Gefühlt ist er schon ewig dabei. Doch Robert Andrich steht erst vor seinem elften Länderspiel für Deutschland gegen Ungarn (Samstag, 20.45 Uhr im Liveticker). An der Seite von Toni Kroos galt er während der EM als gesetzt. Nun sucht die DFB-Elf nach einem Nachfolger. Zumindest die Rückennummer hat sich Andrich schon mal geschnappt.
„Jo hat einen Knall“
Warum es dennoch „unmöglich“ ist, Kroos zu ersetzen und wieso die neue Saison für Bayer Leverkusen viel schwieriger wird, erklärt der 29-Jährigen im exklusiven SPORT1-Interview. Außerdem schlägt der Bayer-Star beim Thema Champions-League-Reform Alarm und verrät, welcher seiner „neuen“ Freunde im DFB-Team einen Knall hat.
SPORT1: Herr Andrich, vor genau zwei Monaten sind sie gegen Spanien ausgeschieden, waren also auch vor zwei Monaten zuletzt hier in Herzogenaurach. Mit welchem Gefühl sind Sie am Montag hier angereist?
Robert Andrich: Ich habe nicht so viel an das gedacht, was das letzte Mal, als wir hier waren, passiert ist. Ich habe mich definitiv mehr gefreut – auf die Jungs und auf das Camp.
SPORT1: Seitdem sind mit Toni Kroos, Manuel Neuer, Thomas Müller und Ilkay Gündogan vier Routiniers zurückgetreten. Wie schwer wiegt ihr DFB-Aus?
Andrich: Natürlich sind vier absolute Legenden, die das Spiel der Nationalmannschaft über Jahre geprägt haben, jetzt weg. Wir müssen aber auch so an unsere Qualität glauben und es ab jetzt ohne die Vier schaffen. Wir machen uns Gedanken, wie wir sie ersetzen oder andere Spieler einbauen können. Ich bin überzeugt, dass wir das hinbekommen.
Kroos? „Es ist unmöglich, ihn zu ersetzen“
SPORT1: Von einer dieser Legenden, nämlich Toni Kroos, haben Sie die Rückennummer acht übernommen. Wie kam es dazu?
Robert Andrich: Das ehrt mich natürlich schon. Die 23 war auch eine coole Nummer, daran lag es nicht. Aber ich habe auch im Verein die Nummer acht und im zentralen Mittelfeld passen die Nummern sechs und acht einfach gut. Als Toni hier war, brauchte ich gar nicht zu fragen. Da war es klar, dass es seine Nummer ist. Aber jetzt habe ich einfach mal angefragt, ob ich sie bekommen könnte. Schön, dass es geklappt hat.
SPORT1: Sind Sie damit auch sein Nachfolger auf dem Platz?
Andrich: Von der Art und Weise, wie er Fußball spielt, wird es schwer, ein Nachfolger zu werden. Es ist unmöglich, ihn zu ersetzen oder zu kopieren. Dafür war er zu prägend. Aber ich glaube schon, dass ich, wenn ich meine Stärken auf den Platz bekomme, einen ähnlichen, wenn auch anderen Einfluss nehmen kann.
SPORT1: Es scheint, als hätten Sie beim DFB während der EM neue Freunde fürs Leben gefunden. Gerade ihr Verhältnis zu David Raum oder Joshua Kimmich scheint exzellent zu sein…
Andrich: Im Fußball ist es leicht, neue Leute kennenzulernen und engen Kontakt zu haben – gerade mit Mitspielern. Bei einem Vereinswechsel kann das dann aber schon wieder ganz anders aussehen. Manchmal bleibt der Kontakt bestehen, meist wird er aber weniger. Mit Blick auf Josh und David: Man kann hier auf jeden Fall Freunde fürs Leben finden.
Kimmich „hat auf jeden Fall auch einen Knall“
SPORT1: David Raum bezeichnete Sie zuletzt als verrückt. Wer von Ihnen drei ist denn der Verrückteste?
Andrich: Das ist nicht einfach. [überlegt lange] Vom Äußerlichen, auch wegen der Tattoos, könnte man vielleicht meinen, dass David oder ich die Verrücktesten sind. Aber Jo hat auf jeden Fall auch einen Knall. Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
SPORT1: Mit Leverkusen haben Sie bis zum vergangenen Bundesliga-Spieltag gegen Leipzig 35 Partien nicht verloren. Wie schlimm war es, dass diese Serie gerissen ist?
Andrich: Für uns als Mannschaft war das gar nicht so präsent. Es ging in dem Spiel um drei Punkte und darum, wie wir uns präsentieren. Und da hatten wir eine richtig gute erste Halbzeit, hatten eigentlich alles im Griff. Am Ende haben wir es uns einfach selbst schwer gemacht. Deshalb waren wir auch verärgert. Nicht wegen der gerissenen Serie.
SPORT1: Ist so eine Ausnahme-Saison wie in der vergangenen Spielzeit nochmal drin?
