Geht er nun zu den Bayern oder nicht? Diese Frage hört Jonathan Tah aktuell fast täglich. Final entschieden hat sich der 28-Jährige noch nicht. Und dennoch hat der Kaffee-Gourmet einiges zu erzählen. Mit Bayer 04 Leverkusen hat er gerade maßgeblich zur besten Saison der Vereinsgeschichte beigetragen. Mit der Nationalmannschaft geht er in sein erstes großes Turnier als Stammspieler.
Tah schwärmt von DFB-Star
Tah hat in kurzer Zeit viel erlebt und zeigt sich im Gespräch mit SPORT1 locker, im höchsten Maße motiviert, aber bei gewissen Themen auch reflektiert und nachdenklich. Wer im DFB-Team der größte Spaßvogel ist, wer den besten Musikgeschmack hat und welcher Junge einfach „nur brutal“ ist, verrät er trotzdem.
SPORT1: Herr Tah, Sie pflegen bekanntlich eine Morgenroutine: Aufstehen, Wasser trinken, Spaziergang mit dem Hund und Atemübungen oder Meditation. Klappt das denn in ihrem neuen DFB-Alltag überhaupt?
Tah: „Ich bin ganz klar Team Siebträger“
Jonathan Tah: Klar, das mache ich immer. Man muss es natürlich der jeweiligen Situation anpassen, aber ich habe da meine klaren Rituale, ohne dass es verkrampft und gezwungen ist. Gerade bei uns im Fußball geht immer alles so schnell, du musst dich oft neu anpassen, es gibt ständig Veränderungen. Routine ist da etwas wie eine Konstante im Leben. Für mich gehört das einfach dazu, um gut in den Tag zu starten.
SPORT1: Genauso wie ein guter Kaffee, richtig? Marc-André ter Stegen hat uns verraten, dass da in DFB-Kreisen ganz schön gefachsimpelt wird.
Tah: Kaffee ist für mich ein Muss - guter Kaffee! Wir tauschen uns regelmäßig auch dazu aus. Jeder im Team behauptet immer, er hätte die besten Bohnen gefunden. Die sagen dann immer: „Probiere mal meine!“ Wir haben hier im Camp in Herzogenaurach auch eine Siebträgermaschine. Da sieht man dann sofort: Wenn sich einer einen Kaffee am Vollautomaten zieht, hat er eher weniger Ahnung. Ich glaube, ich habe letztens Rocco Reitz dort gesehen. Aber der ist ja auch noch jung (lacht). Ich bin ganz klar Team Siebträger.
SPORT1: Sie haben eine überragende Saison mit Bayer 04 Leverkusen gespielt. Wie wurden Sie in der Nationalmannschaft von Mitspielern empfangen? Waren viele neidisch auf das Double?
Tah: Neid war da überhaupt nicht dabei. Die Jungs haben uns das wirklich gegönnt und unsere Leistungen wertgeschätzt. Die Stimmung ist ohnehin wahnsinnig gut. Langsam steigt das EM-Fieber. Allein wie uns die Fans empfangen haben, war fantastisch. Jeder freut sich jetzt aber auch, wenn die Vorbereitung ein Ende findet und die Spiele beginnen. Ganz Deutschland ist heiß und hat Bock, dass es losgeht und so geht es mir auch.
SPORT1: Wenn Sie an das Finale in Dublin zurückdenken. Wurmt Sie das noch, dass ihr nicht gewinnen konntet und eure Serie ausgerechnet da gerissen ist?
Tah: Ich glaube, wir haben sehr viel aus diesem Spiel gelernt. Wenn ich daran zurückdenke, ist es natürlich traurig und enttäuschend. Aber ich will gar nicht auf die negativen Dinge schauen, sondern eher darauf, was wir geschafft haben.
SPORT1: Verspüren Sie nach dieser langen Saison auch etwas Müdigkeit? Was machen Ihre Beine und der Kopf?
„Da kommt noch was on top mit der Nationalmannschaft“
Tah: Natürlich war die Saison kraftraubend, aber wenn du den Adler auf der Brust trägst, dann gibt dir das einen Boost. Ich hatte und habe immer noch das Gefühl, dass diese Saison noch nicht vorbei ist. Klar, bei Leverkusen schon, aber da kommt noch was on top mit der Nationalmannschaft. Ich bin ready!
SPORT1: Robert Andrich meinte, das könne man alles gar nicht in der kurzen Zeit verarbeiten. Wie ergeht das Ihnen?
Tah: Auch ich habe das alles noch gar nicht verarbeitet, es war so unglaublich. Ich hatte bisher aber auch noch gar keine Zeit, das alles sacken zu lassen und zu realisieren. Aber das stört mich nicht. Meinetwegen können wir gerne nochmal was erreichen. Im Urlaub habe ich dann immer noch Zeit zum Verarbeiten.
