Das Rätselraten ist zu Ende: Robert Andrich steht im Testspiel gegen Frankreich in der Startelf und wird den Mittelfeldplatz neben Toni Kroos im DFB-Team besetzen.
Er ist der neue Kroos-Nebenmann!
Im exklusiven Interview mit SPORT1 erklärte der Leverkusener am Freitag, wie er den Bundestrainer von sich überzeugen will, was Bayer 04 aktuell so stark macht und was er von Spitznamen wie „Ackergaul“ hält.
SPORT1: Herr Andrich, rund um die Nationalmannschaft ist aktuell wieder etwas positivere Stimmung wahrzunehmen. Welchen Eindruck haben Sie?
Robert Andrich: Ich habe von der Mannschaft einen guten Eindruck. Der Teamspirit war ohnehin nie das Problem. Außerdem haben wir ein paar neue Jungs dabei – ältere und jüngere. Wir versuchen jetzt, eine Spielidee zu erarbeiten und hoffen, dass wir schon am Samstag im Spiel gegen Frankreich die ersten Erfolge erzielen können. Das große Ziel ist es aber natürlich, bei der EM abzuliefern. Davor haben wir noch vier Spiele, die für unsere Entwicklung sehr wichtig sind.
SPORT1: Aktuell steht vor allem Rückkehrer Toni Kroos im Fokus. Was hat sich mit ihm verändert? Was bringt er mit und wie führt er die Mannschaft?
Andrich: Ich selbst bin ja noch nicht so lange im Kreise der Nationalmannschaft, aber ich kenne Toni natürlich schon etwas länger durch seinen Bruder Felix, mit dem ich sehr, sehr gut befreundet bin. Toni ist kein Zampano, der hierherkommt und will, dass alles nach seiner Nase läuft. Er strahlt schon Autorität aus, aber auf eine ruhige Art. Das zeichnet ihn aus. Er versucht einfach mit seiner fußballerischen Qualität und seinem Wissen die Mannschaft besser zu machen. Ich bin mir sicher, dass ihm das gelingen wird. Wir haben obendrein ja noch weitere gute Spieler, die zu einem guten Gesamtbild beitragen können.
SPORT1: Kroos wünscht sich eine Mittelfeldzentrale, die alle Facetten beinhaltet. Auch Zweikampfstärke und gesunde Aggressivität sollen eine Rolle spielen. Sie passen da ins Schema. Klingt doch eigentlich so, als würden wir bald das Duo Kroos/Andrich in der DFB-Elf erleben. Wie klingt das für Sie?
Andrich: Es ist schon großartig, wenn man mit Toni in einem Atemzug genannt wird. Früher war es das Duo Andrich/Felix Kroos, jetzt eventuell Andrich/Toni Kroos. (lacht) Das wäre schon eine gute Nummer. Ich glaube, es ist wichtig, dass es sowohl zwischen uns beiden aber auch für das Team passt. Meine Aufgabe ist es, mich so zu präsentieren, dass ein Einsatz von mir für den Bundestrainer infrage kommt. Alles weitere liegt nicht in meiner Hand. Aber grundsätzlich könnte es ganz gut passen.
SPORT1: Mit welchen individuellen Eigenschaften möchten Sie sich dabei beim Bundestrainer besonders empfehlen? Wo sehen Sie Ihre Stärken?
Andrich: Ich weiß natürlich, dass ich im Zweikampfverhalten und beim Thema Mentalität meine Qualitäten habe. Es ist wichtig, dass wir außerdem in der Defensive eine gewisse Stabilität haben. Das sind Dinge, die ich einbringen kann und muss. Aber das ist nicht alles. Die Zeiten, in denen man auf der Sechser-Position einfach nur einen Treter brauchte, sind vorbei. Den ein oder anderen guten Pass kann ich schon auch spielen. Aber ja, in erster Linie geht es darum, für Stabilität zu sorgen und ein gutes Gefühl für gefährliche Räume zu haben.
SPORT1: Im Kader stehen einige „Lautsprecher“ – wo sehen Sie aktuell Ihre Position? Haben Ihnen die Erfolge in Leverkusen dabei geholfen, in der Hierarchie aufzusteigen?
