Die Rekordjagd geht weiter, doch erste Zweifel sind geweckt. Die deutsche Weltmeister-Mannschaft der zwei Gesichter hat gegen die geniale spanische Passmaschine einen Eindruck davon bekommen, wie steinig der Weg zum fünften WM-Stern werden kann.
Müller rettet wackeliges DFB-Team
Im hochklassigen ersten Teil des doppelten Härtetests hatte die beste Elf von Bundestrainer Joachim Löw beim 1:1 (1:1) phasenweise große Schwierigkeiten - doch dank eines Traumtores von Thomas Müller (35.) hielt die Serie von nun 22 Spielen ohne Niederlage. (Spielplan und Ergebnisse)
Mit Nummer 23 kann am Dienstag (20.45 Uhr im LIVETICKER) gegen Brasilien in Berlin die DFB-Bestmarke eingestellt werden. Löw dürfte das gleichgültig sein: Noch gehen ihm Erkenntnisse über Ergebnisse - und Erkenntnisse gab es in Düsseldorf reichlich.
Müller: "Haben noch Luft nach oben"
"Beide hatten gute Möglichkeiten, wir haben aber noch Luft nach oben. Ich habe mein Tor schon ein paar Mal beim Aufwärmen probiert, mit der Innenseite zu schießen. Schön, dass es so geklappt hat", sagte Müller in der ARD: "Die Spielfreude kann man den Spaniern niemals nehmen, aber man kann es ihnen schwer machen. Sie sind verwundbar, das hat man gesehen."
Auch Trainer Löw war angetan vom Test auf höchstem technischem Niveau. "Es war eine gute Intensität im Spiel. Es war ein Test, in dem wir viele Erkenntnisse gewinnen konnten", sagte der 58-Jährige: "Beide Mannschaften haben aber Luft nach oben, man will ja auch nicht immer alles zeigen."
Denn die erste halbe Stunde war für die Weltmeister eine Lektion in feinstem spanischem Tiki-Taka. Die Gäste brillierten mit ihrem Kombinationsspiel, sie übertrieben es aber bisweilen, so dass dem frühen 0:1 durch Rodrigo (6.) keine weiteren Tore folgten. Die deutsche Mannschaft fing sich, sie spielte ihrerseits schwung- und druckvoll. Mats Hummels köpfte den Ball an die Querlatte (65.). (Das Spiel zum Nachlesen im TICKER)
"Es war ein gutes Fußballspiel, die Spanier haben phantastisch herausgespielt, so was habe ich noch nicht gesehen. Wir hatten die ersten Minuten richtig große Probleme", sagte Hummels.
Löw hatte gegen den Weltmeister von 2010 auf Experimente verzichtet. Er deckte keine Karten auf, die er nicht zeigen wollte. Löw setzte auf ein Gerüst aus sieben Weltmeistern, nur der achte im Kader saß auf der Bank: Matthias Ginter. In Abwesenheit von Manuel Neuer, der kurz vor dem Anpfiff über große Fortschritte bei seiner Genesung berichtet hatte, stand gemäß Ankündigung Marc-Andre ter Stegen im Tor. Sami Khedira vertrat Neuer als Kapitän.
Iniestas Pass hebelt Defensive aus
Löw hatte seine Spieler gewarnt, dass die WM allen "Unmenschliches" abverlangen werde - da kam der Granit-Prüfstein Spanien gerade recht. Die Gäste traten über den überragenden Andres Iniesta, Isco und Bayern-Profi Thiago flink, extrem sicher und mit frühem Pressing auf, das deutsche Mittelfeld hatte enorme Mühe, sich darauf einzustellen.
Iniesta spielte einen Traumpass hinter Mats Hummels vorbei, Rodrigo stach in die Lücke - 0:1. Die unmittelbare Antwort verpasste Sturmspitze Timo Werner nach einer Flanke des vorab als "Nationalspieler des Jahres" geehrten Joshua Kimmich (9.).
Unter dem geschlossenen Dach der ausverkauften Esprit-Arena waren Unsicherheiten in der deutschen Defensive anfangs nicht zu übersehen. Hummels agierte fahrig, Jerome Boateng geriet mehrmals mit Ball heftig unter Druck und musste improvisieren. Für Khedira auf der Sechs ging es phasenweise zu schnell.
Müllers Hammer als Wachmacher
Im Vergleich zu den höchst filigranen Spaniern wirkten zudem die deutschen Angriffe lange hausbacken. Ein Schuss von Jonas Hector wurde geblockt (34.). Löw wurde unruhig, er legte sein Sakko ab und fuhr am Spielfeldrand fast aus der Haut, doch kurz darauf zog Müller 22 Meter vom Tor entfernt aus dem Stand unhaltbar ab. Es war sein 38. Länderspieltreffer.
Das Tor verlieh der deutschen Mannschaft, nun mit Ilkay Gündogan für Khedira, die vermisste Sicherheit. Julian Draxler (47.) und der bis dahin unauffällige Mesut Özil (50.) vergaben Gelegenheiten zur Führung - Spanien blieb trotz der Auswechslung Iniestas zur Pause brandgefährlich. Isco hatte das 1:2 auf dem Fuß (56.), im Gegenzug scheiterte Gündogan an Torhüter David de Gea.
Löw wird das Spiel gegen den Rekordweltmeister Brasilien wahrscheinlich nutzen, um den einen oder anderen Wackelkandidaten auf die Probe zu stellen. "Uns läuft schon etwas die Zeit davon", sagte der 58-Jährige. Seinen vorläufigen WM-Kader benennt er am 15. Mai in Dortmund. Danach folgen nur noch die Tests gegen Österreich (2. Juni in Klagenfurt) und Saudi-Arabien (8. Juni in Leverkusen). Deutscher WM-Auftaktgegner ist am 17. Juni in Moskau Mexiko.