SPORT1: Sie haben vor über elf Jahren Ihr Bundesliga-Debüt gegeben, sind gefühlt schon ewig dabei. Seit rund eineinhalb Jahren spielen Sie aber auf konstant hohem Niveau, haben den Durchbruch geschafft und gehören mit Ihren 28 Jahren zu den besten Innenverteidigern in Europa. Wieso hat das so lange gedauert? Welchen Einfluss hatte dabei Ihr Trainer Xabi Alonso?
Tah: Ich habe immer geschaut, wie ich besser werden kann, wie ich noch mehr aus mir herausholen kann. (Tah arbeitet mit einem Personal-Coach und einer Psychologin zusammen; Anm. d. Red.). Ich bin ein Mensch, der immer dazulernen will. Mit Xabi hat es dann einfach super gepasst. Der Input hat mir enorm geholfen, um den nächsten Schritt machen zu können. Aber auch Julian Nagelsmann hat mir geholfen, auch wenn wir während der Saison natürlich nicht täglich Kontakt hatten.
SPORT1: Wie hat Xabi Alonso Sie besser gemacht?
Tah: Vor allem in den Bereichen Box-Verteidigung und Aktivität mit dem Ball. Außerdem hat er eingefordert, noch stärker Verantwortung zu übernehmen. Oft sind es nur kleine Details, aber ich konnte den nächsten Schritt gehen und viel dazulernen.
„Freue mich, dass ich meine Rolle gefunden habe“
SPORT1: Stichwort Verantwortung. Sie stehen aktuell bei 24 Spielen für die deutsche Nationalmannschaft. Darunter viele Freundschafts- und ein paar Quali-Spiele, dazu Einsätze in der Nations League. Jetzt gehen Sie als Stammspieler in Ihr erstes großes Turnier. Endlich, oder?
Tah: Ich freue mich, dass ich gerade viel Spielzeit bekomme und meine Rolle gefunden habe. Natürlich hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn ich früher mehr Spiele gemacht hätte. Mir ist aber egal, was früher gewesen ist. Ich konzentriere mich auf das Hier und Jetzt und bereite mich auf das vor, was kommt. Diesen Vertrauensvorschuss, den ich bekommen habe, will ich zurückzahlen.
SPORT1: Welcher Leverkusen-Mitspieler würde denn dem DFB guttun?
Tah: Ich würde sagen Flo (Florian Wirtz; Anm. d. Red.). Aber der ist ja eh schon hier, das ist natürlich überragend. Flo gehört neben Edmond (Tapsoba, Anm. d. Red.) zu meinen engsten Mitspielern in Leverkusen. Ich bin happy, dass er hier ist.
„Der Junge ist wirklich brutal“
SPORT1: Was sagen Sie zur Entwicklung von Florian Wirtz?
Tah: Der Junge ist wirklich brutal, etwas ganz Besonderes. Auch als Mensch. Flo will immer gewinnen, ist nie zufrieden. Er hat diese Gewinner-Mentalität in sich.
SPORT1: Was ist für Sie eigentlich unangenehmer: Gegen einen quirligen, technisch versierten Spieler zu verteidigen, wie Havertz oder Wirtz, oder doch gegen so einen Sturmtank wie Füllkrug?
Tah: Das kommt immer auf das Spiel an. Wenn der Gegner viele lange Bälle spielt, kommt mir das natürlich entgegen, weil das Kopfballspiel zu meinen Stärken gehört. Es ist auf jeden Fall schwieriger gegen Spieler zu verteidigen, die sich in Räumen bewegen oder eigene kreieren. Aber beides gehört zu den Aufgaben eines Verteidigers und am Ende mache ich beides gerne. Es ist einfach geil, zu verteidigen!
SPORT1: … Darauf wird es vermutlich auch bei der EM ankommen. Stichwort: Eröffnungsspiel - gegen Schottland.
Tah: Natürlich! Wir haben uns in dem Bereich zuletzt gesteigert und viel weniger Gegentore kassiert. Gerade gegen den Ball bewegen wir uns besser und lassen allgemein weniger zu.
SPORT1: Ein wichtiges Thema bei Ihnen und auch in der Mannschaft ist die Musik. Euer Koch spielt immer 80er-/90er-Musik. Gefällt Ihnen das?
Tah: (überlegt) Unser Koch Anton Schmaus? Oder Robin Koch? (lacht). Welche Musik Robin hört, weiß ich nämlich gar nicht, da muss ich ihn mal fragen. Aber ja, während des Essens läuft immer 80er-/90er-Musik, das mag ich. In der Kabine oder beim Warmup im Fitnessstudio macht meistens Jamal (Musiala; Anm. d. Red.) Musik. Der trifft meinen Geschmack: Rap, HipHop, RnB, Afro Beat – das höre ich gerne.
