Seit dem 1. März 2022 ist Marvin Compper Nachfolger von Markus Gisdol beim russischen Erstligisten Lokomotive Moskau.
Compper irritiert Freiburger Ablehnung
Dieser war aufgrund des Krieges in der Ukraine vom Amt des Cheftrainers zurückgetreten. Compper, der bereits zuvor Spielanalyst im Verein war, blieb. Zum Unverständnis vieler. (NEWS: Alle aktuellen Infos zum DFB-Pokal)
Vor dem Pokalfinale zwischen dem SC Freiburg und RB Leipzig (Sa., 19 Uhr im LIVETICKER) spricht Compper, der als Profi von 2014 bis 2017 für die Roten Bullen spielte, im SPORT1-Interview erstmals ausführlich über seinen Verbleib in Russland und äußert sein Unverständnis darüber, dass der SC Freiburg für Fan-Utensilien zum Pokalfinale die Nutzung seines Vereinswappens neben dem von Leipzig untersagt hat. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan des DFB-Pokals)
SPORT1: Herr Compper, wie geht es Ihnen?
Marvin Compper: Danke, mir geht es sehr gut. Der Job bei Lok Moskau ist herausfordernd. Da ich mittlerweile hauptverantwortlich für die Mannschaft bin, erlebe ich die Zeit noch intensiver, gerade im Hinblick auf meinen Aufgabenbereich. Im Endeffekt habe ich die Rolle von Markus Gisdol übernommen und gleichzeitig meine bisherige Rolle behalten. Inklusive des Torwarttrainers sind wir aktuell zu Dritt, da wir keinen neuen Co-Trainer dazubekommen haben. Auf dem Papier darf ich allerdings kein Cheftrainer sein, weil mir die nötige Lizenz fehlt, aber unser Torwarttrainer besitzt diese und unterstützt uns.
Warum blieb Compper trotz Ukraine-Krieg in Russland?
SPORT1: Wir müssen über ein Thema nochmal sprechen. Viele in Deutschland haben sich gefragt, warum Sie nicht auch mit Herrn Gisdol gegangen, sondern geblieben sind. Mit Verlaub, Sie arbeiten in einem Land, das gegen die Ukraine Krieg führt.
Compper: Ich kann die Irritationen bei vielen Menschen verstehen, wenn man sieht, wie die Medien dieses Thema behandeln. Sportlern wurde immer verboten, politische Statements abzugeben. Und plötzlich wird verlangt, dass ich zur politischen Situation etwas sage. Das verstehe ich nicht. Warum soll ich mich jetzt instrumentalisieren lassen, um politische Statements zu geben?
SPORT1: Aber nochmal: Warum bleiben Sie in einem Land, dessen Präsident seit Wochen Krieg führt?
Compper: Mein Verbleib in Moskau ist auch kein Statement in eine andere Richtung. Ich halte mich aus der Politik komplett raus. Ich habe hier einen Job begonnen, der sich um unser Projekt, die Spieler und das Team drumherum dreht. Ich bin nicht der Einzige, der hierhergekommen ist. Ich bin ein Teamplayer, denke nicht nur an mich und renne nicht einfach davon, wenn Druck von außen kommt. Ich habe mir mit meinem Trainerteam viele Gedanken gemacht und überlegt, ob das moralisch vertretbar ist.
SPORT1? Und?
Compper: Wir haben entschieden, zu bleiben, weil wir mit jungen Menschen zusammenarbeiten und nicht nur mit russischen, sondern mit kroatischen, polnischen und französischen Jungs. Ein Spieler aus Frankreich kam erst im Januar nach Moskau, weil wir ihn geholt haben. Jetzt einfach wegzulaufen, wäre diesem Jungen gegenüber nicht fair. Das entspricht auch nicht meinen Werte-Vorstellungen. Dass ich den Krieg verurteile, ist keine Frage. Darüber müssen wir nicht diskutieren. Der Job, das Projekt und unsere Vision, etwas voranzutreiben, hatten aber immer Priorität. Weglaufen und selbst verbrannte Erde zu hinterlassen, das entspricht nicht meinem Naturell.
