Allgemein wird der Auftaktgegner als der leichteste für die deutsche Mannschaft angesehen. Dabei hat es noch nie einen deutlichen Sieg gegen Schottland gegeben und der deutlichste, ausgerechnet beim einzigen EM-Duell 1992 in Schweden, tat richtig weh.
Blutiger Tag in der DFB-Historie
Es war ein blutiger Montag, damals in Norrköping, als Deutschland mehr Verletzte als Torschützen hatte. Was geschah am 15. Juni 1992?
Deutschland war Weltmeister und natürlich Favorit im zweiten Gruppenspiel der EM in Schweden. Allerdings war man holprig ins Turnier gestartet, gegen die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, die einmal die Sowjetunion bildeten, nur 1:1 gespielt – und das nur dank eines Freistoßtores von Thomas Häßler in letzter Minute.
Schottland hatte gegen Europameister Niederlande 0:1 verloren und stand schon mit dem Rücken zur Wand. Das Stadion war ausverkauft, auch wenn die Zuschauerzahl das nicht unbedingt vermuten lässt. Doch mehr als 17.638 Menschen gingen nicht rein, es war die EM der Mini-Stadien.
Rudi Völler bereits mit gebrochenen Arm abgereist
Bei den seit 1990 von Berti Vogts betreuten Deutschen herrschte nach dem Fehlstart Alarm, zumal sich Kapitän Rudi Völler den Unterarm gebrochen und schon die Heimreise angetreten hatte. „Schon auf der Rückfahrt wussten Rainer Bonhof und ich, wie und mit wem wir spielen werden“, beruhigte Vogts die Heimat.
An namhaften Alternativen mangelte es nicht: Andy Möller, Matthias Sammer und Jürgen Klinsmann kamen in die Elf, aus der Thomas Doll, Stefan Reuter und eben Völler wichen.
Acht Weltmeister standen auf dem Platz, dazu Sammer als einziger Nationalspieler der ehemaligen DDR, Stefan Effenberg als einziger Bayern-Profi und als Libero Frankfurts Manfred Binz.
„Schicken die Schotten am Montag nach Glasgow zurück“
Vogts schwärmte vom „größeren spielerischen Potenzial“ seiner Mannschaft und versprach: „Wir schicken die Schotten am Montag nach Glasgow zurück.“ Es war seine Überzeugung, aber auch die Antwort auf die Attacke seines Kollegen Andy Roxburgh, der da posaunt hatte: „Wir werden die Deutschen ausknocken.“
Damit sollte er gar nicht mal so falsch liegen. Das EM-Spiel von Norrköping ging als der „Abend der Brummschädel“ oder „bloody Monday“ in die Annalen ein, denn es gab mehr Kopfverletzungen als Tore auf deutscher Seite – und die verbuchte immerhin einen 2:0-Sieg.
Der war hochverdient, wenn die Tore auch glücklich zustande kamen. Karl-Heinz Riedle schoss nach Klinsmanns Vorlage nicht sonderlich fest durch die Beine eines Verteidigers (30.) und Stefan Effenbergs abgefälschte Flanke schlug im langen Eck ein (47.).
Riedle vermutet Nasenbeinbruch
Zudem trafen Andy Möller und Thomas Häßler nach der Pause noch den Pfosten. Die Schotten aber, die durchaus ebenbürtig waren, aber vor dem Tor nicht konsequent genug, landeten andere Treffer. Sie standen in keiner Statistik, aber weh taten sie den Deutschen doch.
Karl-Heinz Riedle und Widersacher Gough sprangen nach einem Ball und plötzlich hielt sich der Deutsche die Nase, rief nach den Betreuern und wurde behandelt. Blut floss aus der Nase, er hatte einen Schlag auf die Nasenwurzel bekommen – durchaus unabsichtlich, wenn man die Bilder noch mal ansieht. Dennoch, „Kalle“ musste raus – mit Verdacht auf Nasenbeinbruch.
Erst im Hotel wurde die Blutung gestoppt und auch wenn sich der Verdacht nicht bestätigte, sagte Riedle: „Schlimmer können Schmerzen bei einem Nasenbeinbruch auch nicht sein.“ Immerhin, er konnte im nächsten Spiel wieder dabei sein. Andere nicht.