SPORT1: Das Quartier bietet ja sehr viele Möglichkeiten, sich abzulenken und zusammenzukommen. Wie sieht´s denn mit Ihrer Freizeit im DFB-Quartier aus? Wo findet man Sie?
Tah: Total gemischt. Ich spiele hier tatsächlich auch mal ganz gerne FIFA, vor allem, weil ich das zuhause nicht mache. Aber eigentlich bin ich überall dabei. Aber auch nicht so wie Thomas Müller. Der ist einfach der Lustigste. Der geht von einem Spiel zum anderen. Der ist Wahnsinn. Ich finde das aber richtig geil.
„Thomas ist schwer zu übertreffen“
SPORT1: Wer ist denn jetzt der größere Spaßvogel. Thomas Müller oder Deniz Undav?
Tah: Ich glaube, Thomas ist schwer zu übertreffen, aber Deniz ist auch ein lustiger Typ.
SPORT1: Was vermissen Sie hier?
Tah: Meine Frau, Familie, meinen Hund. Das ist doch klar. Zuhause ist immer da, wo man sich am wohlsten fühlt. Aber wir sehen uns ja auch meistens nach den Spielen. Außerdem haben wir heutzutage hervorragende Technologie. Mit FaceTime kann man in Kontakt bleiben. Außerdem sind wir Fußballprofis das Reisen ohnehin gewöhnt.
SPORT1: Sie sind ein Hamburger Junge. An was müssen Sie bei Ihrer Heimat sofort denken?
Tah: Dass ich jeden Tag auf dem Gummiplatz war und Fußball gespielt habe. Ich habe nie daheim rumgegammelt. Ich wollte immer aktiv sein, immer Fußball spielen. Das ist eine Sache, die ich immer mit meiner Kindheit verbinden werde. Diese Gemeinschaft war einfach toll. Das ganze Viertel ist zusammengekommen und hat gezockt. Vor allem war es immer völlig egal, wo du herkommst. Jeder konnte mitspielen und zusammen hatten wir Spaß. Fußball hat uns alle verbunden.
Rassismus? „Das ist manchmal echt erschreckend“
SPORT1: In einer Doku über die Nationalmannschaft meinten Sie zuletzt: „Wir sind Müller, aber wir sind auch Tah und Gündogan.“ Ihre Mutter ist deutsch, ihr Papa stammt von der Elfenbeinküste. Wie viel Rassismus schlägt Ihnen nach wie vor entgegen?
Tah: Das ist manchmal echt erschreckend. Umso wichtiger ist es, dass wir darüber reden und es ansprechen. Josh (Kimmich, Anm. d. Red.) und Julian (Nagelsmann) haben in diesen Tagen hier klare Statements abgegeben, das hat mich gefreut. Das ist so wichtig.
SPORT1: Wie oft begegnet Ihnen denn Rassismus?
Tah: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mich das nicht mehr betrifft. Teil meines Alltags ist zwar auch zu hart ausgedrückt, aber natürlich komme ich immer wieder in diese Situationen.
SPORT1: Zum Beispiel?
„Warum sprichst du mich auf Englisch an?“
Tah: Das harmloseste Beispiel ist, dass jemand zu mir kommt, ein Foto mit mir machen will und der spricht mich auf Englisch an. Das ist sicher gar nicht böse gemeint von dieser Person und ich stufe das auch nicht als Rassismus ein, aber da frage ich mich schon: Warum sprichst du mich auf Englisch an? Ich muss schon sagen: Es ist deutlich besser geworden, aber wir sind noch lange nicht am Ziel.
SPORT1: Einer, der sich genauso wie Sie immer wieder dafür einsetzt, ist Ihr Nebenmann im Nationalteam, Antonio Rüdiger, der in Spanien den Spitznamen „El Loco“ - zu Deutsch: „Der Verrückte“ - trägt. Welchen Namen würden Sie sich denn geben?
Tah: (überlegt) Boah, das weiß ich gar nicht. Aber „El Loco“ passt richtig gut zu ihm - einfach positiv verrückt. Er ist ein besonderer Typ, den es so nur einmal gibt und den man nicht nachmachen kann.
SPORT1: Fußballerisch scheint es zwischen Ihnen ja auch gut zu funktionieren?
Tah: Auf jeden Fall. Wir verstehen uns gut. Kommunikation ist so wichtig. Zudem spielt er extrem erfolgreich Fußball und hat schon viele Titel gewonnen: Zweimal den Henkelpott - mit Real und auch mit Chelsea. Da kann man sich auf jeden Fall noch etwas abgucken.
SPORT1: Dann kommen wir jetzt zur alles entscheidenden Frage: Werdet ihr Europameister?
Tah: Wir spielen, um zu gewinnen. Sonst müssten wir ja nicht antreten.