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Damit entzweit der DFB Fußball-Deutschland

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Damit entzweit der DFB Fußball-Deutschland

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Dieses Thema spaltet Fußball-Deutschland

Der deutsche Fußball liegt am Boden. Die Männer, die Frauen, die U21 - alle in der Vorrunde des jüngsten großen Turniers ausgeschieden, doch das Problem liegt tiefer. Der DFB plant nun eine Revolution und entzweit Fußball-Deutschland.
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Hannes Nebelung
Hannes Nebelung
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Der deutsche Fußball liegt am Boden. Die Männer, die Frauen, die U21 - alle in der Vorrunde des jüngsten großen Turniers ausgeschieden, doch das Problem liegt tiefer. Der DFB plant nun eine Revolution und entzweit Fußball-Deutschland.

Verwelkte Pflanzen kranken an der Wurzel. Aus Sicht eines Botanikers ist diese Aussage fragwürdig, doch viele deutsche Fußball-Fans und -Experten würden sie unterschreiben. Der schwer angeschlagene Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat ein Nachwuchsproblem.

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Damit wieder frische Setzlinge gedeihen können, lockert der Verband nun seinen Mutterboden. Es soll wieder Platz für zarte Pflänzchen geschaffen werden, die unter den richtigen Umständen wachsen und gedeihen sollen.

Wirtz, Musiala und sonst?

Die einzigen deutschen Frühblüher, die es mit der internationalen Konkurrenz aufnehmen können, heißen Florian Wirtz und Jamal Musiala. Und Letzterer wurde nicht in Deutschland, sondern in England ausgebildet. Grund genug für den DFB, sein Nachwuchskonzept grundlegend zu hinterfragen und zu reformieren. Verkürzt gesagt: Bei den Kindern wird der Wettbewerb gestrichen und in der Junioren-Bundesliga sollen die Teams nicht mehr absteigen.

Eine Fußball-Revolution? Ein Quantensprung? Oder ein verzweifelter Versuch? Auf jeden Fall gefundenes Fressen für alle Traditionalisten. „Das finde ich grotesk“, befand Ex-Nationalspieler Thomas Helmer bei der Welt und auch sein Bayern-Teamkollege Dietmar Hamann erkannte im neuen DFB-Plan „wenig sinnvolle Schritte“, da den Kindern das „Leistungsprinzip austrainiert“ werde.

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Ex-DFL-Chef widerspricht Bayern-Granden

Doch ganz so einfach ist es nicht, sagt Andreas Rettig. Der frühere DFL-Geschäftsführer, der bekannt für seine progressive Haltung ist, stellte am Sonntag im STAHLWERK Doppelpass auf SPORT1 klar: „Wir müssen in der Sache differenzieren.“

Heißt konkret: „Es geht in der Altersklasse 6 bis 11 um Spaß, um Ballkontakte und dass alle zum Einsatz kommen. Es geht nicht darum, dass ein Siebenjähriger stolz sagen kann: Wir haben am Wochenende 2:1 gewonnen.“ Mit der DFB-Maßnahme, den klassischen Spieltag durch Spielformen im Vier-gegen-Vier oder Drei-gegen-Drei zu ersetzen, sollen „Kinder bei der Stange gehalten werden“.

Harsche Kritik an altem Nachwuchskonzept

Die Zahlen des DFB offenbaren den Mitgliederschwund. Von etwa einer Million angemeldeten Kindern bis 14 Jahren verliert der Verband rund 200.000 Spielerinnen und Spieler bis zum Erreichen der Volljährigkeit. „Bis vor einigen Jahren haben Zehnjährige noch Elf-gegen-Elf über den ganzen Platz gespielt. Da hat ein Spieler in 40 Minuten zweimal den Ball berührt“, kritisierte Rettig.

SPORT1-Experte Stefan Effenberg pflichtete Rettig in der Diskussion bei: „Wenn es bei Sechsjährigen schon um Sieg oder Niederlage geht, dann bleiben mindestens drei Spieler draußen. Was ist mit denen? Die gehen dann auch nach Hause.“

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Nicht nur in der Breite, auch in der Spitze hat der deutsche Fußball ein Problem. Im Vergleich zur internationalen Konkurrenz tut sich der DFB schwer, Spieler auf Weltklasse-Niveau zu entwickeln. Warum ist das so?

„Belegbare Statistiken sagen, dass bei einer längeren Verweildauer im Verein die Wahrscheinlichkeit für Talente steigt, dass sie auch oben ankommen“, erklärte Rettig im Doppelpass. Hier hinkt Deutschland anderen Top-Nationen wie England, Frankreich oder Spanien deutlich hinterher. Junge Talente wechseln hierzulande immer wieder die Nachwuchsleistungszentren. „Das ist nicht gesund“, befand Rettig: „Da geht nicht nur die Identifikation verloren, sondern auch die Ausbildung leidet.“

In Frankreich wurde schon Ende der 80er-Jahre ein System mit zentralen Nachwuchsakademien entwickelt. Dort werden bis heute die besten Talente einer Region an einem Ort zusammengesammelt und im Alter von zwölf bis 15 Jahren vollumfänglich betreut und gefördert.