Platzwunde nach vier Minuten auf dem Platz
In der 69. Minute wurde Stefan Reuter, Sündenbock im Auftaktspiel (Elfmeter verursacht), für Riedle eingewechselt. Nur vier Minuten auf dem Feld, musste er mit blutender Platzwunde an der Stirn wieder raus, während der Schotte McCall weiter machen konnte. Was war passiert? Nach einer zu kurz abgewehrten Ecke setzte der Ball im deutschen Strafraum hoch auf und Reuter wollte ihn wegköpfen, der Schotte natürlich aufs Tor.
Reuter erwischte den Ball, McCall Reuters Stirn. Prompt ging der Legionär von Juventus Turin zu Boden, das Spiel wurde unterbrochen. Immerhin konnte er sich wieder aufrichten, aber seine Stirn blutete und die Betreuer wickelten ein Handtuch um seinen Kopf. Sie führten ihn regelrecht ab zur OP. Seine Wunde wurde zunächst geklammert, musste dann mit fünf Stichen genäht werden.
ZDF-Reporter Dieter Kürten fühlte sich an das Pokalfinale 1982 erinnert, als Bayerns Dieter Hoeneß mit blutgetränktem Turban weiter spielte. Kürten wusste seitdem, dass es bei Platzwunden am Kopf „unglaublich viel Blutverlust“ gebe.
Nationalspieler plötzlich in Lebensgefahr
Reuter fiel für das Spiel gegen die Niederlande aus und als er im Halbfinale gegen Schweden zurückkam, schillerte ein Bluterguss in drei Farben unter seinem rechten Auge. „Reuter wie Dracula“, witzelte der Kicker. Auf der Stirn hatte er eine Narbe, aber „die machen einen Mann ja interessant“, nahm es der Franke gelassen.
Für Reuter kam Michael Schulz ins Spiel, mehr Wechsel waren nicht möglich – wären aber dringend nötig gewesen.
Denn schließlich wurde Weltmeister Guido Buchwald nach einem Zusammenprall, wieder mit Gough, kurz ohnmächtig und befand sich sogar in Lebensgefahr, weil er seine Zunge zu verschlucken drohte (82.). Das erkannte Teamarzt Dr. Heß aber sofort. Er legte ihm auch einen Turban an, weil sein Ohr blutete. Dann trugen sie ihn mit drei Mann runter, Kapitän Andy Brehme packte mit an.
Gehirnerschütterung bei Buchwald
Da nicht mehr gewechselt werden konnte wollte Buchwald sogar wieder rein, aber das ließen die Betreuer nicht zu. Reichlich benommen wurde auch er abgeführt und Kürten sagte: „Gut, dass das Spiel bald zu Ende ist, sonst hätten wir hier bald ein richtiges Lazarett.“ In den letzten sechs Minuten in Unterzahl, rettete der Weltmeister den Vorsprung über die Zeit.
Auch dank Torwart Bodo Illgner, der ein starkes Spiel machte. Buchwald erlitt eine Gehirnerschütterung und hatte deshalb keine Erinnerung mehr an den Zusammenprall und so fragte man ihn zur Sicherheit nach seinem Namen. Antwort: „Na klar, ich bin der Jürgen Klinsmann.“
Ob das der Grund war, warum sie ihn gegen die Holländer nicht aufstellten? Jedenfalls kam auch er erst eine Woche später zurück ins Team, das letztlich EM-Zweiter wurde.
Es war ein teuer erkaufter Sieg gegen eine Mannschaft, die sich mit allen Mitteln gegen das Vorrundenaus wehrte. Aber von Unfairness sprach niemand, der Schiedsrichter ließ die Karten in allen Fällen stecken – es waren ja drei unglückliche Zusammenstöße. Ohne Rücksicht auf (deutsche) Verluste.
Falls die Deutschen doch sauer auf die Schotten gewesen sein sollten – das legte sich drei Tage später. Da zeigten sie sich als wahre Sportsmänner, indem sie, obwohl schon ausgeschieden, im letzten Gruppenspiel die GUS 3:0 schlugen und den Weltmeister im Turnier hielten.