Kurz vor München platzte der WM-Traum von Sandro Wagner. Der damals 30-Jährige saß im Auto, als ihn ein Anruf von Bundestrainer Joachim Löw erreichte. Die niederschmetternde Nachricht: Es tut mir leid, aber du bist nicht beim Turnier in Russland dabei.
Der unbequeme Hoffnungsträger
Das passierte im Mai 2018, rund einen Monat vor Beginn der WM, bei der die deutsche Nationalmannschaft einen vielleicht bis heute unverdauten Rückschlag erleiden sollte.
Für Wagner - den Ehrgeizigen, den Querkopf, der sich nicht immer an das hält, was andere von ihm erwarten - war jener Tag im Mai ein einschneidendes Erlebnis – so sehr, dass er noch Jahre später darüber sprach: wie Löw ihn anrief, wie er im Auto saß, wie er kurz darauf seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft verkündete.
Wagner darf sich als Co-Trainer beweisen
Im August 2023 – rund fünf Jahre nach jenem Ereignis – ist Wagner ein Teil des neuen DFB, nicht als Spieler, aber Trainer, und nicht nur das: er ist Teil einer neuen Hoffnung, eines neuerlichen Aufbruchs, mit dem Ziel EM im eigenen Land.
Der inzwischen 35-Jährige, der im vergangenen Juli ein neues Abenteuer als Co-Trainer der U20-Nationalmannschaft begonnen hat, fungiert seit Sonntag vorübergehend als Co-Trainer des DFB-Teams, seit der Freistellung von Bundestrainer Hansi Flick durch die DFB-Bosse um Rudi Völler, Hans-Joachim Watzke und Bernd Neuendorf.
Völler selbst übernimmt die Rolle des Chefs, des Interimsbundestrainers für das Testspiel gegen Frankreich am Dienstag, an seiner Seite sind Hannes Wolf und ebenjener Wagner, der damit einen weiteren Schritt in seiner ambitionierten Karriere macht – einer Karriere, die noch lange nicht zu Ende scheint.
Wagner geht den unkonventionellen Weg
Der gebürtige Münchner, der als Geradeaus-Typ gilt, hat nicht weniges hinter sich, nicht weniges probiert als Spieler wie Trainer – und eigentlich nichts davon war wirklich gewöhnlich, vielmehr unkonventionell, aber am Ende durchaus erfolgreich.
„In der Wahrnehmung bin ich sicher nicht einer der beliebtesten Spieler. Aber das ist völlig in Ordnung. Ich bin keiner, der sich verstellt“, sagte Wagner einmal zu seiner Hoffenheimer Zeit.
Der frühere Stürmer erlebte damals unter Trainer Julian Nagelsmann einen zweiten Frühling, nachdem vieles – unter anderem beim FC Bayern, aus dessen Jugend er stammt – nicht geklappt hatte.
Wagner gewinnt Confed Cup
Bei der TSG traf er sogar so regelmäßig, dass Löw ihn für die Nationalmannschaft nominierte – wo er 2017 sein Debüt feierte und kurz darauf Confed-Cup-Sieger wurde.
Im Januar 2018 zog es Wagner zurück zu den Bayern, auch mit dem Traum, für die WM in Russland berücksichtigt zu werden; bekanntlich löste sich dieser Traum jäh in Luft auf. Stattdessen suchte Wagner das Glück in China, bei Tianjin Jinmen Tiger, wo er 2020 seine Profi-Laufbahn beendete.
Wagner trat in der Folge als Experte auf, erst beim ZDF, später bei DAZN. Zugleich arbeitete er als DFB-Jugendtrainer. Sein größter Erfolg nach der aktiven Karriere: der Aufstieg mit der SpVgg Unterhaching aus der Regionalliga in Liga drei, geschehen erst vor wenigen Monaten.
Inzwischen ist Wagner zurück beim ZDF, macht den Trainerschein für den Fußballlehrer und bekleidet die Rolle des Co-Trainers bei der U20 – bis Sonntag. Seitdem ist viel passiert und Wagner darf sich in höheren Kreisen beweisen.
Der frühere Angreifer, der auch als guter Pädagoge gilt, ist für seinen Fleiß und seine direkte Kommunikation bekannt, hat als Spieler wie Trainer bewiesen, dass er die Leute aus seinem Umfeld mitnehmen kann. Entscheidend dabei: Wegen seiner eigenen nicht immer einfachen Vergangenheit schätzt er es, wenn auch andere über Umwege an ihr Ziel kommen.
Wie lange sein Engagement bei der A-Nationalmannschaft andauern wird, ist noch vollkommen offen. Sollte Nagelsmann der neue Bundestrainer werden, ist es nach SPORT1-Informationen nicht ausgeschlossen, dass ihm Wagner als Co-Trainer zur Seite gestellt wird – es wäre für den eigenwilligen Querkopf, dem die Reise nach Russland damals verwehrt geblieben war, der vorläufige Höhepunkt einer bemerkenswerten Karriere.