Andrich: Das größte Ziel ist es, uns neu zu beweisen. Natürlich sollen unsere Erfolge keine Eintagsfliege sein. Doch solch eine Dominanz wie im Vorjahr kann man nicht wieder erwarten. Wir wissen, dass alle Mannschaften jetzt ganz anders in die Spiele gegen uns als deutschen Meister gehen werden. Aber wir sind bereit.
„Jona hat das richtig gut gemacht“
SPORT1: Die Konkurrenz auf Ihrer Position ist in Leverkusen enorm hoch. Aleix Garcia ist neu dabei, Exequiel Palacios wird bald wieder von seiner Verletzung zurückkommen. Und an Granit Xhaka führt ohnehin kein Weg vorbei…
Andrich: Eigentlich hat sich nicht viel verändert. Wir hatten letzte Saison schon einen breiten Kader, haben viel rotiert und das ohne Leistungsabfall. Das hat uns wahnsinnig gutgetan. Mit Aleix haben wir jetzt noch einen sehr guten Spieler dazubekommen. Das kann uns nur dabei helfen, erfolgreich zu bleiben.
SPORT1: Ihr Mannschaftskollege Jonathan Tah hat eine turbulente Zeit hinter sich. Wie haben Sie ihn während dieses Transferpokers erlebt?
Andrich: Wenn man sich in einen Fußballer und einen Menschen hineinversetzen kann, weiß man, dass das nicht spurlos an einem vorbeigeht. Ich hatte eine ähnliche Situation, als ich von Union Berlin zu Leverkusen gewechselt bin. Da hat sich das auch alles lange gezogen. Da ist es nur menschlich, dass es Situationen gibt, in denen du nicht genau weißt, was die jeweiligen Seiten genau denken. Jona hat das aber richtig gut gemacht, ist damit professionell umgegangen. Für uns in der Mannschaft gab es nie Zweifel daran, dass er dazugehört und ein Anführer ist. Wann immer es auf den Platz ging und geht, gibt er alles – und das ist das Wichtigste.
So denkt Andrich über die Champions-League-Reform
SPORT1: In diesem Jahr spielen Sie mit Leverkusen wieder in der Champions League. Verstehen Sie den neuen Modus?
Andrich: So langsam. [lacht] Ich weiß, dass wir vier Auswärts- und vier Heimspiele haben. Alles Weitere lass ich auf mich zukommen.
SPORT1: Es sind auf jeden Fall mindestens zwei Spiele mehr. Mit den Playoffs gegebenenfalls nochmal mehr. Ihr Terminkalender ist schon jetzt voll. Wann ist die Grenze erreicht?
Andrich: Die Grenze ist wahrscheinlich schon erreicht. Aber bestimmt kommen wir auch irgendwann noch dahin, dass wir alle zwei Tage spielen. Dann haben wir drei oder vier Spiele pro Woche. Am Ende bleibt dir aber nichts weiter übrig, als durchzuziehen. Mit der Unterstützung der Familie bekommt man das auch hin.
SPORT1: Sie haben viele Tattoos, zuletzt sind die Meisterschale und der DFB-Pokal hinzugekommen. Welche Trophäe würden Sie denn noch gerne irgendwann gewinnen und auf ihrer Haut verewigen?
Andrich: Da gibt es ja fast nur noch die Champions-League-Trophäe und den Weltmeister-Pokal. Für die würde ich mir sogar etwas freilasern. [lacht] Aber am Oberschenkel und Schienbein habe ich schon noch Platz.
Andrich: „Die Premier League reizt mich immer“
SPORT1: Ihre Karriere ging in den letzten Jahren enorm steil nach oben. Man hat das Gefühl, Sie sind schon ewig dabei. Doch vor noch nicht einmal einem Jahr haben Sie mit 29 Jahren ihr DFB-Debüt gegeben. Denken Sie manchmal daran, dass das alles auch genauso schnell wieder vorbei sein könnte?
Andrich: Natürlich kann es auch mal wieder schnell in die andere Richtung gehen. Wichtig ist, dass ich fit bleibe und mich nicht verletze. In der Nationalmannschaft kann es, auch wenn ich es natürlich nicht hoffe, immer mal sein, dass der Bundestrainer eine andere Idee hat. Aber ich bin schon jemand, der konstant, ohne große Schwankungen, spielen kann.
SPORT1: Ihr Vertrag in Leverkusen läuft noch bis 2028. Dann wären Sie 33 Jahre alt. Reizt Sie eigentlich auch mal das Ausland?
Andrich: Die Premier League reizt mich immer. Das hat sie schon relativ früh. Ich habe schon immer viel Premier League geguckt. Wenn es irgendwann reinpasst, kann man darüber nachdenken. Aber auf Biegen und Brechen muss ich nicht ins Ausland. Es kann, muss aber nicht unbedingt sein.
SPORT1: Oder doch lieber nochmal zurück in Ihre Heimat, nach Potsdam und Berlin?
Andrich: Aktuell habe ich kein Bedürfnis zurückzugehen. Natürlich vermisse ich die Heimat - die Cafés und Restaurants, in denen man früher war, aber das gibt es ja in jeder Stadt. Ich habe meine Familie woanders gegründet und hier in NRW fühlen wir uns schon sehr wohl. Das ist unsere Home Base.