Leon Goretzka hatte da so eine Ahnung.
Goretzkas Vorahnung bestätigt sich
"Wenn du das Spiel von außen beobachtest, willst du natürlich helfen und merkst, das wird ein schwieriger Tag. Dann habe ich schon zu Thomas (Müller Anm. d. Red.) auf der Bank gesagt: 'Wir müssen heute noch ran und irgendwas bewegen'", erklärte der 26-Jährige nach dem nervenaufreibenden 2:2 der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn im letzten Gruppenspiel der EM 2021 bei MagentaTV. (Der Spielverlauf zum Nachlesen im LIVETICKER)
Und er sollte Recht behalten. Goretzka war der erste, den Löw nach rund einer Stunde für den schwachen Ilkay Gündogan einwechselte, Müller folgte rund zehn Minuten später - trotz seiner Kapselverletzung, die einen Startelfeinsatz unmöglich machte. (Die SPORT1-Einzelkritik der DFB-Elf)
In der 84. Minute bestätigte sich Goretzkas Vorahnung dann komplett. Wie er genau an den Ball gekommen ist, konnte der Mittelfeldspieler des FC Bayern München nach dem Spiel nicht mehr sagen. "Ich weiß gar nicht mehr wer ihn querlegt, lege zu Timo, dann wird der Ball geblockt und fällt mir vor die Füße." Die entscheidende Situation leitete ein anderer Joker ein. Nicht Müller, der 18-Jährige Jamal Musiala bediente nach einer Einzelaktion seinen Bayern-Kollegen. Der kam über den Umweg Werner wieder an den Ball, fasste sich aus rund 14 Metern ein Herz und drosch den Ball zum wichtigsten deutschen Treffer des bisherigen Turniers ins gegnerische Tor.
Goretzka: "Eine schöne Fügung"
"Dass mir der Ball dann beim Ausgleich so glücklich vor die Füße fällt, ist eine schöne Fügung", sagte Retter Goretzka nach dem Spiel. Diese Fügung verhinderte nicht nur ein erneutes Vorrunden-Aus der DFB-Elf nach der blamablen WM 2018. Sie verschob auch den Abschied von Bundestrainer Joachim Löw um mindestens noch ein weiteres Spiel. Dieses steigt am Dienstag im Londoner Wembley gegen England - ein echter Klassiker. (Die Achtelfinalpartien im Überblick)
"Ich hatte nie das Gefühl, dass es das war, wir haben extrem gute Moral bewiesen, gefightet bis es klappt. Das war sensationell. Ungarn hat alles reingehauen wie gegen Frankreich. Am Ende muss man sagen: Durch diese Gruppe durchzukommen, das war gut", erklärte Löw nach dem Spiel im ZDF.
Der Bundestrainer war nicht vollends zufrieden mit dem Spiel seines Teams. "Wenn du in Rückstand gerätst, wird es ein unglaublich zäher Kampf gegen so eine Mannschaft. Wir waren zweimal in Rückstand, insbesondere der Rückstand nach dem 1:1 war schlecht. Ansonsten waren wenig Räume da, auch außen haben sie sehr gut zugemacht." Lob gab es dagegen für den Gegner: "Es war eine sehr starke Defensivleistung von Ungarn."
Adam Szalai schockte die Löw-Elf in der 11. Minute per Kopf. Nach dem Ausgleich durch Kai Havertz in der 65. Minute schlug der Underdog direkt nach dem Anstoß durch András Schäfer erneut zu. Goretzka ließ die DFB-Elf dann in der Schlussphase jubeln.
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Der Regen prasselte schon lange unaufhörlich hernieder, als das erste Pflichtspiel-Duell beider Nationen seit dem legendären WM-Finale von Bern 1954 (3:2) angepfiffen wurde. Müller fehlte zunächst angeschlagen, und zwar sehr schmerzlich, wie sich herausstellen sollte, dafür warf Löw erstmals von Beginn an Leroy Sané ins Spiel.
