seien dabei für ihn entscheidend: „Die Intention war ganz klar, diesen Schuss zu blocken – das ist ähnlich wie bei einer Grätsche: Treffe ich den Ball, ist es kein Foul. Treffe ich den Gegenspieler, wird auf Foul entschieden.“
Merk mit deutlichem Statement
Cucurella neige sich in Richtung des Balles, „und dann wird das Handspiel mit dem abgespreizten Arm für mich fahrlässig“, erklärt Merk weiter. Bei einem weiteren Argument stimmt er Bundestrainer Julian Nagelsmann zu.
„Der Strafstoß ist die härteste Spielstrafe – und bei Handspiel müssen wir auch immer die Wirkung betrachten. Hier war der Schuss mit der größten Torgefahr verbunden – es war kein Schuss, der irgendwo an der Eckfahne gelandet wäre.“ Parteiisch sei er bei seiner Meinung aber nicht: „Selbst, wenn es gegen uns gewesen wäre: Das ist ein klarer Strafstoß“, wird Merk nochmal deutlich.
Rückblick: In der 106. Minute hatte Spaniens Linksverteidiger Marc Cucurella einen Torschuss von Jamal Musiala im Strafraum mit der linken Hand geblockt. Zur Verwunderung aller deutschen Spieler und Fans blieb die Pfeife des englischen Schiedsrichters Anthony Taylor jedoch stumm.
Effenberg: „Eine komplett natürliche Handbewegung“
SPORT1-Experte Stefan Effenberg vertritt jedoch eine andere Meinung als Merk. „Aus Fußball-Sicht natürlich Elfmeter, nach den Regeln eben nicht“, sagt der ehemalige Bayern-Spieler. In einer Schiedsrichterschulung sei vor der EM für die Unparteiischen nochmal die Handspielregel erläutert worden.
„Die Handbewegung ist eine komplett natürliche Handbewegung. Wenn man es genau sieht, ist die Hand eher hinten und er geht ja noch weg“, erklärt Effenberg seine Sicht der Dinge. Taylor habe sich also nur daran gehalten, was von oberste Stelle zuvor vorgegeben wurde.
Regeländerung Aufgabe der FIFA
Die Diskussion zeigt, dass die Handspielregel viel Handlungs- und Interpretationsraum zulässt. Für Merk ein Unding: „Mehr Handlungsspielraum und Ermessensspielraum ist das Schlechteste, was es für die Schiedsrichter geben kann – sie wollen Klarheit.“
Laut Merk sei es jedoch die Aufgabe des International Boards der FIFA, über eine Regeländerung nachzudenken. Einen Vorschlag hat der 62-Jährige jedoch bereits. „Warum gebe ich da also nicht einfach einen Freistoß? Einen direkten oder indirekten Freistoß kann es im Strafraum zwar nicht geben, aber warum verlagere ich dann den Tatort nicht außerhalb des Strafraums?“