„Ein Erlebnis für alle Sinne“ verspricht die Hamburger Elbphilharmonie. DFB-Sportdirektor Rudi Völler verfiel nach der EM-Auslosung am Samstagabend im Vorzeigehaus der Hansestadt gar ins Schwärmen über das Ambiente und sprach so befreit auf, dass selbst Magenta-Moderator Johannes B. Kerner kaum bei sich bleiben konnte und Völler, nachdem die Gruppen feststanden, eine Erleichterung andichtete.
EM-Los tückischer als es aussieht
Schottland, Ungarn und die Schweiz lauten die Vorrundengegner bei der Heim-EM im kommenden Jahr. Ein Kugelziehen, das es auf den ersten Blick gut meinte mit der DFB-Elf: Keine überaus harten Brocken zu Turnierbeginn. Und doch – sieht man genauer hin – bleibt die Gruppe tückisch.
Denn eines geriet bei der so schimmernden Veranstaltung mit Hochglanzaufmachung und zahlreichen internationalen Fußball-Größen als Star-Gästen in den Hintergrund: Das DFB-Team muss sich sportlich eher noch selbst aus dem Sumpf ziehen als an Feinpolierungen zu arbeiten.
FIFA-Weltrangliste macht DFB kaum Hoffnung
Unter Julian Nagelsmann feierte die Nationalmannschaft in vier Partien nur einen einzigen Sieg, die Testspiele gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) gingen gar verloren. Dabei reihen sich die Gruppenteams, geht man nach der FIFA-Weltrangliste, in eine Riege mit den jüngsten Testspiel-Gegnern ein.
Die Türkei ist mit Platz 37 gar die schlechteste Nation aller, selbst Schottland toppt das um einen Platz. Österreich liegt auf 24 nur drei Plätze vor Ungarn. Und die Schweiz folgt dem DFB – übrigens selbst nur 16. - dicht auf den Fersen.
Kein Wunder, dass Bundestrainer Julian Nagelsmann zur Zurückhaltung aufrief: „Es ist keine Todesgruppe, aber es gibt keine wirklich schlechten Gegner, wenn man die drei Quali-Runden anschaut. Die Teams haben besser geratete Namen hinter sich gelassen, von daher ist es eine sehr gute.“
Stichwort: EM-Qualifikation. Während Deutschland zwischen dem WM-Aus am 1. Dezember 2022 bis zum EM-Auftakt nicht ein Pflichtspiel absolviert hat, stehen die übrigen Gruppen-Nationen voll im Saft.
Ungarn marschierte vorneweg und ließ sich den Gruppensieg gar ungeschlagen nicht nehmen. Auch Schottland ließ die Norweger hinter sich, sorgte für ein weiteres Großevent ohne Erling Haaland.
DFB-Gegner? Negativ-Serie gegen Ungarn
„Wir sind nicht in der Situation, dass wir irgendwelche Gegner nicht respektieren oder auf die leichte Schulter nehmen. Die Zeiten sind vorbei“, warf auch Rudi Völler ein, dass die Gruppe zwar machbar klingen mag, jedoch nicht zu unterschätzen sein wird.
Insbesondere vor dem Eröffnungsspiel warnten diverse Parteien, gar bis hinauf zu DFB-Präsident Bernd Neuendorf, der sich auf eine fulminante Stimmung zu EM-Beginn freute, weil schottische Fans friedlich und freundlich feiern würden, doch genau da der Knackpunkt läge.
Denn am 14. Juni wird München aller Voraussicht nach von Anhängern von der Insel belagert werden. Eine Stimmung, so aufgeheizt, dass sie den Druck, ein Auftakt-Debakel zu verhindern, kaum schmälern wird.
Das zweite Gruppenspiel in Stuttgart gegen Ungarn dürfte ebenso keine rosigen Erinnerungen wecken. Nicht eines der vergangenen drei Spiele gegen die Osteuropäer konnte der DFB gewinnen. Bei der EM 2021 rettete Leon Goretzka ein spätes 2:2-Unentschieden. In den darauffolgenden Nations-League-Duellen folgten ein 1:1-Remis sowie eine bittere 0:1-Pleite.
Nagelsmann warnt vor Schweiz-Spiel
Und dann wäre da noch die Schweiz. Ein gut bekannter Gegner, es wird das 54. Länderspiel der Eidgenossen gegen Deutschland, keine andere Nation hat mehr auf dem Konto. Und doch wird es die erste Partie bei einer Endrunde eines großen Turnieres.
Die erste Reaktion von Bundestrainer Nagelsmann? „Ich habe es eben zu Murat (Yakin, Schweizer Nationaltrainer; Anm. d. Red.) gesagt: Ein kleines Derby gegen den Nachbarn. Das hatten wir gegen Österreich auch, da haben wir nicht so gut ausgesehen. Gegen die Schweiz wollen wir besser aussehen.“
Zwar mag die Warnung vor dem „kleinen“ Nachbarn mit rund einem Zehntel der Bevölkerung im deutschen Fußballverständnis zunächst befremdlich wirken – und ist doch überaus verständlich.
Denn ganze zwölf Spieler aus dem aktuellen Kader weisen ein Bundesliga-Engagement in ihrem Lebenslauf aus – ein Zeichen der vorhandenen Qualität. Darunter Top-Stars wie Granit Xhaka, der mit Leverkusen an die Tabellenspitze stürmte, oder Manuel Akanji (ehemals BVB), der indes bei Manchester City für abgeklärtes Verteidigen bekannt ist und Champions-League-Sieger wurde.
Deutschland Favorit in Gruppe A: „Jetzt immer noch?“
Dass Nationaltrainer Yakin den Deutschen selbstverständlich die Favoritenrolle zuwies, überraschte auch Moderator Kerner, der, ob der Testspiel-Niederlagen, nahezu ungläubig nachfragte: „Jetzt immer noch?“
Doch Yakin war sich sicher: „Deutschland ist eine Turniermannschaft und sie werden sich steigern. Wenn alle gesund sind, bin ich überzeugt, dass Deutschland bis zur EM eine gute Mannschaft haben wird.“
Der DFB wird sich auch steigern müssen! Zuerst in den beiden Testspielen im März gegen Frankreich in Lyon, wenige Tage später gegen die Niederlande. Und auch in den abschließenden zwei Tests im Mai gegen „Gegner von der Insel oder aus Skandinavien“, wie sich Völler in Verschwiegenheit hüllte.
Und zumindest in der derzeitigen Form wird auch die Gruppe A bei der Heim-EM wohl kaum ein Selbstläufer.