Die deutsche Nationalmannschaft will im EM-Vorrundenfinale gegen die Schweiz heute den Gruppensieg klarmachen. Ganz egal, was das für den weiteren Turnierverlauf bedeuten könnte.
Nagelsmann forderte Rot
„Wir wollen Erster werden, das ist wichtig“, betonte Bundestrainer Julian Nagelsmann vor dem Duell (21 Uhr) mit dem wohl härtesten Gegner vor Beginn der K.o.-Phase. Nach zwei Siegen gegen Schottland und Ungarn will das DFB-Team im Flow bleiben. Wie angekündigt, lässt Nagelsmann seine Erfolgself unverändert.
Gleich in der Anfangsphase kam es zum ersten Aufreger. Ein vermeintliches Tor vom Robert Andrich wurde nach VAR-Entscheid zurückgenommen. Vorausgegangen war ein Einsteigen von Jamal Musiala gegen Michel Aebischer im Strafraum.
Schiri-Experte erklärt zurückgenommenes Tor
Der italienische Schiedsrichter Daniele Orsato schaute sich die Szene am Monitor an, entschied dann: kein Tor.
„Korrekte Zurücknahme des Tores. Musiala mit einem relativ klaren Treffer. Angriffsphase noch nicht beendet und deshalb für den Videoassistenten überprüfbar. Da gibt es keinen Spielraum, weil es ein zu deutlicher Treffer ist“, erklärte Schiedsrichter-Experte Patrick Ittrich bei Magenta TV.
Eine andere Meinung hatte übrigens Gesundheitsminister Karl Lauterbach, er postete bei X (vormals Twitter): „Kein Foulspiel zu sehen. Für mich ein Tor.“ Lauterbach vollendete seinen Tweet mit einem „Traurig-Smiley“.
Wie auch immer: Yann Sommer wird froh sein, dass das Tor nicht zählte. Er sah beim Distanzschuss von Andrich nicht gut aus, hätte den aufspringenden Ball halten müssen.
Auch Boris Becker war mit der Entscheidungsfindung des italienischen Schiedsrichters nicht einverstanden. „Fehlentscheidung. Entweder zählen beide Tore oder keins“, beschwerte sich die deutsche Tennis-Ikone auf X.
Wenig später ruderte Becker jedoch zurück und schrieb in einem weiteren Beitrag: „Ich nehme alles zurück. Habe die Zeitlupe gesehen. Die Schweiz führt korrekterweise zur Halbzeit.“
Nagelsmann sauer wegen ausgebliebenem Platzverweis
Wenig später äußerte sich auch der frühere Schiedsrichter Manuel Gräfe bei X zur Szene: „VAR beim 1:0 Einsatz korrekt- Musiala kommt zu spät und trifft Aebischer unsauber, nachdem der Ball von Aebischer gespielt und weg war.“
Ebenfalls fehlte dem DFB-Team nach einer knappen halben Stunde ein Quäntchen Glück: Dan Ndoye brachte die Schweiz auf Vorarbeit von Rieder in Führung. Er setzte sich im Zweikampf gegen Jonathan Tah durch und stand dabei hauchzart nicht im Abseits. Der Fuß von Antonio Rüdiger stand näher an der Grundlinie.
Auch ärgerlich aus deutscher Sicht: Der bereits gelbverwarnte Ndoye foulte Musiala durch einen Tritt an die Hacke. Nagelsmann forderte vehement den Platzverweis, doch Orsato hatte eine andere Meinung.
So begründet Nagelsmann seine Aufstellung
Vor dem Anpfiff hatte sich Nagelsmann ausführlich zur Aufstellung geäußert.
„Die Belastung ist jetzt noch nicht zu hoch. Wir haben genügend Zeit zwischen den Spielen“, begründete Nagelsmann vor Anpfiff bei MagentaTV seine Entscheidung. „Aber auch beim Thema Rhythmus gibt es nicht diesen goldenen Weg, da kannst du immer drüber diskutieren in alle Richtungen. Am Ende gibt dir nur der Erfolg Recht oder nicht. Wenn wir heute gewinnen, sagen alle, es war eine richtige Entscheidung, wenn wir nicht gewinnen, sagen alle, er hätte mehr wechseln müssen. Das ist leider oder Gott sei Dank sehr durchsichtig, aber wir haben nicht unzählig viele Spiele mit diesen Spielern bestritten in der Konstellation.“
Neben dem Rhythmus gehe es auch „um den Fortschritt unserer Qualität“, ergänzte der Bundestrainer. „Da bringt es nichts, wenn ich jetzt wieder sechs neue Spieler bringe, weil es sein kann, dass wir im Achtelfinale einen Brocken vor der Brust haben, der besser ist als die Gruppengegner. Dann müssen wir voll da sein. Deswegen geht es um Rhythmus.“
Nagelsmann-Widerspruch: „Doch, war schon geklärt“
Zu einem kleinen Widerspruch kam es in der ARD im Gespräch zwischen Nagelsmann und Moderatorin Esther Sedlacek. „Das war - glaube ich - gestern auch noch nicht abschließend geklärt“, sagte diese zur unveränderten Startaufstellung.