Genau hier sieht Stefan Effenberg das entscheidende Problem bei der DFB-Reform: „Zwischen zwölf und 15 Jahren ist die entscheidende Phase, um auf den Zug Profifußball aufzuspringen. Wenn man mit zwölf Jahren erst in einen richtigen Ligabetrieb einsteigt, ist die Zeit in meinen Augen zu kurz, um den Sprung zu schaffen.“

Vorbild Frankreich: Henry, Mbappé und viele mehr

Wie gut das französische Konzept aufgeht, war bei der WM 2018 zu sehen: Dort waren außerhalb des französischen Weltmeister-Kaders 30 Spieler im Einsatz, die entweder in Frankreich geboren oder ausgebildet worden. Die berühmteste Talentschmiede in Clairefontaine brachte Spieler wie Thierry Henry, Kylian Mbappé und Christopher Nkunku hervor.

„Wenn man sich das als Beispiel nimmt, wäre das ja nicht schlecht. Das war und ist sehr, sehr erfolgreich“, sagte Effenberg im Interview mit SPORT1 in Bezug auf Frankreichs System. Der Champions-League-Sieger von 2001, der sich selbst als „Straßenfußballer“ bezeichnet, stellt sich jedoch die Frage, „ob sich Kinder in der heutigen Zeit mit all den Möglichkeiten überhaupt noch ausreichend fokussieren können“.

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Früher, erinnert sich Effe, „hatten wir einen Ball für zehn Mark und waren die glücklichsten Kinder dieser Welt. Wir hatten diese Ablenkungen nicht. Das unter einen Deckel zu bringen, ist die Herausforderung für den DFB.“ Und um diese Herausforderung umzusetzen, braucht es gute Trainer - und dies sei „das größte Dilemma, was wir haben. Das geht über die Reformen und Regeln des DFB hinaus.“

„Nicht gesund“: Effenberg rechnet mit der DFB-Ausbildung ab

Denn Effenberg, selbst in Besitz einer Fußballlehrer-Lizenz, sieht die Trainer-Ausbildung sehr kritisch: „Da wirst du extrem in Schablonen reingepresst. Da darfst du auch nicht raus. (…) Was ich da mitbekommen habe, war nicht gesund.“ In den zehn Monaten, in denen Effenberg sich unter anderem mit Ex-Bayern-Star Mehmet Scholl zum Trainer ausbilden ließ, waren „vielleicht sechs oder acht Wochen spannend und hochinteressant. Im Großen und Ganzen war es weit weg von dem, was ich als Trainer brauche.“

Rettig wiederum findet einen anderen Aspekt entscheidend. Der Ergebnisdruck auf die Trainer in den Nachwuchszentren sei kontraproduktiv. Hier will der DFB mit der Revolution der Junioren-Bundesliga gegensteuern. Diese heißt künftig „DFB-Nachwuchsliga“ und betrifft die U17- und U19-Jahrgänge. Alle 56 Leistungszentren sind ab der Saison 2024/25 in dieser Liga gesetzt und können nicht absteigen.

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Auch dieser Plan des Verbandes traf bei Ex-Profis wie Helmer und Effenberg auf wenig Verständnis. „Da bin ich strikt dagegen“, stellte Effenberg bei SPORT1 klar: „Der Abstieg macht ja gerade den Reiz in der dritten, zweiten und ersten Liga aus. Das muss in meinen Augen ein fester Bestandteil bleiben. Und spätestens ab der U17 müssen die Spieler genau das gelernt haben.“ Rettig widersprach im STAHLWERK Doppelpass vehement. Er findet, dass das neue DFB-Konzept „nicht richtig kommuniziert“ wurde und in Gänze „in die richtige Richtung geht“.

„NLZ-Tourismus“ hemmt deutsche Talente

Die Abschaffung des Abstiegs hat einen einfachen Hintergrund: Es gibt weniger Bundesliga-Startplätze als NLZ in Deutschland. So kämpfen in der Süd-Staffel aktuell „22 Nachwuchsleistungszentren um 14 Plätze“, erklärte Rettig. „Dann steht nicht mehr die Spielerentwicklung im Vordergrund, sondern der Klassenerhalt.“

Die Auswirkungen auf die betroffenen Mannschaften sind teilweise verheerend. „Nach dem Abstieg gehen dann die Spieler weg, weil sie weiter Bundesliga spielen wollen. Dann kommt es zu einem NLZ-Tourismus.“ Dieses Klub-Hopping soll nun durch die geschlossene Liga minimiert werden.

Um den Erfolg des Systems zu veranschaulichen, zeigt Rettig ins Ausland: „Bellingham und Musiala zum Beispiel, die sind ja beide keine Pflaumen, sind in England in genau so einem System ohne Abstieg groß geworden.“

In den englischen Nachwuchsakademien in Birmingham, London und Manchester sprießen reihenweise vielversprechende Sprösslinge aus der Erde. Das überaus fruchtbare Modell des geschlossenen Gewächshauses soll nun auch die verwelkte DFB-Pflanze zu neuem Leben erwecken.