Er lächelt die Enttäuschung weg. Bei den Trainingseinheiten in Dortmund-Brackel zeigte sich Alexander Nübel bestens gelaunt, scherzte mit seinen Torhüter-Kollegen Oliver Baumann und Stefan Ortega Moreno und machte das, was er am besten kann: Bälle halten – und das wohl sogar besser als seine Konkurrenten.
Ein weiterer Schlag ins Gesicht
Und trotzdem ist er bei Julian Nagelsmann außen vor. Seine Kritiker könnten dem Bundestrainer fehlende Weitsicht vorwerfen.

Nagelsmanns Entscheidung als Schlag ins Gesicht für Nübel
Nicht falsch verstehen: Baumann ist ein exzellenter Torhüter. Womöglich für einen Verein wie Hoffenheim zu gut und auf jeden Fall Kandidat für den Kreis der Nationalmannschaft. Das Herauszögern und die lange Geheimniskrämerei der Entscheidung beweist: Es war ein knappes Rennen zwischen den beiden Keepern. Doch müsste Nagelsmann bei vergleichbarem Niveau nicht andere Aspekte für die finale Beurteilung heranziehen?
Stichwort Potenzial: Nübel ist sechs Jahre jünger als der Hoffenheimer. Nach Manuel Neuer, der bereits die DFB-Karriere beendete und Marc-André ter Stegen (32 Jahre), der auch nicht mehr viele Turniere im Tank haben dürfte, galt und gilt Nübel als etatmäßiger Erbe.
DFB-Trainer Nagelsmann trifft bequemere Entscheidung
Nagelsmann hat sich für die bequemere Wahl entschieden. Für den Bundestrainer überwogen wohl Routine und das zwischenmenschlich exzellente Verhältnis, dass er schon aus gemeinsamen Hoffenheimer-Zeiten zu Baumann pflegt.
Wie nah sich die beiden stehen, zeigte bereits die Socken-Anekdote während der Heim-EM. Sollte der Heilungsverlauf von ter Stegen weiterhin nach Plan verlaufen und er wieder sein altes Leistungsniveau erreichen, ist der Wahl-Spanier ohnehin als Nummer eins gesetzt, auch für die WM 2026.
Doch was ist danach? Gut möglich, dass das Turnier in den USA das letzte für den Keeper des FC Barcelona sein wird. Für Nübel ist die Torhüter-Entscheidung ein weiterer Schlag ins Gesicht.
Wie viel muss dieser Mann noch ertragen?
Was muss dieser Mann noch alles ertragen? Schon bei seinem Stammverein FC Bayern wurde es dem Stuttgart-Keeper nicht leicht gemacht. Als er 2020 einen Vertrag bei den Münchnern unterschrieben hatte und wechselte, wurden ihm Spiele in Aussicht gestellt. Doch dazu kam es nicht.
Nübel flüchtete nach Monaco und kämpfte sich über Stuttgart mit beeindruckenden Leistungen in die DFB-Elf. In der bayerischen Landeshauptstadt und darüber hinaus munkelte man, dass der Schritt nach München wohl zu früh kam und es seiner Entwicklung geschadet hätte.
Kurioserweise gibt es diese Töne bei Jonas Urbig nicht – im Gegenteil. Der 21-Jährige wird von allen Seiten in den bayerischen Himmel gelobt. Übrigens: Nübel wechselte als Kapitän von Schalke 04 zu den Bayern, Urbig als Nummer zwei des 1. FC Köln.
Überhaupt hat die Verpflichtung des Newcomers einen faden Beigeschmack im Hinblick auf die immer noch ungewisse Nübel-Zukunft beim Rekordmeister - die nächste große Hürde für Nübel. Vertrauensbeweis? Fehlanzeige! Viele andere junge Keeper wären an diesen Rückschlägen schon längst zerbrochen.
Nübel drängt nicht in den Mittelpunkt – wird ihm das zum Verhängnis?
Vielleicht steht ihm auch sein Charakter im Wege. Nübel ist ein extrem bodenständiger und aufgeräumter Typ. Bei der Ankunft im Teamhotel wurde er von den meisten Journalisten erst gar nicht erkannt. Mit tief ins Gesicht gezogener Kappe betrat er fröhlich die Unterkunft der DFB-Elf - ohne sich in den Mittelpunkt zu drängen, ohne Schlagzeilen zu generieren, ohne aufsehenerregendes Outfit, einfach ganz ohne Schnickschnack.
Nübel lebt für den Fußball und besitzt dennoch ein gesundes Maß an Ehrgeiz. Er weiß, dass es durchaus wichtigere Themen gibt. Dennoch stellt er sich, egal ob auf oder neben dem Platz, immer in den Dienst der Mannschaft. Der DFB-Elf dürfte das guttun. Nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft, die eigentlich ganz klar Nübel zugeschrieben wurde. Doch diese weitverbreitete Annahme bröckelt.