Am Ende saß Alexander Nübel auf dem Boden. Düpiert und sichtlich enttäuscht, weil die deutsche Nationalmannschaft den Sieg in letzter Sekunde aus der Hand gegeben hatte. Ein Elfmeter hatte Ungarn den späten Ausgleich beschert, unmittelbar danach war Schluss. 1:1 im letzten Länderspiel des Jahres. „Das war bitter, ich hätte gerne zu Null gespielt und gewonnen“, kommentierte der Torhüter des VfB Stuttgart die letzte Aktion des Abends.
Was jetzt für Nübel spricht
Dass ihn Dominik Szoboszlai in der neunten Minute der Nachspielzeit mit einem frechen Heber in die Mitte seines Kastens bezwang, machte die Sache nicht besser. „Da hat er mich verarscht“, gab Nübel zu, der selbst zur Seite gehechtet war. Klar ist: Wäre er einfach stehen geblieben, hätte er seine überragende Leistung gekrönt. Denn nach vielen Paraden sah der 28-Jährige wie der große Gewinner des Spiels aus. Im Duell mit Oliver Baumann, der gegen Bosnien-Herzegowina die Null hielt, bekam er seine Chance, durfte sich auszeichnen und tat dies auch.
Doch mit etwas Abstand wird Nübel erkennen: Auch so verließ er den Budapester Rasen als Gewinner. Der Torhüter punktete in eigener Sache und bewahrte die deutsche Elf vor einem Pausen-Rückstand. Dann zeigte er einen Reflex der Spitzenklasse, als er den Ball in der 67. Minute gegen den freistehenden Barnabas Varga gerade noch um den Pfosten lenkte und beim Stand von 0:0 den Gegentreffer verhinderte. Heißt also: Nübel stand im Mittelpunkt, weil die Arbeitsteilung mit seinem Konkurrenten Baumann im neuen Jahr endet - und Nübel setzte ein dickes Ausrufezeichen. Doch wie gut ist er wirklich?
Keine Torwart-Streitereien mit Nübel
Eine Thema, das viele Facetten beinhaltet. Was für Bundestrainer Julian Nagelsmann immer sehr wichtig ist, ist vor allem die persönliche Ebene. Wenn es charakterlich nicht passt, gibt es auch keine Nominierung. Bei Nübel gibt es da keine Bedenken. Im Gegenteil. Über den derzeit verletzten Marc-André ter Stegen spricht er sehr positiv. „Wir haben uns ganz normal unterhalten. Das Wichtigste ist, dass er gesund ist“, sagte Nübel, als ter Stegen vor Kurzem beim Training vorbeischaute.
Dazu lacht Nübel im Training viel. Mit den Feldspielern, aber auch mit den anderen Torhütern Baumann und Stefan Ortega. Selten schien die Harmonie so groß wie gerade zu sein. Und auch das Job-Sharing mit Baumann nimmt der 28-Jährige locker auf: „Klar sind wir Konkurrenten, am Ende will jeder spielen. Aber der Austausch ist fair, wir verstehen uns gut - auf und neben dem Platz. Es ist nicht so, dass wir uns aus dem Weg gehen. Es ist super entspannt, genau wie ich es mag. So kenne ich das auch aus den Vereinen.“
Wer hat welche Vorteile?
Bleibt die Frage, wie Nübels Performance auf dem Feld aussieht. Sowohl die Leihgabe des FC Bayern als auch Baumann standen noch nicht oft zwischen den Pfosten des Nationalteams. Aussagekräftiger ist daher der Vergleich der Leistungen im Verein. Und da fällt auf: Beide sind sich verblüffend ähnlich. Nübel sowie der Hoffenheimer Baumann kassierten in der Bundesliga jeweils 19 Gegentore und damit deutlich mehr als ihr Vorgänger Neuer (7), der in München aber auch den nicht zu unterschätzenden Luxus einer wesentlich stabileren Abwehr genießt.
Baumann bekam bereits 53 Bälle auf sein Tor, Nübel 50, Neuer bei den sehr dominanten Bayern nur 16. Gerade Baumann zeichnet sich dabei immer wieder als Verhinderer von Großchancen aus. Während er bereits 13 davon vereitelte und auch prozentual mit 45 Prozent die Nummer eins der Liga ist, liegt Nübel hier bei 32 Prozent. Bei Neuer sind es sogar nur rund 13 Prozent. Früher galt der 38-Jährige immerhin noch als Spezialist für „unhaltbare“ Bälle und Eins-gegen-Eins-Situationen. Bei den abgewehrten Bällen insgesamt nehmen sich Nübel (62,0 %) und Baumann (64,2 %) nicht viel.
Gleiches gilt für die Ballbesitzphasen pro 90 Minuten (Baumann: 42, Nübel: 44). Generell hat Nübel aber im Spiel mit dem Ball am Fuß die Nase vorn. Ein Indiz dafür: Er spielte bereits 125 lange Pässe, von denen 32 Prozent ankamen. Baumann hingegen hat eher andere Stärken wie das Halten von Elfmetern und ist spielerisch weniger stark. Zudem kamen von seinen 103 langen Pässen nur 23 Prozent beim eigenen Mann an, was die schwächste Quote aller Stammtorhüter der Bundesliga ist.
Nagelsmann hat schon eine Tendenz
Dass es ab März eine klare „Nummer 1,5″ geben wird, hat Nagelsmann bereits verraten. Der Bundestrainer will auf eine weitere Torwart-Rotation verzichten und zog ein vorsichtiges November-Fazit der beiden Konkurrenten. „Alex hatte heute ein komplexeres Spiel, was den Druck im Aufbau angeht, er hat zwei Bälle mehr halten müssen - die hat er gehalten. Olli hatte einen Ball aufs Tor bekommen, den hat er gehalten“, schilderte Nagelsmann. Baumanns kleiner Vorsprung scheint geschmolzen, das Rennen völlig offen. Wer von beiden letztlich den Zuschlag erhält, hängt nun auch von den Leistungen in den Vereinen ab.
„Ich bin da sehr entspannt“, meinte Nübel in gewohntem Ton und wies darauf hin, dass „das Momentum zählt, wenn man gut in die Rückrunde startet, wer besser drauf ist“. Eine nicht unwesentliche Rolle dürfte dabei spielen, welcher Torhüter sich bei einer Rückkehr ter Stegens eher wieder unterordnen und die Rolle des Ersatzmannes akzeptieren würde. Dass der bittere und späte Gegentreffer in Ungarn dagegen kaum in die finale Bewertung einfließen wird, sollte Nübel wissen.
Nagelsmann selbst gab sich geheimnisvoll und wollte sich nicht in die Karten schauen lassen. Zwar habe er schon „eine Tendenz“, ob Nübel oder doch Baumann das Rennen machen werde. Aber: „Die verrate ich nicht, weil ich beiden die Chance geben will, sich zu präsentieren“, sagte er nach dem Remis in Ungarn. Die kommenden Wochen und Monate bleiben also spannend.