Europa ist bei der EM in Feierlaune. Vor allem kleine Nationen wie Georgien, Rumänien, Slowenien oder die Slowakei begeistern die Fans mit ihrem mutigen Auftritten, die jüngst mit dem Einzug ins Achtelfinale des Turniers belohnt wurden.
Der Architekt des Fußballwunders
Für die Georgier ist das schon bei der ersten Teilnahme an einem großen Turnier der größte Erfolg der Verbandsgeschichte. Einer der Architekten dieses Fußballmärchens ist der ehemalige Bayern-Star Willy Sagnol.
Nach Trainerstationen in der französischen U21-Nationalmannschaft, bei Girondins Bordeaux und als Co-Trainer von Carlo Ancelotti beim FC Bayern verschwand Sagnol vier Jahre lang von der Bildfläche.
„Wie es abgelaufen ist, das war nicht mehr der FC Bayern, den ich kannte. Eine Trennung lief in diesem Verein immer mit Stil ab, bei mir war das leider nicht so“, kritisierte Sagnol nach seinem Bayern-Aus im Jahr 2017 bei SPORT1 und erklärte: „Ich war traurig und irritiert.“
2021 heuerte der Franzose schließlich als Nationaltrainer Georgiens an und erarbeitete sich nach mehr als drei Jahren harter Arbeit längst die Wertschätzung, die er bei seinem „Herzensverein“ noch vermisst hatte.
Über Umwege qualifizierte sich Georgien nach Platz vier in der Qualifikation für die Europameisterschaft. Im Elfmeterschießen gegen Griechenland sorgte die Elf von Sagnol in den Playoffs für die erste Überraschung, ehe das Märchen in der Gruppenphase nicht mehr aufzuhalten war.
„Willy, Willy“-Sprechchöre hallten nach dem überraschenden Sieg gegen Portugal (2:0) von den Rängen, als die georgische Nationalmannschaft das Wunder perfekt machte und in die K.o.-Phase einzog. Gesänge, die einst auch die Fans des FC Bayern für ihren Publikumsliebling angestimmt hatten.
Die Suche nach einem „hungrigen Trainer“
Die Erfolgsgeschichte begann jedoch mit einem alten Bekannten aus der Bundesliga. Lewan Kobiashwili fungiert, nach Profi-Stationen beim FC Schalke 04 und dem SC Freiburg, heute als Präsident des georgischen Fußballverbands und skizzierte ein klares Trainerprofil, das Georgiens sportliche Situation verbessern sollte.
„Wir haben konkret so einen Trainer gesucht. Für unsere Spieler, für unsere Mentalität ist das sehr wichtig, so einen Trainer zu haben, der ehemaliger Spieler ist, ein hungriger Trainer, der auch etwas beweisen will“, erklärte der Funktionär nach dem Start von Sagnol.
Inzwischen bestätigte Kobiaschwili, dass der Anteil von Sagnol am Erfolg der Nationalmannschaft „sehr groß“ sei.
Nachdem der 47-Jährige zu Beginn erklärte, es müsse „ein Neuanfang her“, wirkt die Mannschaft jetzt gefestigter denn je. Dies zeigte sich auch nach dem 1:1 gegen Tschechien am zweiten Gruppenspieltag.
Sagnol: „Ich fühle mich sehr stolz, ihr Trainer zu sein“
Saba Lobzhanidze hatte kurz vor dem Ende der Partie die Großchance auf den Siegtreffer vergeben. Während einige Trainer vermutlich erzürnt in die Kabine gerauscht wären, zeigte sich der Vize-Weltmeister von 2006 empathisch und marschierte zu seinem Spieler.
„Ich bin zu ihm gegangen, weil ich mir gut vorstellen konnte, wie er sich in diesem Moment fühlt“, erklärte Sagnol die Szene. „Ich habe versucht, ihm zu sagen: Wer es nicht versucht, kann es auch nie schaffen.“
Die oberste Prämisse des Nationaltrainers scheint derweil stets der Stolz seiner Mannschaft zu sein. „Mein stärkstes Gefühl ist definitiv Stolz. Wenn du weißt, woher wir kommen, kann man nicht enttäuscht sein. Ich bin so stolz auf die Spieler. Ich fühle mich sehr stolz, ihr Trainer zu sein“, versicherte Sagnol nach dem Unentschieden gegen Tschechien.
Ein Fokus, den der ehemalige Verteidiger auch nach der Sensation gegen Portugal verdeutlichte. „Die einzige Verantwortung, die wir hatten, war es, die georgische Nation stolz auf ihre Spieler zu machen. Und ich denke, das haben wir auf die beste Weise geschafft“, sagte er nach der Partie.
Keine Angst vor Topfavoriten: „Eine Mauer wird sich vor uns erheben“
Im Achtelfinale wartet mit Spanien nun allerdings eine der bisher stärksten Mannschaften des Turniers auf Georgien. Mit drei Siegen in den ersten drei Spielen und keinem einzigen Gegentreffer befindet sich La Furia Roja in Topform.
Zudem weist ein Blick auf die Historie bisher vier Niederlagen in vier Spielen gegen die spanische Nationalmannschaft auf.
Ein Grund zum Aufgeben? Nicht für Sagnol und seine Mannschaft. „Ich schaue schon gar nicht in die sozialen Netzwerke! Ich bin da nicht drin“, erklärte Sagnol mit Blick auf die Euphorie bei L‘Équipe.
„Ich bin vor allem in meinem Wettkampf. Der ist noch nicht vorbei. Ich will ihn nicht verlassen. Es gibt ein Spiel gegen Spanien, auf das wir uns vorbereiten müssen. Daran haben wir heute trotz eines verrückten Tages schon gearbeitet. Ich hatte keine Minute für mich“, sagte der Franzose und blickte voraus: „Eine Mauer wird sich vor uns erheben! Wie seit Beginn dieser Euro haben wir nichts zu verlieren. Es gibt keine Teams, die man meiden sollte, wenn man Georgien ist.“
Schon jetzt stehe der Erfolg „auf derselben Ebene wie der Gewinn der Champions League mit dem FC Bayern“, wie Sagnol dem kicker erklärte. Auch Nationalspieler Nika Kvekveskiri schwärmte: „Er ist einer der Nationalhelden. Er ist Franzose, aber ist jetzt Georgiens Nationalheld.“
Bis Ende zum Jahresbeginn 2025 steht Sagnol noch als Trainer der Georgier unter Vertrag. Ob es für den Franzosen noch höher hinausgeht, werden auch die kommenden Tage zeigen.