Der Generationswechsel in der Nationalelf war Bundestrainer Joachim Löw eigentlich gelungen.
Löws gefährliches Spiel mit Kimmich
Von seinen Weltmeistern 2014 spielten nur noch drei in seiner ursprünglich EM-Planung eine Rolle: Torwart Manuel Neuer, Mittelfeldstratege Toni Kroos und Verteidiger Matthias Ginter. Schlechte Länderspielergebnisse wie das 0:6 gegen Spanien zwangen Löw zum Umdenken. Plötzlich musste er die Rückkehr von Thomas Müller und Mats Hummels vollziehen. Für jeden Trainer ist so eine drastische Kurskorrektur ein heikles Abenteuer.
Auf der einen Seite hat er junge Nationalspieler wie Joshua Kimmich und Leon Goretzka, die das Kommando übernehmen wollen und sollen. Auf der anderen Seite verdiente Männer, die mehr als ein Mitspracherecht beanspruchen. Und genau dazwischen: Jogi Löw.
Es muss ein DFB-Team mit Perspektive sein
In den wenigen Tagen, die ihm seit dem letzten Bundesliga-Spieltag Ende Mai blieben, musste der Bundestrainer schleunigst die beste Mischung aus Jugendstil und Erfahrung bilden. Die EM-Vorrunde verzeiht ihm keine Schwächephase. Erste Gegner in der Gruppe F sind heute Weltmeister Frankreich (15. Juni) und Europameister Portugal (19. Juni). Erst danach kommt Außenseiter Ungarn (23. Juni). Zwar könnte Deutschland auch als Gruppendritter ins Achtelfinale einziehen. Der Gegner wäre dann aber ein EM-Favorit. (EM 2021: Frankreich - Deutschland am Dienstag ab 21 Uhr im SPORT1-LIVETICKER)
Um eine belastbare Achse in der Mannschaft zu finden, hatte er genau zwei Testspiele: am 2. Juni gegen Dänemark (1:1) und am 7. Juni gegen Lettland (7:1). Das reicht natürlich nicht. Joachim Löw wird sich gezwungenermaßen auf seine Trainingseindrücke verlassen müssen.
Gesucht wird zum Beispiel ein Abwehrchef, der die Verteidigung gegen die Angriffswellen von Cristiano Ronaldo und Kylian Mbappé organisiert. Außerdem ein Torjäger, der zuverlässig die eigenen Angriffsbemühungen abschließt. Beides fehlte Löw zuletzt.
Kurz vor seinem Abschied beim DFB weiß der Bundestrainer nur zu gut: Drei Jahre vor der Europameisterschaft 2024 im eigenen Land will man eine Mannschaft mit Perspektive sehen. Auch das wird er bei seiner Nationalmannschaft beachten müssen.
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Zweite Kompetenz von Kimmich gefragt
Joshua Kimmichs Aufstieg zum Wortführer der Nationalmannschaft ist kein Zufall. Bundestrainer Löw hat immer darauf geachtet, dass junge Kräfte zur Entfaltung kommen. Das war schon 2010 so, als Michael Ballack ausfiel und damit Freiraum für Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos entstand. Dieser Generationswechsel wurde zum Grundstein für den WM-Sieg 2014. Jetzt also Kimmich.
112 Fußballprofis feierten in 15 Löw-Jahren Premiere in der Nationalmannschaft. Der Mittelfeldspieler des FC Bayern, 26 Jahre alt und in Stuttgart und Leipzig ausgebildet, ragt schon jetzt heraus. Sein ursprüngliches Aufgabengebiet: die rechte Außenbahn. Inzwischen hält er bei Bayern wie beim DFB die Schaltzentrale vor der Abwehr zusammen. Fast jeder Spielzug läuft über ihn, ganz gleich, ob’s gerade gut oder schlecht steht. Noch mehr wird bei der EM 2021 seine zweite Kompetenz gefragt sein. Weil die Abwehrreihe ungewohnte Schwächen zeigt, müsste jemand die Angriffe des Gegners rechtzeitig blocken. Kimmich tut dies mit einer Autorität, die ihn zum vielleicht besten, weil effektivsten Sechser in Europa erhebt. Aber darf er auch?
Natürlich ist die Versuchung groß, ihn zurück auf die rechte Spielfeldseite zu beordern. Dort auf außen gibt es keinen, der ausreichend Druck ausübt. Bundestrainer Löw hat das schon einmal getan: 2014 mit Philipp Lahm. Damals hatte er aber Alternativen im Mittelfeld. Die gibt es diesmal nicht. Kimmich wird sein entscheidender Faktor bei der EM 2021 sein.
Geht die Kimmich-Verschiebung schief, wird sich Bundestrainer Löw gleich zu Beginn der Europameisterschaft unangenehmen Fragen stellen müssen.
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