Noch weniger als zwei Monate sind es, dann startet die Europameisterschaft in Deutschland. Während Fans und gesetzte Spieler den Anpfiff der EM kaum erwarten können, läuft den Kandidaten, die noch um eine Aufnahme in den Kader kämpfen, so langsam die Zeit davon. So auch für Nico Schlotterbeck, der noch maximal vier Bundesliga-Spieltage sowie die Champions-League-Partien gegen Paris Saint-Germain vor sich hat, um sich Julian Nagelsmann zu empfehlen.
Was ist dran an Schlotterbeck-Aussage?
Hat das Gespräch mit Nagelsmann Auswirkungen?
Sein letztes von elf Länderspielen bestritt der BVB-Verteidiger am 9. September 2023 beim 1:4 gegen Japan, der letzten Partie unter Trainer Hansi Flick. Seitdem Nagelsmann als DFB-Coach übernommen hat, wartet Schlotterbeck vergeblich auf eine Nominierung. Und das, obwohl er „seit Monaten performe“, wie er selbst kürzlich auf SPORT1-Nachfrage sagte.
Vor dem 25. Bundesliga-Spieltag, an dem der BVB auf Werder Bremen traf, berichtete Schlotterbeck von einem Gespräch mit Nagelsmann, bei dem es um eine mögliche Nominierung für das DFB-Team ging.
„Er (Nagelsmann; Anm. d. Red.) weiß, was er von mir bekommt. Er hat mir aber auch gesagt, was ihm bei mir fehlt. (...) Er hat gesagt, dass er mehr Konstanz fordert - ich versuche alles, um sie abzurufen“, erklärte Schlotterbeck.
Doch ist die Leistung des Innenverteidigers tatsächlich so gut, wie er sie selbst einschätzt? Und hat Schlotterbeck seit dem Gespräch mit dem Nationaltrainer etwas an seinem Spiel verändert? SPORT1 liefert Antworten mithilfe der Daten von Sportec Solutions.
Schlotterbeck? In Dortmund gesetzt!
Fest steht: Im Gegensatz zur Nationalmannschaft ist Schlotterbeck bei Borussia Dortmund gesetzt: Er bringt es mit 2.564 Minuten auf die mit Abstand meiste Einsatzzeit innerhalb seines Teams in der laufenden Saison. Der Innenverteidiger ist fester Bestandteil der Startelf - und das nicht ohne Grund.
So erreicht er mannschaftsintern den Bestwert mit Blick auf die gewonnenen Zweikämpfe (66 Prozent). Der Linksfuß hat sich ligaweit einen Ruf als starker Balleroberer gemacht: Er gehört zur Top 10 der Bundesliga-Spieler, die am häufigsten den Ball eroberten.
Hinzu kommt, dass Schlotterbeck in seinen Duellen in der Regel fair bleibt: Lediglich 13 Fouls gingen in der aktuellen Spielzeit von ihm aus.
Als Innenverteidiger trägt der 1,91-Meter-Mann auch einen wesentlichen Anteil daran, dass der BVB in diesem Jahr mit 35 Gegentoren besser dasteht als der FC Bayern (37) oder auch der VfB Stuttgart (36).
BVB-Star überzeugt mit Fairness und Ballbesitz
Für den BVB ist der 24-Jährige zudem ein entscheidender Faktor im Spielaufbau: Nach Granit Xhaka (Bayer Leverkusen) ist er in der Liga der Mann mit den zweitmeisten Ballbesitzphasen (2.730). Im Schnitt kommt Schlotterbeck in der regulären Spielzeit auf 96 Ballkontakte. Er ist außerdem ligaweit der Spieler mit den meisten langen Pässen, wobei bisher gut 60 Prozent davon seine Mitspieler fanden.
Auch bei Standardsituationen ist der Verteidiger eine echte Waffe. Bei Freistößen lauert Schlotterbeck oft am langen Pfosten, entweder, um selbst abzuschließen, oder um querzulegen. Er ist einer der Abwehrspieler mit den meisten Torschüssen (20) in dieser Saison.
Mit einem Treffer belohnte er sich dabei immerhin zwei Mal (gegen Union Berlin und gegen Hoffenheim), was im Schnitt einem Tor in jedem 11. Spiel gleichkommt. Schlotterbeck ist zweifelsohne einer der Leistungsträger bei den Schwarz-Gelben und überzeugt dort mit starken Performancedaten über die gesamte Saison hinweg.
Leistungssteigerung nach Gespräch mit DFB-Coach?
Doch die Tatsache, dass Nagelsmann den BVB-Star bislang nicht berücksichtigte, zeigt auch, dass seine Leistungen bis März dem Coach der Nationalmannschaft nicht ausreichten.