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Es war die einzige Änderung im Vergleich zur Startelf gegen Frankreich (0:1) und Portugal (4:2). Somit spielte Deutschland wieder im 3-5-2 mit den hohen Außenverteidigern Robin Gosens (links) und Joshua Kimmich (rechts), die auch gleich Richtung ungarischer Grundlinie strebten. Kimmich hatte die erste Großchance (4.), Sané tat sich schwer.
Szalai schockt DFB-Elf früh
Ungarn bot weit weniger Räume als Portugal an. Standards, die im Verlauf des Turniers noch wenig Gefahr gebracht hatten, sollten helfen: Antonio Rüdiger verpasste die erste gute Freistoßflanke, später köpfte Hummels nach Eckball von rechts an die Latte (21.).
Löw feuerte seine Mannschaft in weißer Regenjacke an, sah dann aber entsetzt, wie eine perfekte Hereingabe des Gegners den dritten Rückstand im dritten Spiel verursachte: Ungarns Kapitän Szalai von Mainz 05 hatte zwischen Mats Hummels und Matthias Ginter gelauert, dem zuvor ein Ball aus dem Halbfeld verunglückt war.
Der meist rechtslastige Weg in den ungarischen Strafraum blieb steinig. Ginter wurde immer wieder zugestellt, Kai Havertz trat mal in die Tiefe an, was Gosens, Held des Portugal-Spiels, nicht zu nutzen wusste (16.). Gegen Ginter klärte dann Ungarns Leipziger Torhüter Peter Gulacsi (22.) - die DFB-Elf war virtuell Tabellenletzter der Gruppe F.
Der Regen wurde noch schlimmer, erdrückende Dominanz? Fehlanzeige. Auf den Außenpositionen hatte Löw das durchaus so erwartet, doch auch von den Halbpositionen kam viel zu wenig. Ungarn wirkte bissiger, nahm die extrem widrigen Bedingungen deutlich besser an. Löw stand mit Handtuch über dem Arm im Regen, sein Plan A scheiterte. Nach Havertz' Fehlschuss gab es sogar erste Pfiffe: Deutschland kam nicht in die gefährlichen Räume.
Deutschland lässt sich nach Ausgleich düpieren
Löw zögerte mit Wechseln und Umstellungen, dann brachte er Wucht für Eleganz: Goretzka übernahm im Mittelfeld den Platz von Gündogan, Kimmich rückte ins Zentrum in eine Dreierreihe, Sane verteidigte hinten rechts.
Aus Budapest kam gute Kunde, Frankreich drehte sein Spiel gegen Portugal nach Rückstand - in München hingegen das bekannte Bild: Vorne passierte außer halbgaren Flanken wenig, bis Gulacsi sich verschätzte und Havertz zur Stelle war. Der Schock kam nur 15 Sekunden später, als Sane sich auf unbekannter Position düpieren ließ. Das Anrennen auf den Ausgleich begann von vorn.
Rund ums Spiel war es nach den erhitzen Diskussionen im Vorfeld recht ruhig. Ein Flitzer mit DFB-Trikot und Regenbogenfahne versuchte, die ungarische Nationalhymne zu stören - ansonsten blieb es laut Polizei-Auskunft von wenigen Festnahmen abgesehen friedlich.
Die DFB-Elf fing sich nach kurzer Zeit wieder und kam im Dauerregen von München zu zwei hochkarätigen Chancen. In der 21. Minute traf Hummels nach einem Eckball per Kopf die Latte, kurze Zeit später scheiterte Ginter aus kurzer Distanz an Gulacsi.
Ungarn blieb vor allem im Umschaltspiel gefährlich und stellte die DFB-Elf vor Probleme. András Schäfer schoss nach rund einer halben Stunde allerdings über das deutsche Tor.
In der 66. Minute erlöste Havertz mit seinem Kopfballtreffer aus kurzer Distanz. Doch die DFB-Führung hielt nur Sekunden. Kurz nach dem Ausgleich erzielte Schäfer die erneute Führung für Ungarn. Doch Goretzka war wenige Minuten vor dem Schluss zur Stelle.
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Mit SID (Sport-Informations-Dienst)