Es ist gar nicht lange her, da hatte Antonio Rüdiger ein schwieriges Image. Der heute 31-Jährige galt als hochtalentierter, aber nicht immer verlässlicher Verteidiger. Immer für einen Fehler gut, immer nah an der Grenze zur Sorglosigkeit. Im Klartext: Ein Risikofaktor.
Rüdigers Aufstieg zum Weltstar
Sein Sprint im Spiel gegen Japan bei der WM 2022 wurde zum Symbol seines angeblichen Charakters. Wie ein Storch stakste Rüdiger Richtung Ball, die Szene wurde als „funny run“ zum Meme. Doch die kuriose Szene wurde ihm zum Verhängnis – auch weil Deutschland die Partie mit 1:2 verlor.
„Bezeichnend war für mich die Szene, in der Rüdiger im Duell mit Asano (Takuma Asano; Anm. d. Red.) den Ball ins Aus laufen lässt und dabei die Knie hochzieht“, schimpfte damals Ex-Nationalspieler Didi Hamann und machte Rüdiger zum Symbol der Pleite.
„Das war symptomatisch für die Unprofessionalität und Überheblichkeit im deutschen Spiel und an Respektlosigkeit nicht zu überbieten, weil er damit den Gegner lächerlich gemacht hat“, meinte Hamann weiter.
Rüdiger hat sich geändert
Diese Zeiten sind spätestens seit den Länderspielen im März und der EM im eigenen Land vorbei. Rüdiger ist zum Anführer geworden, Bundestrainer Julian Nagelsmann hat ihn zum Vize-Kapitän gemacht. Seine Erfolge mit Real Madrid verleihen dem Nationalspieler noch mehr Glanz.
„Ich bin sehr, sehr geehrt, Vize-Kapitän sein zu dürfen – vor allem, weil es eine Entscheidung des Trainers war. Ehrlich gesagt: Ob meine Verantwortung größer als vorher geworden ist, weiß ich nicht. Ich war vorher auch wichtig“, sagte Rüdiger am Sonntagabend auf der Pressekonferenz des DFB vor dem Länderspiel gegen die Niederlande (ab 20.45 Uhr im LIVETICKER).
Doch – auch das gehört zur Wahrheit – der 31-Jährige hatte es nicht immer leicht. Dass er das Image eines Luftikus hatte, weiß auch Rüdiger selbst. Und: Er hat sich verändert, ist seriöser geworden – auf und neben dem Platz.
Rüdiger: „Sonst kriege ich wieder Probleme“
Nach dem Spiel gegen Bosnien in Zenica wollte er ausdrücken, dass man es verpasst habe, das Spiel frühzeitig zu entscheiden. Ein bestimmtes martialisches Wort lag ihm dabei auf der Zunge, doch Rüdiger zog zurück.
„Wir hätten es beenden müssen – ich möchte nicht das andere Wort sagen, sonst kriege ich wieder Probleme“, erklärte Rüdiger.
Zur Erinnerung: In ähnlicher Situation hatte er sich bei der EM gegen Dänemark anders geäußert. „Was wir kritisieren können, ist, dass wir sie nicht schon vorher getötet haben.“
Damals brach ein Shitstorm über Rüdiger herein, er wurde zur Zielscheibe von Rechtsextremen in den sozialen Medien. Dabei ist direkte, manchmal verletzende Sprache seit jeher ein Teil des Fußballs. Erst vor einer Woche hatte Joshua Kimmich nach dem Spiel der Bayern in Frankfurt davon gesprochen, dass man den Gegner früher hätte „killen“ müssen – der öffentliche Aufschrei blieb bei ihm aber aus.
Bereits vor seinem verbalen Fehltritt hatten die Kritiker vom rechten Rand Rüdiger für das Zeigen des erhobenen Zeigefingers attackiert. Er sympathisiere mit den Zielen der Terrororganisation „Islamischer Staat“, hieß es. Doch der DFB stand zu Rüdiger und verteidigte den Nationalspieler.
Rüdiger erfuhr Verletzungen
Es ist spürbar, dass der Vize-Kapitän Verletzungen erfahren hat, die er nicht vergisst, doch er macht weiter. Manchmal wirkt er seltsam kleinlaut. Beispielsweise als er am Sonntagabend einen Reporter erst duzte, sich dann entschuldigte und zum „Sie“ wechselte.
Rüdiger kämpfte sich nach oben – im wahrsten Sinne des Wortes. Wie er sich gerade in den EM-Spielen in jeden Schuss war, beeindruckte einen Großteil der Fans.
„Meine Anfänge hier waren nicht das Einfachste, aber durch meine harte Arbeit habe ich mir das verdient. Ich bin ein verdienter Spieler. Manche Dinge, die kommen, sind dann auch normal“, sagt Rüdiger rückblickend.
Lob für Rüdiger
Auch alte Weggefährten erleben den Real-Star gereifter und gefestigter. „Er ist ein ehrlicher Mensch, der geradeheraus ist und sagt, was er denkt - gegen alle Widerstände. Wenn er früher etwas gesagt hat, das provokativ war, musste er sich noch mehr durchsetzen. Das hat er geschafft“, sagte sein langjähriger Mentor Fritz Fuchs im Sommer im SPORT1-Interview über Rüdiger.
Und: Der Real-Profi ist zum Weltstar geworden. Die Erfolge mit den Madrilenen sind dafür maßgeblich verantwortlich. In Spanien verehrt man „El Loco“, den Verrückten, für seine Späße und seine harte Gangart gegenüber Stürmern.
Während über andere Spieler trefflich diskutiert wird, steht Rüdiger mittlerweile über den Dingen. An ihm kommt niemand vorbei. Die Fans nicht, die Gegenspieler nicht – der Bundestrainer sowieso nicht.
Rüdiger ist neben Kimmich ein unumstrittener Leader – seit September als Vize-Kapitän auch ganz offiziell. Selbst einen weiteren „funny run“ würde man ihm verzeihen. Sorgloser Draufgänger war gestern.