„Sie haben wahrscheinlich sehr viele Fragen auf Ihrer Liste, aber heute haben wir gezeigt, welchen Charakter wir haben.“
Geliebt, gefeiert - und verdammt
Jude Bellingham versuchte dem Reporter den Wind aus den Segeln zu nehmen, ehe dieser selbst auf die Idee kam, nach den ersten 94 Minuten von Englands Achtelfinale gegen die Slowakei zu fragen.
Jener Bellingham hatte die Three Lions mit einem Sensationstor kurz vor dem Ende der regulären Spielzeit am Leben gehalten und die Verlängerung erzwungen. Ein Kopfballtreffer von Harry Kane zum 2:1-Sieg machte dann den Einzug ins Viertelfinale perfekt.
„Die Comeback-Könige. Jude Bellingham und Harry Kane retten die Three Lions vor der Schamesröte, nachdem die Turnierfavoriten nur EINE MINUTE vor dem peinlichen Ausscheiden standen“, schrieb die Daily Mail nach dem englischen Happy End.
England-Presse: „95 Minuten unerträglicher Peinlichkeit“
„Gott schütze Bellingham“, schrieb die spanische Marca gar - doch der Star von Real Madrid bekam im gleichen Maße medialen Gegenwind für seine überschaubare Leistung vor dem finalen Knall.
„Er war ein Schatten seiner selbst, seit er nach dem Europapokalsieg von Real Madrid zu spät ins Trainingslager kam“, schrieb der Mirror - und inkludierte die ersten 94 Minuten aus dem Slowakei-Spiel. „Jetzt hat er gezeigt, warum er zu den besten Spielern Englands gehört.“
Vor diesem lichten Moment machte der 21-Jährige gegen die hartnäckigen Slowaken nicht den Eindruck, als habe er seine spielerische Krise aus der Gruppenphase überwunden.
In den „95 Minuten unerträglicher Peinlichkeit“, wie es die Sun formulierte, war vom designierten Anführer wenig zu sehen. Bellinghams Versuche, das Spiel an sich zu reißen, scheiterten kläglich - bis zu seiner Tor-Explosion.
Bellingham erscheint bei EM ausgelaugt
Dass der Nationalspieler nicht mehr in der Gala-Form der abgelaufenen Saison ist, als er mit Real Madrid Meisterschaft und Champions League gewann, war schon in den Gruppenspielen zu sehen.
Der Superstar selbst gab in der YouTube-Show „Lions‘ Den“ einen Hinweis darauf, als er sich an die Anhänger der Three Lions wand: „Du ziehst zum Spielende definitiv auch Energie von den englischen Fans“, sagte er, ehe er verriet. „Ich habe das im letzten Spiel gespürt. Ich war komplett tot. Aber dann hörst du sie singen, sie rufen.“
Und: „Du kannst mal auf einem Level spielen, das nicht unser bestes ist“, gestand Bellingham daher auch weiter ein: „Das ist normal, das kann passieren.“ Augenfällig ist dennoch, dass die abgelaufene Saison deutliche Spuren hinterlassen hat.
Auf einem schmalen Grat zwischen Anspruch und Wirklichkeit befindet sich Bellingham aber nicht nur, was seine Leistung im EM-Turnier angeht - sondern auch mit seinem Verhalten auf dem Platz.
Kramer: „Manchmal nervt der mich“
„Er ist natürlich ein herausragender Spieler, er muss nur insgesamt aufpassen, dass er nicht anfängt, Allüren zu bekommen“, kritisierte Christoph Kramer im ZDF die Attitüde des Youngsters. Mit abfälligen Gesten in Richtung der eigenen Kollegen und beim Provozieren von Fouls und Gelben Karten tue er sich keinen Gefallen, befand Kramer.
Nach dem Turnier, so die Hoffnung des Weltmeisters von 2014, werde Bellingham „ein bisschen reflektierten, weil ich, glaube ich, nicht der Einzige bin, der sagt: Manchmal nervt der mich.“
Bis es möglicherweise dazu kommt, hofft die englische Fußballnation auf weitere Glanzlichter ihres Retters. Da können die Listen der Reporter mit unangenehmen Fragen noch so voll sein.