Als die deutsche Aufstellung im Testspiel gegen die Türkei bekannt wurde, grübelten viele Experten, in welcher Formation sich die elf Spieler zusammenfinden würden.
Havertz bei EM Verteidiger? Möglich!
Das Rätsel löste schließlich Julian Nagelsmann selbst auf, der kurz vor dem Anpfiff erklärte, Kai Havertz übernehme den Part auf der linken Abwehrseite.
97 Minuten später, nach der 2:3-Niederlage, wollte der Bundestrainer seinen Aufstellungscoup nicht schlechtreden – im Gegenteil.
„Kai Havertz hat ein herausragendes Spiel gemacht“
„Kai Havertz hat ein herausragendes Spiel gemacht“, sagte Nagelsmann bei RTL: „Die einzige Personalie, die überraschend war, war heute mit unser bester Mann.“ Das Experiment könnte zudem schon bald mehr sein als das. Havertz, der deutsche Linksverteidiger bei der EM? Durchaus eine Überlegung des Bundestrainers.
„Kai hat gesagt, er will es machen, will es probieren“, meinte Nagelsmann weiter: „Ich sehe darin kein Risiko für ihn, sondern eine sehr, sehr große Chance, eine tragende Rolle bei einer Heim-EM zu spielen“
Julian Brandt erklärte unterdessen, dass das Havertz-Experiment schon einige Zeit in den Gedanken des Bundestrainers war. „Ich weiß, dass das schon ein paar Tage länger eine Idee ist“, sagte der BVB-Star, der sich allerdings weniger euphorisch als Nagelsmann äußerte.
„Ich glaube, man muss ihm die Zeit geben, sich auf dieser Schienenbahn zu akklimatisieren. Das ist ja keine klassische Linksverteidigerrolle, sondern wir spielen Fünferkette. Er hat sich reingehängt und durch den Elfmeter ist es für ihn ein bisschen unglücklich gewesen.“
Insgesamt machte es der Arsenal-Profi auf ungewohntem Terrain aber ordentlich. Bei eigenem Ballbesitz agierte Havertz sehr offensiv und war in der 5. Minute zur Stelle, als er in der Strafraummitte den Pass von Leroy Sane zur 1:0-Führung verwertete.
Elfmeter? Nagelsmann nimmt Havertz in Schuss
In der Defensive blieb der 24-Jährige weitgehend fehlerlos und bekam für eine klärende Aktion sogar ein Extralob von Kevin Trapp, der die Faust Richtung Havertz ballte.
Dass dem früheren Leverkusener der Ball an die Hand sprang, was zum entscheidenden Elfmetertor für die Gäste führte, konnte man ihm nicht wirklich ankreiden. „Das ist kein Elfmeter, auch wenn ich weiß, dass international die Regel nochmal schärfer ausgelegt wird“, sagte Nagelsmann.
Dennoch gab es genug Redebedarf über die taktische Ausrichtung des früheren Bayern-Coaches. Lothar Matthäus kritisierte die Herangehensweise mit dem offensiven Havertz, da es dadurch de facto eine Dreier- statt Viererkette geworden sei.
Matthäus kritisiert Nagelsmanns Aufstellung
„Wir haben es nach der Weltmeisterschaft immer wieder gesagt: 4-2-3-1, das sollte das Grundsystem der deutschen Nationalmannschaft sein“, betonte der Rekordnationalspieler. „Natürlich hat man als Bundestrainer mal eine Idee und sieht einen Spieler da, wo ihn viele nicht sehen – so wie heute Kai Havertz links hinten. Er war aber sehr offensiv ausgerichtet - und dann war es wieder die Dreierkette, die die deutsche Mannschaft nicht beherrscht.“
Dies ließ Nagelsmann jedoch nicht gelten, zumal beide Gegentore nicht über die Havertz-Seite fielen – sondern über Deutschlands rechte Abwehrseite.
Entsprechend kritisierte der Bundestrainer das Verhalten von Benjamin Henrichs vor dem Ausgleich zum 1:1. „Er verteidigt beim ersten Gegentor sehr aktiv nach vorne, dadurch ist der Rücken zum Tor sehr frei. Es ist am Ende ein zu einfaches Gegentor“, analysierte der Coach.
Nicht hilfreich war, dass Leroy Sané, der offensiv starke Aktionen hatte, defensiv nicht immer auf der Höhe war - wie vor dem 1:2 kurz vor der Pause. Henrichs fehlte somit die defensive Unterstützung.
Nagelsmann vermisste zudem die Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor in der guten Anfangsphase und danach die „Emotionalität“ einiger Spieler. Kai Havertz, so viel scheint sicher, dürfte Nagelsmann damit nicht gemeint haben.