Nach 27 Minuten stöhnte Joshua Kimmich am Mittwochmittag auf der Pressekonferenz in Frankfurt erstmals auf. „Ganz schön viele Fragen heute“, meinte der 29-Jährige zu DFB-Pressesprecherin Franziska Wülle und ergänzte mit verschmitztem Lächeln: „Nächstes Mal bringen wir noch einen anderen Spieler mit.“
Kimmichs heikle Gratwanderung
Die anwesenden Journalisten lachten. Was als Witz gemeint war, spiegelte aber auch die Anstrengung der durchaus brisanten Fragen wider, denen sich der DFB-Kapitän stellen musste.
Die Themen reichten von der politischen Situation in Deutschland mit dem Aus der Regierung, über Donald Trump, einen möglichen Streik im Profifußball bis hin zur Weltmeisterschaft in Katar.
Fakt ist: Die Rolle und Meinung des Kapitäns sind auch bei Themen außerhalb des Platzes gefragter denn je.
Müssen sich Kimmich und Co. politisch äußern?
„Generell glaube ich, dass wir als Spieler für Dinge und Werte einstehen sollten. […] Auf der anderen Seite ist es nicht unser Job, uns politisch zu äußern, dafür haben wir Fachmänner im Land und im Verband“, erklärte Kimmich und sprach damit zwei verschiedene Sichtweisen an, die eine Frage aufwerfen: Müssen sich Sportlerinnen und Sportler überhaupt zu politischen Themen äußern?
An sich sind es „nur“ Athleten, die ihren Sport ausüben und ein Stück weit zur Unterhaltung beitragen sollen. Doch sie sind eben auch einflussreiche Personen, die ihre Meinung kundtun und mit ihrer Reichweite auf gesellschaftliche Probleme und Missstände aufmerksam machen können.
Der DFB-Kapitän gilt als ein Typ, der eine starke Meinung vertritt und nicht davor zurückschreckt, diese zu äußern. Für Kimmich und Co. könnte genau das eine schwierige Gratwanderung werden.
Kritik an Katar-WM hat „Freude am Turnier genommen“
Ähnlich wie schon vor ein paar Jahren, als die höchst umstrittene Weltmeisterschaft 2022 in Katar in der Kritik stand und es sogar Aufrufe zum Turnier-Boykott gab. Damals meinte Kimmich: „Generell bin ich der Meinung, dass wir für einen Boykott zehn Jahre zu spät dran sind.“, Der Bayern-Profi ergänzte angesichts der lang zurückliegenden Vergabe des Turniers an Katar durch die FIFA: „Im Fußball hat man die Chance, auf Dinge hinzuweisen. Da sehe ich nicht nur uns in der Pflicht, sondern auch andere Teile der Bevölkerung.“
Das Turnier in Katar war für die DFB-Elf nicht nur ein sportlicher Flop, sondern auch eine emotionale Belastung, bei der die Mannschaft, laut Kimmich, „kein gutes Bild abgegeben“ habe. „Für uns ist es schade gewesen, dass wir uns so sehr politisch äußern mussten.“ Man habe den Spielern die „Freude am Turnier genommen“. Kimmich sprach im Hinblick auf Infrastruktur und Organisation von einem „Topturnier“, das sie „nicht genießen konnten.“
WM in Saudi-Arabien - lernt der DFB aus Katar?
In zehn Jahren steht das nächste problematische Turnier an: die WM in Saudi-Arabien. Zwar ist das noch nicht offiziell, doch der Wüstenstaat ist der einzige Bewerber für das Turnier 2034. Die Vergabe Mitte Dezember gilt als reine Formsache.
Saudi-Arabien steht, wie Katar auch, für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und unwürdige Arbeitsbedingungen. Dazu kommen Einschränkungen der Frauenrechte, Meinungs- und Religionsfreiheit, ein schwerer Stand für die LQBTQ+-Szene und das Risiko der politischen Instrumentalisierung. Außerdem steht die Frage im Raum, wie nachhaltig eine WM in einem Wüstenstaat sein kann.
Die Kritik wird, wie auch im Zusammenhang mit Katar, auch in nächster Zeit immer wieder aufpoppen. Damals kritisierten viele den DFB dafür, sich nicht frühzeitig und klar gegen die WM 2022 positioniert zu haben.
„Es ist die Aufgabe der FIFA, einen Katalog zu entwerfen, dem man gerecht werden muss“, sagte Kimmich, der betonte, „politisch kein Experte“ zu sein. Er wünsche sich für die Spieler, dass sie sich in zehn Jahren auf die sportlichen Belange konzentrieren können.
Auch wenn Kimmich es nicht definitiv ausschloss, wird er in zehn Jahren, im Alter von 39, wohl kaum mehr für die DFB-Elf bei der Weltmeisterschaft in Saudi-Arabien auflaufen. Und dennoch: Nach seiner Meinung zu brisanten Themen wird Kimmich, gerade als DFB-Kapitän, noch des Öfteren gefragt werden. Und auch dann werden sich wohl sportliche und gesellschaftspolitische Themen häufiger überschneiden.