Es ist still geworden um Reinhard Grindel, seitdem er am 2. April 2019 und nach drei Jahren von seinem Amt als DFB-Präsident mit sofortiger Wirkung zurückgetreten war.
Grindel: Darum zeichnete Löw bis '22
Zum Verhängnis wurde dem 59-Jährigen eine Luxus-Uhr im Wert von 11.000 Euro, die er von einem ukrainischen Oligarchen zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Vorwürfe der Korruption standen im Raum.
Wenig später legte der frühere Bundestagsabgeordnete (CDU) auch seine Posten bei der UEFA und FIFA ab. Grindel, dessen Haus in Rotenburg Anfang Oktober im Zuge einer Steuer-Razzia beim DFB von Steuerfahndern durchsucht wurde, erlebte das WM-Debakel in Russland hautnah mit und verlängerte kurz vor dem Turnier die Verträge mit Nationalmannschafts-Direktor Oliver Bierhoff (bis 2024) und Joachim Löw (bis 2022).
Bei SPORT1 erklärt er die Hintergründe.
SPORT1: Herr Grindel, Joachim Löw bleibt als Bundestrainer im Amt. Wie bewerten Sie das Ergebnis des Bundestrainer-Gipfels am Montag?
Reinhard Grindel: Das DFB-Präsidium hat zwei Wochen nach dem 0:6 gegen Spanien nahezu wortgleich verlauten lassen, was Oliver Bierhoff schon eine Viertelstunde nach Spielschluss in Sevilla gesagt hat. Insofern irritiert mich nicht das Bekenntnis zu Joachim Löw, sondern eine zweiwöchige Debatte beim DFB, aus der alle Beteiligten nicht gerade gestärkt hervorgehen.
Grindel: "Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation"
SPORT1: Sind Sie noch ein Fan der Nationalmannschaft?
Grindel: Na klar. Ich schaue mir jedes Spiel an. Ich lasse mich auch über das, was im Umfeld passiert, immer noch unterrichten und stehe mit Einigen privat in Kontakt, mit denen ich früher von Amtswegen zu tun hatte.
SPORT1: Halten Sie das Weitermachen mit dem Bundestrainer für richtig?
Grindel: Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation. Die Spanier erleben es gegen die Ukraine, Dortmund gegen Köln, die Bayern lassen Punkte gegen Bremen. In der Bundestrainer-Frage muss man in längeren Linien entscheiden. Entscheidend ist die Frage: Traue ich dem Bundestrainer zu, den Umbruch zu gestalten und hat er das Vertrauen der Mannschaft? Oliver Bierhoff hat beides bejaht. Insofern ist es richtig, zumindest die EM 2021 abzuwarten und ihm bis dahin das volle Vertrauen zu geben.
SPORT1: Die Pressemitteilung des DFB war frei von jeglicher Kritik, vieles wurde beschönigt. Braucht es ehrlichere Worte, um das Vertrauen der Fans wieder zurückzugewinnen?
Grindel: Die Fans können darauf vertrauen, dass intern nichts beschönigt wird. Nach der Niederlage gegen Mexiko bei der WM in Russland haben wir mit der Delegation und Oliver Bierhoff stundenlang zusammengesessen und die Fragen analysiert, auf die wir nach dem Turnier klare Antworten gegeben haben. Ich gehe davon aus, dass das nach dem Spiel in Sevilla ebenfalls passiert ist. Wir brauchen wieder einen normalen Spielbetrieb, um die Arbeit des Bundestrainers fair bewerten zu können.
Löw-Verlängerung "keine Entscheidung im Alleingang"
SPORT1: Sie verlängerten in Ihrer Amtszeit vor der WM in Russland den Vertrag mit Joachim Löw vorzeitig bis 2022. Was waren die Beweggründe?
Grindel: Wir haben das mit dem Präsidialausschuss und im Präsidium ausführlich mit Oliver Bierhoff besprochen, der für diese Frage maßgeblich zuständig ist. Es war keine Entscheidung im Alleingang. Ich stehe aber zu dieser Vertragsverlängerung, weil damals im Frühjahr 2018 eine große Organisationsreform beim DFB durchgeführt wurde. Was heutzutage so mancher verdrängt: Oliver Bierhoff wurde Direktor für die Nationalmannschaften und den Spitzenfußball. Deshalb brauchte er damals einen neuen Vertrag.
SPORT1: Bis dato war es allerdings üblich, dass die Verträge des Trainerteams und von Bierhoff parallel liefen.
Grindel: Das stimmt. Unsere Sorge im Frühjahr 2018 war deshalb: Schließen wir nur einen langfristigen Vertrag mit Oliver Bierhoff ab, schaut kein Mensch darauf, dass sich seine Rolle verändert hat. Stattdessen wäre es als Misstrauensvotum wahrgenommen wurden, wenn wir zusätzlich nicht mit dem Trainerteam verlängert hätten. Eine solche überflüssige Debatte vor der WM wollten wir nicht. Deshalb haben wir schon im Frühjahr mit Oliver Bierhoff gesprochen und uns gefragt: Trauen wir Joachim Löw den Umbruch zu, der in jedem Fall nach der WM in Russland stattfinden musste? Damals standen wir sehr unter dem Eindruck der überragenden Arbeit, die Joachim Löw beim Confed-Cup geleistet hat. Wo er mit einer jungen Mannschaft in kurzer Zeit ein Spitzenteam geformt hat, das Mexiko mit 4:1 geschlagen hat - gegen die wir bei der WM ein Jahr später verloren haben. Wir hatten das Vertrauen, dass er den Umbruch gestaltet und den Rückhalt der Mannschaft besitzt. Das war damals ungebrochen und ist es, denke ich, heute noch.
