Die Niederlagen des DFB-Teams gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) haben ein halbes Jahr vor der Heim-EM für Ernüchterung gesorgt. Für SPORT1-Experte Stefan Effenberg war die bitterste Erkenntnis, dass ihn solche Ergebnisse nicht einmal mehr schocken.
Effenberg watscht Nagelsmann ab
Beide Niederlagen mit insgesamt fünf Gegentoren wären verdient gewesen, weshalb es Zeit sei, sich einzugestehen: „Das ist die Realität. Da steht der deutsche Fußball aktuell. Weit entfernt von der Weltspitze, in der wir über so viele Jahre waren“, erklärt Effenberg in seiner Kolumne für das Nachrichtenportal t-online.
Effenberg findet vor allem kritische Worte für Bundestrainer Julian Nagelsmann, dessen erste beide Spiele ihn bereits „nicht vom Hocker gerissen“ hätten. Noch weniger Verständnis hat er für dessen Aussagen nach der Niederlage gegen die Türkei, man solle nicht alles schwarzmalen.
„Nicht nur, wer Ahnung vom Fußball hat, sieht doch, in welcher Verfassung sich die deutsche Mannschaft gerade befindet. Nach Niederlagen gegen die Türkei oder Österreich kann ich doch nicht die rosarote Brille aufsetzen und mir alles schönreden“, kritisiert Effenberg.
Effenberg kritisiert DFB-Aufstellung: „Kann ich nicht verstehen“
Der 55-Jährige sieht auch Fehler bei der Aufstellung: „Ein Jonathan Tah spielt bei Bayer Leverkusen unglaublich stabil in der Innenverteidigung, ist einer der Hauptverantwortlichen für den aktuellen Erfolg der Mannschaft - und wird in der Nationalmannschaft gegen Österreich auf die rechte Außenbahn geschoben, auf der er sich offensichtlich nicht wohlfühlt. Das kann ich nicht verstehen.“
Würde bei Nagelsmann das Leistungsprinzip gelten, müsste Tah laut Effenberg in der Innenverteidigung gesetzt sein.
Aber nicht nur das stört den Ex-Profi: „Auch bei Kai Havertz ist mir das zu inkonsequent: Gegen die Türkei musste er als Linksverteidiger spielen, wurde danach für seine Leistung von Nagelsmann als ‚Weltklasse‘ gelobt - und im nächsten Spiel gegen Österreich nach 52 Minuten dann doch wieder weiter nach rechts vorne gezogen.“
Wäre er überzeugt von Havertz auf dieser Position, müsse er auch dort spielen, unabhängig vom Platzverweis für Leroy Sané. Effenberg, der an der Körpersprache der Spieler auch große Unzufriedenheit erkannt haben will, fällt ein knallhartes Urteil: „Das ergibt für mich alles keinen Sinn.“
Effenberg: „War auch zu Nagelsmanns Zeit bei den Bayern Thema“
Das Beispiel Havertz zeige ihm, dass „Nagelsmann zu viel überlegt und sich zu sehr in seinen eigenen Ideen gefällt.“ Denn „Weltklasse“, wie es Nagelsmann nannte, wäre die Leistung des Arsenal-Profis nur in der Sicht von Nagelsmann gewesen.
„Wenn alles verkompliziert wird - und das war ja auch schon mal zu Nagelsmanns Zeit bei den Bayern Thema -, dann geht die Freude am Spiel verloren. Da fragen sich die Jungs doch: ‚Mein Gott, was mache ich hier?‘“, schreibt Effenberg.
Wenn Nagelsmann und sein Team „mit gefühlt fünf Laptops auf der Bank sitzen“, kann Effenberg nur schmunzeln: „Ein Rudi Völler hat so etwas nie gebraucht, der hat seine Spieler mit der Kraft seiner Worte erreicht. Nagelsmann verliert sich zu sehr im Detail.“
Klare Worte von Effenberg: „Das muss ein Bundestrainer erkennen“
Die Mannschaft könne sich auch unmöglich einspielen, wenn in zwei Spielen so viele Veränderungen vorgenommen werden und ein Kimmich zum Beispiel gegen Österreich auf der Bank sitzt, nachdem er die Türkei noch gestartet war.
Unter dem Strich reiche es so einfach nicht: „Die Mannschaft funktioniert nicht als Mannschaft. Da ist keine Freude, kein Zusammenhalt erkennbar. Es fehlt auch dieser Wille, den Gegner zu bekämpfen.“
Die Spielertypen, die mit solchen Tugenden vorangingen und stolz vom Platz gehen könnten im Wissen, alles gegeben zu haben, gebe es zwar im Kader, aber „sie spielen entweder auf falschen Positionen - oder gar nicht. Das muss ein Bundestrainer erkennen, das erwarte ich von ihm.“