Home>Fußball>EM 2024>

Dieser deutsche Fußball-Mythos stellt auch alle WM-Siege in den Schatten

EM 2024>

Dieser deutsche Fußball-Mythos stellt auch alle WM-Siege in den Schatten

{}
{ "placement": "banner", "placementId": "banner" }
{ "placeholderType": "BANNER" }

Ein größerer Mythos als alle WM-Siege

Heute vor 52 Jahren führten Franz Beckenbauer und Günter Netzer Deutschland zum ersten EM-Titel und begründeten eine goldene Ära. Besonders ein damals unerwarteter Sieg wurde zur Legende.
Von 1972 bis 2021: SPORT1 zeigt vor der Heim-EM 2024, in welchen Trikots die deutsche Nationalmannschaft in der EM-Historie auf Titeljagd ging.
mhoffmann
mhoffmann
Heute vor 52 Jahren führten Franz Beckenbauer und Günter Netzer Deutschland zum ersten EM-Titel und begründeten eine goldene Ära. Besonders ein damals unerwarteter Sieg wurde zur Legende.

War es das Wunder von Bern 1954? Der Gewinn der Heim-WM 1974 in München? Der Triumph von Rom 1990, der Elfmeter von Andreas Brehme? Der große Tag in Rio 2014, als Mario Götze ihn gemacht?

{ "placeholderType": "MREC" }

Man kann sie lange und ausgiebig hin- und herwälzen, die große Frage, welcher große Moment der Nationalmannschaft der größte von allen war. Es gibt aber nicht wenige, die mit voller Überzeugung sagen: keiner der Genannten.

So denkwürdig sie waren, die vier WM-Triumphe der Nationalmannschaft, aus Sicht vieler Kenner fand der Höhepunkt der deutschen Fußballgeschichte im Jahr 1972 statt.

Es war das Jahr, in dem das DFB-Team mit Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Günter Netzer und Gerd Müller erstmals die EM gewann - so dominant, wie keiner der vier WM-Erfolge war. Und auf einem spielerischen Niveau, das damals in der ganzen Fußballwelt für Verblüffung sorgte.

{ "placeholderType": "MREC" }

Am Dienstag jährte sich zum 52. Mal der Triumph, an den bei der Eröffnungszeremonie der EM in München emotional erinnert worden war. Und der damals ganz anders lief als das Turnier dieser Tage.

EM 1972: Deutsche Notelf schaffte in Wembley Historisches

Im Jahr 1972 wurde die Europameisterschaft zum zweiten Mal ausgetragen und war noch lange nicht das Großevent, das sie heute ist. Das Endturnier in Belgien dauerte nur fünf Tage und hatte lediglich vier Teilnehmer - ermittelt in einer Qualifikation mit 32 Teams und danach einem Viertelfinale mit Hin- und Rückspielen wie im Europapokal. Das deutsche Team von Bundestrainer Helmut Schön hatte da schon den Grundstein für den Mythos gelegt, den es am 18. Juni 1972 vollenden sollte.

Es war der 29. April, nach überstandener Quali traf die DFB-Elf auf England. Spielort war das altehrwürdige Wembley-Stadion, in dem Deutschland das Finale der WM 1966 auf traumatische Art und Weise verloren hatte. Und diverse Legenden von damals wie Bobby Moore und Geoff Hurst waren noch mit von der Partie.

Das DFB-Team ging nicht nur deshalb als Außenseiter ins Rennen: Noch niemals hatte es in den Jahrzehnten zuvor ein Auswärtsspiel gegen England gewonnen. Und dann war es auch noch personell stark gebeutelt: Spielgestalter Wolfgang Overath und Abwehr-Ass Berti Vogts verletzt, alle wichtigen Spieler des Vizemeisters und Pokalsiegers Schalke 04 wegen ihrer Verwicklung in den großen Bundesliga-Skandal gesperrt.

{ "placeholderType": "MREC" }

„Wenn wir keine fünf Tore kriegen, haben wir ein gutes Ergebnis erreicht“, soll Netzer Beckenbauer in der Kabine anvertraut haben. Dessen Antwort, ein echter Kaiser: „Jo mei!“

Um die Achse aus Torhüter Maier, Libero Beckenbauer, Regisseur Netzer und Sturmspitze Müller stellte Schön eine kaum erprobte Notelf zusammen, zu der unter anderem zwei 20 Jahre junge, gute Freunde namens Uli Hoeneß und Paul Breitner gehörten. Was dieses junge deutsche Team mit den grünen Trikots in Wembley bewerkstelligte, war damals eine Sensation - und wurde als Jahrhundertspiel zur Legende.

