Für die Partie gegen Ungarn hatte sich Bundestrainer Julian Nagelsmann ein paar taktische Änderungen im Vergleich zum 5:1-Auftaktsieg gegen Schottland überlegt.
Kroos‘ Neuerfindung des Liberos
So war Ilkay Gündogans Grundposition etwas tiefer und Kai Havertz driftete häufiger zur rechten Seite in den Rücken von Márton Dárdai. Auch weiter hinten gab es kleine Anpassungen, denn Toni Kroos agierte in der ersten Phase des Spielaufbaus vermehrt aus der Mitte heraus.
Im ersten EM-Spiel war der 34 Jahre alte Spielgestalter zunächst noch halblinks neben Jonathan Tah und Antonio Rüdiger aufgetaucht, um die für das DFB-Team standardmäßige Dreierreihe im Aufbau zu bilden.
Kroos hat viele Jahre vornehmlich von hinten links das Spiel seiner Mannschaft angekurbelt. In Diensten von Real Madrid war das Normalität und nach seiner Rückkehr zur DFB-Auswahl änderte auch Nagelsmann nichts an den Gewohnheiten von Kroos, wenngleich im Testspiel gegen Frankreich im März Kroos und Robert Andrich immer mal die Positionen tauschten.
Kroos‘ Abkippen verändert Deutschlands Spiel
Während der laufenden EM ist Andrich im Spielaufbau jedoch stets auf der Sechs vor Kroos, Tah und Rüdiger zu finden. Über den genauen Grund für Kroos‘ Abkippen zwischen die beiden Innenverteidiger - anstelle des Herausfallens nach halblinks - kann natürlich erst einmal nur spekuliert werden.
In jedem Fall musste Tah dadurch in der Spieleröffnung weniger häufig den Ball nach links und rechts verteilen. Der Leverkusener Verteidiger zeigte zuletzt ein paar Problemchen bei der Gewichtung seiner Pässe, sprich der Dosierung von Druck und Länge. Da Tah gegen Ungarn häufiger halblinks positioniert war, konnte er ähnlich wie Rüdiger halbrechts immer mal nach vorn andribbeln.
Ungarn mit punktuellen Pressingerfolgen
Allerdings verdeutlichte das zweite Gruppenspiel auch, dass Deutschland weiterhin Schwierigkeiten gegen ein Drei-Mann-Pressing haben könnte. Roland Sallai, Dominik Szoboszlai und Barnabás Varga liefen vereinzelt hoch und mannorientiert an und konnten so Deutschlands Vorankommen stören.
Abhilfe leistete in diesen Szenen in der Regel Joshua Kimmich oder auch Ilkay Gündogan, wenn sich einer der beiden über die Halbräume zurückfallen ließ. Andrich spielt weiterhin keine nennenswerte Rolle im Aufbau, weil er als einzelner Sechser in aller Regel vom Gegner abgedeckt wird und auch nicht genügend Sicherheit besitzt, um nach einer Ballannahme auf engem Raum unter Druck aufzudrehen.
Kroos erinnert an Franz Beckenbauer
Im Laufe der Partie gegen Ungarn variierte Kroos regelmäßig seine Position und tauchte auch wie gehabt auf halblinks auf. Je mehr Platz der deutsche Ankurbler hat, desto eher kann er sich in Richtung Feld drehen und mit seinem starken rechten Fuß einen seiner bekannten Diagonalbälle spielen.
Auf gewisse Weise erinnert Kroos damit natürlich an andere tiefstehende Spielgestalter in der Nationalmannschaftshistorie - sei es ein Franz Beckenbauer in seiner Rolle als Innenverteidiger 1974 oder auch Matthias Sammer als zentraler Teil der deutschen Aufbaulinie 1996.
Geht es nach dem Willen von Kroos, möchte er seine Karriere auch mit jener Trophäe beenden, die 1996 letztmals von einer DFB-Auswahl gewonnen wurde.