SPORT1: Mit Oliver Bierhoff wurde bis 2024 verlängert. Mit Joachim Löw nur bis 2022. Warum?
Grindel: Ein Vertrag für Joachim Löw bis 2024 hätte fast schon die Wirkung eines Rentenvertrags gehabt. Diese Laufzeit erschien uns zu groß. Wir haben die unterschiedlichen Vertragslaufzeiten in Kauf genommen. Von uns konnte es damit erklärt werden, dass Oliver Bierhoff als Direktor einen längeren Vertrag braucht, nicht zuletzt, um die Akademie aufzubauen.
Grindel: "Kein Journalist kennt den Vertrag von Löw"
SPORT1: Würde eine vorzeitige Trennung mit dem Bundestrainer den DFB teuer zu stehen bekommen? Es ist von einer Abfindung in Höhe von acht Millionen Euro die Rede.
Grindel: Kein Journalist kennt den Vertrag von Joachim Löw. Deshalb sollte niemand die Behauptung aufstellen, der DFB könne sich schon aus wirtschaftlichen Gründen eine Trainerentlassung nicht leisten. Das ist abwegig! Entscheidend sind immer sportliche Gründe.
SPORT1: Glauben Sie, dass Joachim Löw seinen Vertrag erfüllen wird?
Grindel: Darüber will und werde ich nicht spekulieren.
SPORT1: Welchen Eindruck macht er aktuell auf Sie?
Grindel: Ich habe ihn als Menschen kennengelernt, der nicht beratungsresistent ist. Der sehr viel auf sein Umfeld, sein Trainerteam und seinen Berater hört und auch die Meinungen der Trainer aus der Bundesliga sehr ernst nimmt. Ich glaube, dass er aufgrund der Niederlage in Spanien umso entschlossener ans Werk gehen und seine Linie konsequent verfolgen wird. Ich möchte an dieser Stelle auf Jérôme Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller hinweisen.
SPORT1: Darauf wären wir ohnehin zu sprechen gekommen...
Grindel verteidigt Haltung bei Hummels, Boateng und Müller
Grindel: Wir haben nach der WM mit diesen Spielern in der Nations League in einem desaströsen Spiel in Amsterdam 0:3 verloren. Ein halbes Jahr später haben wir 3:2 im gleichen Stadion ohne die drei Spieler gewonnen. Da kann man nicht sagen, es ist alles falsch, was sich Löw konzeptionell vorstellt. Er braucht jetzt einen Zeitraum, um mit der Mannschaft in Ruhe trainieren zu können. In Herzogenaurach bei der EM werden die Rahmenbedingungen deutlich besser sein als bei der WM in Moskau.
SPORT1: Um auf das ausgemusterte Trio zurückzukommen. Sie halten es für richtig, wenn weiterhin auf eine Nominierung von ihnen verzichtet wird?
Grindel: Grundsätzlich ist es wichtig, eine Mannschaft für die WM 2022 in Katar zu entwickeln und zu schauen, wen man dann in einer eingespielten Einheit braucht. Im Offensivbereich gibt es eine größere Auswahl und daher mehr Möglichkeiten, um auf die Jugend zu setzen. Ich halte Joachim Löw nicht für einen Dogmatiker. Sollten sich durch Verletzungen oder andere Umstände in der Innenverteidigung vor der EM 2021 Notwendigkeiten ergeben, Entscheidungen zu überdenken, dann wird er das sicher tun. Augenblicklich gibt es dazu keinen Anlass. Auch aufgrund von Spielen wie gegen die Niederlande.
Grindel: Umbruch in der Pandemie zu bewerten nicht fair
SPORT1: Ist der in Ihrer Amtszeit eingeschlagene Umbruch misslungen?
Grindel: In der aktuellen Pandemie-Situation eine abschließende Bewertung darüber abzugeben, ob der Umbruch gelungen ist oder nicht, halte ich nicht für fair. Allein schon wegen einer unglaublichen Belastung für die Spieler. Nach der EM 2021 wird man sagen können, ob man auf dem richtigen Weg zur WM 2022 in Katar ist. Ich habe es immer für richtig gehalten, von WM zu WM zu denken. Dafür haben wir ja den Umbruch eingeleitet. Das muss der Maßstab sein. 2021 brauchen wir ein gutes Team bei der EM. Dort muss eine Entwicklung zu sehen sein. Ob der Umbruch gelungen ist, wird man erst nach der WM in Katar sagen können. Dort müssen wir wieder um den Titel mitspielen können. Das muss die Zielsetzung sein.
SPORT1: Wie bewerten Sie die Arbeit Ihres Nachfolgers Fritz Keller?
Grindel: Es gibt in der Politik, aus der ich ja bekanntlich komme, den Grundsatz: Zu seinen Nachfolgern äußert man sich nicht. Daran halte ich mich.
SPORT1: Philipp Lahm empfiehlt sich mit kritischen Aussagen für höhere Aufgaben. Trauen Sie ihm eines Tages das Amt des DFB-Präsidenten zu?
Grindel: Ich habe von ihm immer gehört, dass er die Rolle als Geschäftsführer der DFB EURO GmbH so fantastisch findet, dass er keine weitergehenden Ambitionen hat.
SPORT1: Mangelt es beim DFB an Loyalität? Sie traten 2019 zurück, weil der Uhrenskandal durchgesteckt wurde.
Grindel: Ich will jetzt nicht in Selbstmitleid ergehen. Das Amt des Präsidenten ist ein schweres. Alle, die beim DFB Verantwortung tragen, sollten ihren Beitrag dazu leisten, dass man dieses schwere Amt nicht noch schwerer macht. Das ist für das Ansehen in der Fußballwelt wichtig.