Um Schlotterbecks Chancen auf eine Nominierung im Sommer zu bewerten, lohnt sich daher ein gesonderter Blick auf die Leistungswerte seit dem Gespräch der beiden im März. Aufschluss gibt ein Vergleich der Daten der ersten 24 Spieltage mit denen der Spieltage 25 bis 30.
Und da lässt sich festhalten: Schlotterbeck ist nach wie vor unangefochtene Stammkraft bei der Borussia, zugleich hat er sich allerdings in vielen Bereichen innerhalb der vergangenen sechs Spieltage verschlechtert - zumindest mit Blick auf die nackten Zahlen.
Insgesamt bestritt Schlotterbeck zwar etwas mehr Duelle (im Schnitt 16 statt zuvor 15 Zweikämpfe pro Spiel), neigte dabei allerdings auch dazu, mehr zu foulen. Beide Gelben Karten in der laufenden Saison bekam er innerhalb der vergangenen sechs Spieltage.
Zugleich sank die Erfolgsquote bei den Zweikämpfen im Schnitt von 67 auf 60 Prozent. In der Luft konnte der Abwehrspieler im Vergleich sogar noch weniger Erfolge erzielen: Dort gewann er nur noch die Hälfte aller Duelle, zuvor waren es noch 61 Prozent.
Gleiches gilt auch für die Passquote: Knapp 87 Prozent erreichten in den vergangenen sechs Spielen durchschnittlich das Ziel, während es in den Wochen davor noch knapp 90 Prozent waren. Eine Erklärung: Schlotterbeck spielte im Schnitt häufiger lange Pässe (zwölf pro Spiel im Vergleich zu neun) mit mehr Risiko, aber im Zweifel auch mehr Ertrag für sein Team.
Auch für die anderen gesunkenen Werte lassen sich Erklärungsansätze finden, wenn man die letzten Gegner des BVB betrachtet: Innerhalb der letzten vier Wochen traf die Mannschaft von Edin Terzic mit Bayer Leverkusen, Bayern München und dem VfB Stuttgart auf die drei Top-Klubs der Tabelle.
So bekam es auch Schlotterbeck mit stärkeren Gegenspielern zu tun. Dass der Abwehrspieler dennoch in allen Partien glänzen konnte, spricht - trotz der augenscheinlich gesunkenen Leistungswerte - für ihn und eine mögliche DFB-Nominierung.
Schlotterbeck stellt Fehler ab
Positiv fällt mit Blick auf die Daten auch die Anzahl der Torschussvorlagen auf. Diese hat sich im Verhältnis leicht verbessert (drei in den vergangenen sechs Spielen im Vergleich zu acht Vorlagen in den 23 Spielen zuvor).
Noch wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass Schlotterbeck ein vorheriges Manko größtenteils abstellen konnte: Leichtfertige Fehler und unkonzentrierte Momente in der Defensive unterliefen dem Verteidiger in den vergangenen Wochen deutlich seltener.
Momente wie am 14. Spieltag, als sich der Innenverteidiger vor dem entscheidenden Treffer bei der 2:3-Niederlage gegen RB Leipzig austanzen ließ, oder das Eigentor am 19. Spieltag gegen Bochum blieben in der jüngeren Vergangenheit aus.
Darüber hinaus fällt auf, dass Schlotterbeck nur einen seiner 20 Torversuche innerhalb der letzten sechs Spieltage abgab. Dabei handelte es sich um den kolossalen Fehlschuss im Spiel gegen Stuttgart. Das zeigt: Schlotterbeck konzentrierte sich zuletzt wieder mehr auf das Wesentliche: auf seine Defensivaufgaben! Daher verwundert es auch nicht, dass der Ex-Freiburger seit dem Gespräch mit Nagelsmann kein weiteres Tor erzielen konnte.
Fragezeichen bei EM-Nominierung bleiben
Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass die Daten mit bislang nur sechs Spielen auf einer sehr kleinen Stichprobe beruhen. Dennoch bleibt für den betrachteten Zeitraum festzuhalten: Trotz teilweise gesunkener Quoten überzeugt Schlotterbeck beim BVB weiterhin mit starken Leistungen.
In der Champions League ist er aktuell allerdings statistisch gesehen sogar der beste Verteidiger des Wettbewerbs. Hinzu kommt die gesunkene Fehlerquote, die bei Nagelsmann für Pluspunkte sorgen dürfte.
Dass der Bundestrainer Schlotterbeck das EM-Ticket doch noch in die Hand drückt, scheint zumindest mit Blick auf die neuesten Leistungsdaten nicht undenkbar. Die tatsächliche Entscheidung wird für Mitte bis Ende Mai erwartet.