„VfB, wir holen den Pokal“ hallte es ab der 84. Minute durch die Arena in Stuttgart. Obwohl noch rund zehn Minuten auf der Uhr waren, glaubte kein VfB-Anhänger mehr auf den Rängen, dass bei der 2:0-Führung noch etwas schief gehen könnte.
Schockstarre beim BVB
Gleiche Gefühlswelt bei allen, die es mit dem BVB hielten. Zu dominant, zu selbstbewusst war der Auftritt der Gastgeber. Zu uninspiriert, zu verunsichert wirkten die Dortmunder. Die Schwarz-Gelben ließen alles vermissen, was sie sich für das Wiedersehen mit den Stuttgartern vorgenommen hatten.
BVB-Coach Edin Terzic gab sich auf der Pressekonferenz am Dienstag noch selbstbewusst: „Wir werden uns das Spiel ins Gedächtnis rufen, damit wir aus den Momenten lernen und dass sie dann nicht mehr stattfinden.“ Das Resultat auf dem Platz war dennoch das gleiche wie bei der wohl bis dahin schlechtesten Saison-Leistung gegen den VfB vor rund vier Wochen: Planlose Offensivaktionen, kaum Ballbesitz in den wichtigen Zonen, wenig Selbstvertrauen - ein blutleerer Auftritt.
BVB-Coach Edin Terzic versuchte derweil analytische Ansätze zu finden: „Wir haben es nicht geschafft am Ball zu bleiben. […] Was wir versäumt haben, war ruhig und klar zu bleiben. […] Leider haben wir durch die vielen Ballverluste zu viele Verunsicherungen gehabt.“
Eine Verunsicherung, für die auch Terzic keine Erklärung hatte. Waren die beiden vergangenen Auftritte gegen Bundesliga-Überflieger Leverkusen (1:1) und der 3:1-Auswärtssieg bei AC Mailand in der Champions League doch so vielversprechend. Der Dortmunder Torwart Gregor Kobel, der sich seinen 26. Geburtstag mit Sicherheit auch anders ausgemalt hat, brachte es auf den Punkt: „Wir haben zweimal verdient verloren.“
BVB - Verändertes Personal, ohne Mut und Glück
Da halfen auch die personellen Wechsel in der Startelf nichts. Özcan, Adeyemi und Moukoko begannen statt Brandt, Reus und Füllkrug. Ziel war es, das Zentrum defensiv abzusichern und im Gegenpressing zuzupacken.
Das erste funktionierte, trotz einiger brenzliger Situationen, einigermaßen bis glücklich. Bis zum 1:0 durch - natürlich - Serhau Guirassy (54. Minute). Der VfB hätte schon früher die Führung erzielen können, belohnte sich aber durch Ungenauigkeiten im letzten Drittel nicht.
Offensiv bot der BVB wenig bis nichts an und hätte den Spielverlauf dennoch zweimal fast komplett auf den Kopf gestellt. Ein Lattentreffer aus dem Nichts von Marcel Sabitzer (20.) hätte die Führung, ein wegen Abseits aberkanntes Tor von Jamie Bynoe-Gittens den Ausgleich bedeutet (60.).
Aber auch die wenigen geglückten Offensivaktionen führten zu keinem Ruck in der Mannschaft. Es bot sich auch im Anschluss immer das gleiche Bild: Stuttgart rannte an, der BVB verhielt sich wie das Kaninchen vor der Schlange. Und so kam es folgerichtig zum völlig verdienten 2:0 (77.) durch Silas, der sechs Minuten zuvor für den starken Chris Führich eingewechselt wurde und den Deckel für seine Farben draufmachte. Schockstarre beim BVB!
VfB-Coach Hoeneß: „Das ist kein Lauf mehr“
Das Ziel DFB-Pokalsieg für den BVB damit ausgeträumt. Ganz anders die Situation beim VfB: Letztes Jahr Halbfinale, dieses Jahr mindestens Viertelfinale. In der Liga stehen die Stuttgarter nach 13 Spieltagen auf Platz 3 der Tabelle (30 Punkte). Der VfB reitet auf der Welle der Euphorie und des Erfolgs.