Nagelsmann stellte klar: „Doch, war schon geklärt. Es war eher die Frage, wie früh wir wechseln. Wir müssen weiter Stabilität und Rhythmus gewinnen. Es geht um Fortschritte, was unser Spiel angeht. Wir werden vielleicht früher wechseln als zuletzt.“
Bei den Schweizern um Kapitän Granit Xhaka sitzt der Ex-Bayern-Star Xherdan Shaqiri nach seinem Traumtor gegen Schottland zunächst nur auf der Bank. Dafür stürmt Breel Embolo von Beginn an.
Deutschland vs. Schweiz - Die Aufstellungen:
- Deutschland: Neuer - Kimmich, Rüdiger, Tah, Mittelstädt - Andrich, Kroos - Musiala, Gündogan, Wirtz - Havertz
- Schweiz: Sommer - Schär, Akanji, R. Rodriguez - Widmer, Freuler, G. Xhaka, Aebischer - Rieder - Ndoye, Embolo
Die mögliche Konstellation in der K.o.-Runde spielte für Nagelsmann vor dem abschließenden Gruppenspiel eine untergeordnete Rolle. „Am Ende musst du dich allen Herausforderungen im Turnier stellen und nicht hoffen, dass sie nicht da sind. Jeder Turnierbaum hat seine Tücken und seine Reize. Wir wissen nicht, ob alle, die als Favoriten genannt werden, auch durchkommen“, sagte Nagelsmann.
Auch zum schlechten Zustand des Rasens wurde der Bundestrainer noch befragt. „Der sieht von außen gut aus, aber er ist es nicht. Wir haben es oft thematisiert. Am Ende ist er für beide Mannschaften gleich. Wenn ein Amateursportler auf den Platz guckt, ist es immer noch Jammern auf höchstem Niveau. Mir geht es darum, dass alle gesund bleiben. Am Ende ist es für beide Mannschaften gleich“, betonte der DFB-Coach.
Auf die Frage, ob ein Hybridrasen vielleicht besser gewesen wäre, sagte Nagelsmann: „Ich bin kein Greenkeeper. Ich weiß es nicht.“
Hier können Sie Deutschland - Schweiz LIVE verfolgen:
- TV: ARD und MagentaTV
- Stream: sportschau.de und Magenta Sport
- Ticker: SPORT1.de und SPORT1 App
EM 2024: Wie spielt das DFB-Team gegen die Schweiz?
Nagelsmann kann dabei personell weiter aus dem Vollen schöpfen, Ausfälle gab es bisher keine zu verzeichnen. Es drohen allerdings gleich mehrere Sperren. Die Defensivspieler Jonathan Tah, Antonio Rüdiger, Robert Andrich und Maximilian Mittelstädt haben bisher jeweils einmal Gelb gesehen. Bei einer weiteren Verwarnung wären sie im Achtelfinale raus.
Für die Runde der letzten Sechzehn sind noch sieben Gegner möglich: Als Gruppensieger geht es gegen England, Dänemark, Slowenien oder Serbien, als Zweiter kommt es zum Duell mit Italien, Kroatien oder Albanien.
Schon ein Punkt würde der DFB-Auswahl für den anvisierten Gruppensieg genügen - und den Spielern eine Prämie von 50.000 Euro bescheren. Allerdings droht dann schon im Viertelfinale ein Duell mit den bisher so glänzend aufspielenden Spaniern.
Drei Siege in einer EM-Vorrunde waren der deutschen Nationalmannschaft nur vor zwölf Jahren geglückt. Die Fans sangen schon bei den Spielen gegen Schottland (5:1) und Ungarn (2:0) vom Finale in Berlin. „Natürlich sollte jeder träumen dürfen“, sagte Tah. Am Ende sei es aber das Wichtigste, den Traum auch zu leben: „Bis Berlin haben wir noch harte Aufgaben vor uns.“
Deutschland gegen Schweiz - und den Rasen in Frankfurt?
Die Begegnung mit der Schweiz wird jedenfalls kein Selbstläufer. Der letzte Sieg gelang 2008, Tah rechnet mit einem „Spiel auf hohem Niveau“. Auch deswegen wirkten er und seine Teamkollegen bei der abschließenden Einheit äußerst konzentriert.
Allerdings droht ihnen eine Rutschpartie in der Mainmetropole. Der Rasen in der Arena ist seit längerer Zeit ein großes Ärgernis. Dies bekamen auch die Spieler in der Begegnung zwischen England und Dänemark (1:1) zu ihrem Leidwesen zu spüren. „Extrem seifig. Man rutscht sehr schnell aus, er geht schnell kaputt“, urteilte Führich.
Die Deutschen machten bereits im März beim Länderspiel gegen die Niederlande (2:1) unliebsame Erfahrungen mit dem Frankfurter Geläuf. Besonders Zauberer Jamal Musiala hatte angesichts seiner schnellen Drehungen und Wendungen einen schweren Stand. Er sei bei „jeder Aktion gefühlt ausgerutscht“, meinte er und ergänzte lachend: „Zum Glück habe ich überlebt.“