Beckenbauer und Netzer kreieren einen Mythos

Einer offensiven und vielen Belangen eigentlich überlegene Three-Lions-Elf (25:13 Torschüsse, 14:4 Ecken) setzten Beckenbauer, Netzer und Co. Tempo, Effizienz und dynamische Kombinationen entgegen, die die britische Defensive spektakulär aus den Angeln hoben. Wissenschaftler errechneten viele Jahre später anhand der TV-Bilder, dass die DFB-Elf den Ball fast doppelt so schnell laufen ließ wie ihre Gegner (2,9 zu 1,6 Meter pro Sekunde) - und dass die Geschwindigkeit auch bei der WM 2010 noch überdurchschnittlich gewesen wäre.

Nach Toren von Hoeneß (26.), Netzer (Foulelfmeter, 84.) und Müller (88.) siegten die Gäste mit 3:1, mehr noch als die Tore blieb ein taktischer Schachzug in Erinnerung: Libero Beckenbauer und Regisseur Netzer tauschten immer wieder die Positionen und überraschten die England-Defensive, indem sie sich bei den offensiven Vorstößen abwechselten.

„Ramba-Zamba-Fußball“ schrieb die Bild begeistert, die englischen Zeitungen verglichen Netzer mit Siegfried, dem Drachentöter aus der Nibelungensage. Eine noch berühmtere Zusammenfassung der Ereignisse schrieb im Jahr darauf der eigentlich auf Literaturtheorie spezialisierte Kulturjournalist Karl Heinz Bohrer für die FAZ: Netzer sei „aus der Tiefe des Raumes“ gekommen.

Dominanter Sieg im EM-Finale

Die „Wembley-Elf“ - der im Rückspiel ein 0:0 reichte - stieg durch das kongeniale Zusammenspiel von Beckenbauer und Netzer über Nacht zum EM-Favoriten auf. Die eigentliche EM-Endrunde verblasst neben der Erinnerung an den Mythos Wembley etwas, wohl auch, weil sie aus deutscher Sicht recht glattging.

{ "placeholderType": "MREC" }

Im Halbfinale wurde nach einem Doppelpack Gerd Müllers Gastgeber Belgien mit 2:1 ausgeschaltet, im Finale in Brüssel herrschten gegen die UdSSR am Ende noch klarere Verhältnisse: In der 27. Minute schoss Müller - nach Vorarbeit von Beckenbauer, Netzer und Jupp Heynckes - das 1:0. In Minute 52 vollendete Herbert „Hacki“ Wimmer eine Kombination seiner Gladbacher Kollegen Netzer und Heynckes. In der 58. Minute setzte Müller den Schlusspunkt, bedient von Heynckes und dem nach vorn vorgestoßen Abwehr-Youngster Georg „Katsche“ Schwarzenbeck.

Der EM-Triumph war die Initialzündung einer goldenen Ära für den deutschen Fußball: Die EM-Helden Maier, Beckenbauer, Schwarzenbeck, Breitner, Hoeneß und Müller gewannen waren zwei Jahre später auch die Säulen des (glücklicheren) WM-Siegs und des ersten Landesmeister-Triumphs des FC Bayern (zwei weitere ohne Breitner folgten).

Beckenbauer wurde nach dem EM-Sieg auch zu Europas Fußballer des Jahres gekürt, Ramba-Zamba-Partner Netzer hatte in Deutschland die Nase vorn.

{ "placeholderType": "MREC" }

„Das war eine Revolution“

Beide zementierten 1972 ihren Rang als Fußball-Denkmäler, die Heldensaga der DFB-Elf von damals reichte aber weit über den Fußball hinaus: Beckenbauer und seine Mitstreiter prägten das Bild des deutschen Fußballs und das der ganzen noch jungen Bundesrepublik.

Die jungen, spielfreudigen Stars mit ihren oft langen, wehenden Haaren - alle Mitglieder des EM-Kaders waren damals unter 30 - wurden Identifikationsfiguren eines ganzen Landes. 52 Jahre danach sind die Heroen von damals mittlerweile in ihren Siebzigern und Achtzigern angekommen - oder verstorben, wie neben Beckenbauer und Müller auch Jürgen Grabowski und Horst-Dieter Höttges. Die Erinnerung an den sportlichen Quantensprung, den sie 1972 auslösten, ist aber auch Jahrzehnte danach lebendig geblieben: Die Sportschau kürte die Elf von 1972 zum besten DFB-Team der Geschichte, die Sport Bild das Wembley-Spiel 2011 zum besten Länderspiel der Geschichte.

„Das war nicht mehr der herkömmliche deutsche Fußball, das war eine Revolution. Hier spielten sich neue Vorbilder in unsere Teenagerwelten“, unterstrich auch die Süddeutsche Zeitung noch viele Jahrzehnte später die Bedeutung des Mythos 72 - und schrieb unter Bezugnahme auf den berühmtesten Satz des damaligen SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt: „Deutschland wagte nicht nur mehr Demokratie, es wagte auch besseren Fußball.“