Der englische Fußball und das Elfmeterschießen - das ist eine Geschichte für sich. Sieben Mal scheiterten die Three Lions bereits bei Welt- oder Europameisterschaften. Nun scheint das Trauma vorerst überwunden.
Der streng geheime Masterplan
Der jüngste Erfolg im Elfmeterschießen gegen die Schweiz ist das Ergebnis eines rigorosen und langjährigen Projekts, das 2018 durch Gareth Southgate ins Leben gerufen wurde.
Der englische Fußballverband bildete ein fünfköpfiges Projektteam für Elfmeterschießen, darunter Chris Markham, der damalige Leiter für Spielverständnis. Markham wandte sich an den norwegischen Sportpsychologen Geir Jordet, der als einer der führenden Experten auf dem Gebiet des Elfmeterschießens gilt.
Eine zentrale Erkenntnis Jordets ist die Bedeutung der Kontrolle. Die Spieler sollen sich vor dem Schuss bewusst Zeit nehmen, um die Nerven zu beruhigen und die Situation zu kontrollieren. Im Viertelfinale brauchten die englischen Schützen durchschnittlich 5,2 Sekunden, die Schweizer dagegen nur 1,3 Sekunden.
Pickford bringt Akanji aus dem Konzept
Diese Verzögerungstaktik nutzte auch Torhüter Jordan Pickford, der die Schützen oft länger warten ließ, bis der Elfmeter freigegeben werden konnte. Beim Schuss von Manuel Akanji schlenderte Pickford langsam zum Tor und entschuldigte sich dann noch für seine Verspätung. Die Taktik ging auf, Akanji versagten die Nerven, Pickford konnte parieren.
Doch auch die psychologische Unterstützung ist ein zentraler Faktor der englischen Strategie. So wurde ein „Buddy-System“ eingeführt, bei dem jeder Schütze von einem Mitspieler unterstützt wird, um das Gefühl der Isolation nach einem Fehlschuss zu vermeiden.
Diese Maßnahme war eine direkte Folge des dramatisch verlorenen Finals bei der EM 2021, als Bukayo Saka oder Jadon Sancho nach ihren verhängnisvollen Fehlschüssen alleine zurückliefen.
England verlor das Finale vor eigenem Publikum im Londoner Wembley-Stadion gegen Italien (2:3 i.E.). England verschoss drei Elfmeter in Folge, neben Saka und Sancho auch der kurz zuvor eingewechselte Marcus Rashford.
Gegen die Schweiz trafen alle fünf englischen Schützen, das hatte es zuvor noch nie gegeben. Auch Saka traf souverän.
Elfmeter-Taktiken soll geheim bleiben
Trotz des Erfolges soll die genaue Vorgehensweise Englands beim Elfmeterschießen weiterhin streng geheim bleiben.
Die Spieler Marc Guéhi und Ezri Konsa durften auf Anweisung der FA keine Details preisgeben, um den Druck zu mindern und weitere Methoden zu schützen. Generell werden Fragen zu diesem Thema bei der Euro 2024 strikt unterbunden.
Ein Mitglied des englischen Medienteams griff ein, als Pickford am Samstagabend zu seiner Elfmeterstrategie befragt wurde. Aufgefallen war Pickford auch durch eine Art Spickzettel auf seiner Getränkeflasche, auf der die Angewohnheiten der gegnerischen Schützen festgehalten wurden.
Southgates Wunsch ist klar: Das englische Elfmeter-Trauma, das er 1996 im EM-Halbfinale gegen Deutschland durch seinen Fehlschuss selbst auslöste, soll endgültig der Vergangenheit angehören.