Gareth Southgate ballte die Fäuste und schrie all seine Freude und Anspannung heraus. Als seine Spieler ihre Jubelarie mit den Fans beendet hatten, bahnte sich Englands Nationaltrainer noch einmal alleine den Weg zu den Anhängern - und ließ sich für den Final-Einzug feiern.
Verwirrend - aber brillant
An diesem Abend in Dortmund hatte sich der Gescholtene endgültig freigeschwommen. Was auch mit Harry Kane zu tun hat. In der 81. Minute ging Southgate volles Risiko. Er wechselte Kane aus, seinen Kapitän, die Tormaschine, den Rekordtorschützen seines Landes.
Eine mutige Entscheidung, die ihm im Falle einer Niederlage sicherlich um die Ohren geflogen wäre, was sie aber nicht tat. Der für Kane eingewechselt Ollie Watkins, Spieler von Aston Villa, der bei der EM bislang nur 20 Minuten zum Einsatz, erzielte in der 91. Minute den Siegtreffer und beförderte England ins Finale.
Southgate „verwirrend“ aber „brillant“
„Der Technokrat hat sich in einen rücksichtslosen Abenteurer verwandelt“, schrieb der Guardian über Southgate. Seine Auswechslung sei „verwirrend“, aber am Ende eben auch „brillant“ gewesen.
Der langjährige Premier-League-Profi Jamie O‘Hara attestierte dem englischen Coach „dicke Eier“ gezeigt zu haben. Bis dato wurden insbesondere Southgates zu späte oder falsche Auswechslungen kritisiert, doch nun hat sich das Blatt gewendet.
„Manchmal kann es eben so funktionieren“, gab der Gefeierte selbst nach der Partie bei ITV nüchtern zu Protokoll. „Das Wichtigste ist, dass der ganze Kader jederzeit bereit ist, reinzukommen.“
„Musste Kritik von überbezahlten Experten über sich ergehen lassen“
Weit euphorischer drückten sich andere Beobachter aus. „Was auch immer passiert, Gareth hat einen fantastischen Job gemacht“, schrieb der ehemalige Arsenal-Kapitän Jack Wilshere in seiner Kolumne für die Sun. „Er ist bereits der zweiterfolgreichste Trainer Englands. Und wir hatten schon einige Top-Trainer, das ist ein großes Lob für ihn.“
Und auch der Chefreporter des englischen Boulevard-Blattes waren voll des Lobes. „Mit bewundernswerter Zen-artiger Ruhe hat Southgate (sicher bald Sir) in aller Stille bewiesen, dass seine Kritiker Unrecht haben“, schrieb Oliver Harvey.
„Während er Englands Weg ins Finale führte, musste er die massive Kritik von ehemaligen Spielern, überbezahlten Experten und vielen Sesselpupsern über sich ergehen lassen. Aber behielt immer einen kühlen Kopf.“
Und der hat ihn und seine Engländer bis ins große Endspiel in Berlin geführt. Am 14. Juli hat Southgate die Chance, all seine Kritiker ein für alle Mal mundtot zu machen. Überraschen würde es inzwischen wahrscheinlich niemanden mehr, sollte es ihm am Ende tatsächlich gelingen.