Andrich: Die Erfolge im Verein helfen dir in der Hierarchie der Nationalmannschaft nicht wirklich. Aber sie machen natürlich selbstbewusst. Man muss sich jedenfalls nicht verstecken. Der grundlegende Charakter eines Spielers verändert sich nicht nur wegen des Erfolgs. Ich bringe allein durch mein Alter und meine Erfahrung schon einiges mit. Ich bin nun mal ein Typ, der auf dem Platz gerne laut ist und gerne spricht. Ich versuche damit, meinen Nebenleuten entsprechend zu helfen. Aber es ist wichtig, die richtige Mischung zu finden. Es geht nicht darum, in jeder Situation rumzubrüllen, nur damit es laut wird.
SPORT1: Ihr Selbstbewusstsein fußt ja auch auf der bisher sehr erfolgreichen Saison mit Bayer Leverkusen. Wie ist hier bei der Nationalmannschaft der Austausch mit den Bayern-Spielern?
Andrich: Natürlich fällt wechselseitig mal der eine oder andere lustige Spruch. Thomas Müller ist ja auch ein Typ, der gerne mal stichelt und bei uns Leverkusenern vielleicht für ein wenig Nervosität sorgen will. Ab und zu spricht man über die Konstellation in der Bundesliga, aber aktuell steht die Nationalmannschaft im Fokus. Deswegen unterhalten wir uns vor allem über den Fußball hier – das ist jetzt wichtiger als der Vereinsfußball.
SPORT1: Sie sind relativ spät Nationalspieler geworden. Ist es vielleicht ein Vorteil, dass Sie quasi als „erwachsener“ Mann zur DFB-Elf gekommen sind? Prasselt da auf Sie weniger ein als auf einen ganz jungen Spieler?
Andrich: Grundsätzlich wäre es mir schon recht gewesen, schon als 19-Jähriger zur Nationalmannschaft eingeladen zu werden. (lacht) Aber natürlich haben mich all die Jahre als Profi durchaus geprägt und zu meiner Entwicklung beigetragen. Die Schritte, die ich in meiner Karriere gemacht habe, waren teilweise ja auch nicht alltäglich – aber sie haben mich menschlich weitergebracht und dorthin gebracht, wo ich jetzt bin. Ich weiß jetzt vielleicht mehr, um was es im Fußball geht. Ich wertschätze die Dinge anders.
SPORT1: Wie haben Sie Ihre bisherigen Berufungen in den DFB-Kader persönlich erlebt?
Andrich: Ich wurde zum ersten Mal für die Nationalmannschaft berufen, als es meine geringen Spielzeiten eigentlich gar nicht so vermuten haben lassen. Da hätte ich mir vielleicht schon etwas eher mal einen Anruf des Bundestrainers gewünscht. Aber es sollte wohl so sein und ich habe es mir eben jetzt verdient, im Kader zu stehen. Ich habe mir vorgenommen, mich immer wieder neu zu beweisen und dranzubleiben, um nominiert zu werden. Seit den Länderspielen im November habe ich in Leverkusen wieder mehr Partien absolviert und mir die Einladung verdient.
SPORT1: Sie haben Ihre körperliche Präsenz und ihre Mentalität angesprochen. Sie werden in den Medien auch gerne als „Ackergaul“ oder „Kettenhund“ bezeichnet. Sind das Bezeichnungen, mit denen Sie leben können oder hätten Sie gerne ein weicheres Image?
Andrich: Aufgrund meiner Spielweise und all meiner Tattoos kann ich mich wahrscheinlich von einem weichen Image verabschieden. Die Journalisten dürfen sich gerne Spitznamen ausdenken, da gebe ich aber wenig drauf. Es war jedenfalls noch kein Spitzname dabei, bei dem ich sage, der wäre absolut top.
SPORT1: Sie hatten in Leverkusen nicht nur gute Zeiten und waren zwischenzeitlich verletzt. Trotzdem haben Sie nie gemeckert, sondern haben sich dem Erfolg untergeordnet. Inwiefern kann Ihnen das auch bei der Nationalmannschaft helfen?
