Eigentlich könnte man ja meinen, die Laune müsste prächtig sein, wenn man ein EM-Achtelfinale erreicht. Doch dieses Jahr scheint das nicht zwangsläufig so - wie die Engländer hinlänglich bewiesen haben und nun auch die wieder mal enttäuschenden Belgier zur Schau stellten.
Hat Tedesco die Kontrolle verloren?
Oder zumindest deren Fans. Die quittierten das trostlose 0:0 gegen die Ukraine zum Abschluss der Gruppenphase mit lauten Buhrufen, Pfiffen und gesenkten Daumen.
Denn selbst dieser eine Punkt wirkte am Ende eher glücklich. In den Schlussminuten kamen mutige Ukrainer zu mehreren Großchancen, konnten diese allerdings nicht in den goldenen Treffer ummünzen. „Nach der Niederlage im ersten Spiel war das nicht einfach“, sagte Tedesco mit Blick auf das 0:1 gegen die Slowakei und reagierte auf die vielen wütenden Anhänger der Roten Teufel noch recht sachlich: „Die Fans können unzufrieden sein. Aber wir brauchen sie.“
Harte Tedesco-Kritik wegen Anreise
Tedesco jubelte beim Gang in die Katakomben zwar nochmal mit geballter Faust in Richtung der Tribüne, nachdem er sein Team infolge des Pfeifkonzerts an der Mittellinie zusammenholte und für die kommenden Aufgaben einschwor. Dennoch blieb der Eindruck, dass der 38-Jährige durch die ziemlich überschaubaren Auftritte in der Vorrunde gerade leicht gereizt daherkommt - was nicht zuletzt an der gestrigen Pressekonferenz lag, die er nach dem Spiel abhielt. Da kritisierte er nur die für sein Empfinden viel zu langsame Anreise.
„Ich möchte eines klarstellen. Unter welchen Umständen wir hier angekommen sind, so etwas habe ich noch nie erlebt“, schimpfte der einstige Bundesliga-Coach über die schwierige Situation an der Stuttgarter Arena. „Wir sind eine Stunde vor Anpfiff angekommen. Unsere Polizei-Eskorte ist 20 km/h gefahren. Es gab kein Blaulicht. Die Straße war komplett frei. Wir haben trotzdem über eine Stunde für die Anreise aus dem Teamhotel gebraucht.“ Das sei doch „unglaublich“, echauffierte sich der spürbar angefressene Tedesco weiter, der deshalb keine richtige Ansprache mehr halten konnte.
Zugegeben, seit der Deutsch-Italiener die belgische Nationalmannschaft 2023 in einer schwierigen Lage übernommen hat, wirkte er im Prinzip belebend. Sein Vorgänger Roberto Martínez galt damals als gescheitert, weil er einer goldenen Generation um Stars wie Eden Hazard, Vincent Kompany und Dries Mertens nie einen Titel holte, so sollte ein Umbruch her - und der klappt rein von den Resultaten her auch. Von den 17 Länderspielen, die Tedesco bisher an der Seitenlinie stand, haben sie lediglich eines verloren.
Tedesco? „Kein guter Trainer für Belgien“
Seither schlug Belgien unter anderem Deutschland, damals noch unter Hansi Flick, wie auch Österreich mit Ralf Rangnick. Gegen England errangen die Roten Teufel immerhin ein Remis, weshalb der Verband Tedescos Vertrag noch vor dem EM-Start bis 2026 verlängerte. Doch nach der unerwarteten Auftakt-Pleite gegen die Slowakei musste er viel Kritik einstecken - nicht zuletzt von Peter Trossard, Vater von Belgien- und Arsenal-Star Leandro Trossard, der sich der belgischen Zeitung De Morgen zu Wort meldete.
„Ich finde, dass Tedesco kein guter Trainer für Belgien ist“, urteilte Trossards Vater, da sein Filius gegen Rumänien zunächst auf der Bank saß und später eingewechselt wurde - allerdings auf dem rechten und nicht wie angestammt auf dem linken Flügel. Daher fügte Peter Trossard hinzu: „Auch wenn er nicht ganz so stur ist wie vor ihm Roberto Martínez: Leandro wird kritisiert, aber er wurde von einer Position auf die nächste geschoben. Auf diese Weise bekommt man keine Linie in sein Spiel.“
Tedescos gute K.-o.-Bilanz
Im Achtelfinale erwartet Belgien mit dem französischen Team nun ein harter Brocken. Es gibt sicherlich leichtere Aufgaben, um die Diskussionen kleinzuhalten und die entstandene Missstimmung zu korrigieren. Andererseits hat Tedesco zu seinen Klub-Zeiten bewiesen: Wenn er eines ist, dann ein begabter Trainer für K.-o.-Wettbewerbe. 2018 führte er Schalke ins Halbfinale des DFB-Pokals. 2020 schaffte er gleiches mit Spartak Moskau. Und mit RB Leipzig gewann er 2022 sogar den DFB-Pokal.
Doch sollte der ewige Geheimfavorit gegen Frankreich am Montag tatsächlich die Segel streichen müssen - wobei das Team von Trainer Didier Deschamps zugegeben auch noch nicht glänzt - wäre der Aufruhr in Belgien erwartbar groß.
So würde Tedesco wohl mit einer Phrase konfrontiert werden, die ihn schon auf Schalke oder in Leipzig beschäftigt hat: Gut angefangen, dann zu defensiv eingestellt und doch stark nachgelassen.