Wobei VfB-Coach Sebastian Hoeneß, der auch sein drittes Spiel mit seinem VfB nicht gegen den BVB verliert (2 Siege, 1 Unentschieden), nicht als Zufall oder glückliche Phase abstempeln will: „Das ist schon kein Lauf mehr. […] Wir sind auf dem Weg uns in einen Bereich zu etablieren, wo wir aktuell hingehören.“ Und das ist aktuell zweifelsohne ganz oben in der Tabelle.
Kein Wunder, dass da auch Bundestrainer Julian Nagelsmann auf der Tribüne der Mercedes-Benz Arena platznahm, um sich das (einseitige) Spitzenspiel etwas genauer anzuschauen.
Besonderes Augenmerk hatte Nagelsmann dabei auf die Stuttgarter Deniz Undav, der nach dem Spiel bekanntgab, dass er in Zukunft für die Deutsche Fußballnationalmannschaft stürmen will, und Waldemar Anton gelegt.
Auf SPORT1-Nachfrage, ob er sich denn bei so einer Leistung über die Anwesenheit des Bundestrainers doppelt freut, antwortete Anton grinsend: „Er hat bestimmt meine Nummer, mal sehen, ob er sich meldet.“ Bei diesen Leistungen bestimmt nur eine Frage der Zeit.
BVB-Kapitän Can: „So ist es nicht genug“
Einzig allein in der Champions League weiß der BVB in dieser Saison so richtig zu überzeugen und phasenweise sogar zu begeistern. In der Bundesliga stehen die Dortmunder nur auf Platz 5 (10 Punkte Rückstand auf Leverkusen) und im Pokal darf man nach der Winterpause nicht mehr mitmischen.
„Wir müssen uns auf jeden Fall mal zusammensetzen und das analysieren. So ist es nicht gut genug als Team“, bilanziert Kapitän Emre Can.
BVB-Coach Edin Terzic trauert vor allem der Möglichkeit hinterher, als einer von drei verbliebenen Bundesligisten im DFB-Pokal, gute Chancen zu haben, Ende Mai nach Berlin reisen und den Pokal an den Borsigplatz nehmen zu dürfen: „Es war ein extrem wichtiges Spiel für uns. Jetzt geht es darum, ganz schnell die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen und eine richtige Reaktion zu zeigen“. Wie das gelingen soll? „Regeneration, Training und wieder weitermachen.“
Vierfacher Verletzungsschock - BVB-Quartett verletzt
Als ob das Ausscheiden im Pokal nicht schon genug Sorgenfalten verursacht, plagen dem BVB nach dem Spiel auch noch Verletzungssorgen.
Youssoufa Moukoko (Stich im Oberschenkel), Marius Wolf (umgeknickt), und Marcel Sabitzer (Schlag auf die Wade) mussten alle während des Spiels ausgewechselt werden. Julian Ryerson (Knie verdreht) musste nach Abpfiff zur Kabine gestützt werden.
Über die voraussichtliche Ausfallzeit ist bisher noch nichts bekannt.
Sicher ist aber, dass der BVB in der Vorweihnachtszeit, auch nach der unvermeidlichen Trennung von Sport-Koordinator Slaven Stanic und den damit verbundenen Unruhen in der Führungsriege, weit weg von Besinnlichkeit ist. Im Gegenteil. Am Samstag kommt der Tabellenvierte Leipzig in den Signal Iduna Park.
Eine deutliche schwarz-gelbe Leistungssteigerung muss also her. Hoffnung macht bei Borussia Dortmund gerade einzig allein die Tatsache, dass man auch dann, wenn es keiner so recht erwartet, ein Spiel auf Top-Niveau abliefern kann. Dafür müssen aber erst einmal die Sprechchöre aus der Mercedes-Benz Arena aus den Köpfen der BVB-Spieler.