Andrich: Es ist nicht leicht, wenn die Mannschaft sich warmmacht und auf das Spiel vorbereitet und man selbst sitzt mit der Winterjacke draußen. Da kann man erstmal wenig helfen, aber man kann versuchen, über Kleinigkeiten und motivierende Worte den Kollegen zur Seite zu stehen. Im Hinblick auf die EM ist es wichtig, dass man über die ersten elf Spieler hinaus eine positive Truppe hat, in der jeder dem anderen nur das Beste wünscht. Das ist der Schlüssel für eine funktionierende Mannschaft – das eine ist das Sportliche, das andere ist das Menschliche. Es sollte nie so sein, dass man auf eine Gelbe Karte für den mannschaftsinternen Konkurrenten hofft, damit die Wahrscheinlichkeit größer wird, dass man selbst spielt. Die Erfahrung, auf der Bank zu sitzen, habe ich in den letzten Jahren oft machen müssen, aber am Ende ist der Erfolg der Mannschaft das Entscheidende. Er steht über allem.
SPORT1: Welchen Einfluss hat dabei auch Xabi Alonso? Wie ist seine Ansprache an die Spieler, die aktuell keine leichte Zeit haben?
Andrich: Du kannst nicht immer viele Einzelgespräche führen und alle in den Arm nehmen. Dafür hast du im Fußballgeschäft keine Zeit. Xabi Alonso sagt immer: „Ich würde gerne 22 Spieler aufstellen. Bietet mir also Argumente, dass ich nicht mehr auf euch verzichten kann.“ Wenn jemand Stunk machen würde, wenn er nicht spielt, würde derjenige erst recht draußen bleiben. So gelingt es ihm, jeden zu Topleistungen anzuspornen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.
SPORT1: Wie tickt Xabi Alonso denn als Mensch?
Andrich: Er denkt 24 Stunden am Tag an Fußball. Er ist wahnsinnig akribisch und fokussiert. Er strahlt einfach immer Erfolgshunger aus.
SPORT1: Leverkusen ist seit 38 Pflichtspielen ungeschlagen. Gab es bei Ihnen einen Zeitpunkt, an dem Sie wussten, dass diese Saison alles möglich ist?
Andrich: Der erste Moment, an dem ich an die realistische Möglichkeit der Meisterschaft geglaubt habe, war nach dem Sieg zuhause gegen Bayern. Wir wussten: Wenn wir das Spiel ziehen, sind wir fünf Punkte vorne. Das ist schon eine Hausnummer. Es ist aber mehr ein fortlaufender Prozess, in dem der Glaube reift, dass du alles holen kannst. Feststeht: Ganz egal wie viel wir rotieren, und das haben wir zum Teil sehr extrem gemacht, haben wir den Glauben daran, dass das alles funktioniert.
SPORT1: Mit Leverkusen haben Sie die Chance auf den Gewinn der deutschen Meisterschaft, auf den DFB-Pokal und auch in der Europa League lebt der Traum vom Titel. Wo ordnen Sie die Europameisterschaft in Ihrem persönlichen Ranking ein?
Andrich: Ich bin jetzt hier bei der Nationalmannschaft und habe zwei Spiele vor der Brust. Darauf will ich mich bestmöglich vorbereiten und präsentieren. Mein voller Fokus ist hier. Anschließend geht es in die ganz, ganz heiße Phase in der Meisterschaft, im Pokal und in der Europa League. Und da ist dann die Priorität komplett auf dem Vereinsfußball. Am Ende will ich einfach mal wieder eine Trophäe hochhalten. Die letzte war die Meisterschaft in der 3. Liga. Das kann schon sehr Besonders werden in dieser Saison. Dafür werde ich alles geben, sowohl in Leverkusen als auch hier bei der Nationalmannschaft.
SPORT1: Sie sind selbst ein sehr modischer Typ. Wie finden Sie eigentlich das neue Auswärtstrikot des DFB?
Andrich: Am Anfang war ich etwas skeptisch, jetzt wird es langsam normal. Jedes Mal, wenn ich es sehe, wird es besser. Es ist definitiv mal etwas anderes. Ich bin trotzdem weiterhin ein Fan vom Heimtrikot.