Machen wir es kurz: Die Sache scheint klar, Jogi Löw holt Thomas Müller für die EM im Juni/Juli zurück in die Nationalmannschaft. Vielleicht auch Jérôme Boateng und Mats Hummels, aber bei Müller steht es, sollte nichts Außergewöhnliches mehr passieren, im Grunde fest. So sehen sie es auch beim DFB.
Müller kann schon mal Koffer packen
Der Bundestrainer hat sich bei der Argumentation der Pandemie-Situation bedient, ein guter Punkt, der auch auf jeden Fall funktioniert - weil ja auch nicht ausgedacht. Der Nationalmannschaft sei in Sachen Entwicklung "durch Corona fast ein ganzes Jahr genommen" worden, betont Löw im Interview mit dem Kicker.
Es gäbe deshalb den Gedanken, den Umbruch während der EM - im Sinne des Erfolgs - zu unterbrechen.
Thomas Müller kann die Koffer für die EM packen
Tatsächlich gab es zwischen November 2019 und September 2020 keine Lehrgänge oder Spiele. Tatsächlich ging das aber auch allen anderen Nationen so, die Fortbildung der großen Fußballnationen stagnierte, wenn man denn so will, international. Trotzdem ist das Argument gut und Löw wird für eine (ja sowieso geforderte) Rückholaktion Applaus bekommen.
Er macht die Nationalmannschaft, zumindest für die entscheidenden Zeiträume, wieder zur Ansammlung der Stärksten - statt weiter der Idee einer Ausbildungseinheit zu folgen, die sie zuletzt meist zuallererst sein sollte.
Jetzt sollte Thomas Müller sich die EM, in welcher Form und wo auch immer sie am Ende stattfinden wird, also freihalten. Er kann schon mal die Koffer packen.
Der Bundestrainer sammelt und nennt plötzlich gute Gründe für seine Wiederaufnahme im Kader der Nationalmannschaft. Auch eine Nominierung von Mats Hummels bereitet Löw argumentativ vor. Sie würden keinem im Weg stehen und der im Umbruch befindlichen Auswahl sogar helfen!
Der reine Erfolg steht im Fokus
"Der Charakter von Thomas Müller und Mats Hummels ist (…), dass sie andere in der Führung zulassen und nicht unterdrücken", formuliert Löw im Kicker, "da gab es in früheren Generationen eher Typen, die die alleinige Chefrolle für sich beansprucht und damit alle anderen blockiert hätten. Thomas Müller aber schätzt Jo Kimmich als Motor, Energiegeber und Motivator."
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Löw weiß, dass es im Sommer auch um seine Zukunft geht. Neben DFB-Manager Oliver Bierhoff hat auch Verbandspräsident Fritz Keller zuletzt betont, dass die Arbeit des Bundestrainers am EM-Ausgang gemessen wird. Die Bedeutung des großen Turniers, das absolute Highlight für alle bestehenden und potenziellen Partner und Sponsoren, wurde damit noch einmal dick unterstrichen.
Ausreden oder Rechtfertigungen wie ein Umbruch haben im Sommer keine Gültigkeit.
Vielleicht ist es genau der Druck, den das schwierige Gebilde Nationalmannschaft nun braucht. Persönliche Eitelkeiten und neunmalkluge Zukunftsstrategien komplett zur Seite, den reinen Erfolg in den Fokus. Mit den besten Spielern, ihrer Erfahrung, ihrem riesigen Hunger auf einen großen Titel noch mal. Die EM ist für Müller oder Hummels die letzte Chance mit der Nationalmannschaft.
Nicht ausgeschlossen, dass aus dieser Stimmung etwas wächst - und dass Löw am Ende alles komplett richtig gemacht hat...
Tobias Holtkamp, der Autor dieses Textes, war in der Chefredaktion von Sport Bild und Chefredakteur von transfermarkt.de. Heute berät er Sportler und Marken in ihrer inhaltlichen und strategischen Ausrichtung. Für SPORT1 schreibt Holtkamp als Kolumnist die wöchentliche "Bundesliga-Kolumne".