Compper kann Kritiker verstehen
SPORT1: Das klingt dann aber so, dass Sie die Entscheidung von Herrn Gisdol nicht verstehen.
Compper: Die Art und Weise verstehe ich auf gar keinen Fall. Das war eine Nacht- und Nebelaktion von Gisdol. Ich will aber nicht nachtreten, jeder muss so etwas für sich entscheiden. Ich habe meine Beweggründe erklärt und es gibt noch weitere Ausländer, die gekommen sind. Hier ist ein Projekt in vollem Gange und ich will daran mitwirken, dieses weiter voranzutreiben.
SPORT1: Konnten Sie mit Gisdol nochmal reden?
Compper: Nein. Wir hatten keinen Kontakt mehr.
SPORT1: Können Sie die Kritiker verstehen, die sich fragend anschauen und sagen: ‚Warum verlässt Marvin Compper nicht auch Russland?‘
Compper: Natürlich kann ich diese Leute verstehen. Es geht immer um Sichtweisen und Perspektiven. Es ist durchaus legitim, dass manch einer das gar nicht nachvollziehen kann. Jeder darf seine Meinung dazu haben. Ich kann nichts anderes tun, als zu erklären, warum ich geblieben bin. Wenn sie meine Argumente nicht akzeptieren wollen, ist das ihr gutes Recht. Es ist aber auch mein gutes Recht, die Aufgabe, die ich begonnen habe, weiterzuführen. Mein Vertrag läuft noch bis 2024.
SPORT1: Also können Sie etwas aufbauen.
Compper: Darum ging es ja. Das war die Idee, die dahinter steckte. Ich bin erst ein Jahr, bevor ich nach Moskau kam, Trainer geworden und es war eine unglaubliche Chance, das zu machen. Jetzt ist die Gelegenheit noch größer für mich, als Trainer zu wachsen und mich weiterzuentwickeln.
SPORT1: Aber hätten Sie sich die Umstände so schwer vorgestellt?
Compper: Man wächst an seinen Aufgaben. Wenn man so eine anspruchsvolle Aufgabe nach einem zweiten Trainerwechsel bekommt und einen Umbruch im Team begleiten muss, dann ist das die beste Schule, die man durchlaufen kann.
„Tedesco hat allen Skeptikern die lange Nase gezeigt“
SPORT1: Lassen Sie uns über das Pokalfinale sprechen. Wie beurteilen Sie die Saison von RB Leipzig?
Compper: RB Leipzig hat eine erfolgreiche Saison gespielt, vor allem, wenn man diese jetzt noch mit einem Pokalsieg vergolden kann. Und die Ambitionen werden nicht weniger werden. Spielstärke, Variabilität und Geschwindigkeit stehen wieder für ihr Spiel. Und für diese drei Dinge steht Domenico Tedesco. Er hat allen Skeptikern die lange Nase gezeigt, hat zu sich zurückgefunden und mit ihm auch RB. Er zeigt zum wiederholten Mal, dass er ein Team entwickeln, vorantreiben und besser machen kann.
SPORT1: Was eint die beiden Trainer?
Compper: Tedesco ist deutlich jünger. Christian Streich ist eine Rarität im heutigen Fußball. Er ist eine absolute Seltenheit. Vor ihm und seiner Leistung habe ich großen Respekt. Beiden Mannschaften sieht man die Handschrift der Trainer an. Sie vermitteln den Spielern ihren Stil. Das eint Streich und Tedesco.
SPORT1: RB Leipzig ist zuletzt aus der Europa League ausgeschieden. Wie sehr wirft den Klub das zurück?
Compper: Überhaupt nicht. Man spielt in der nächsten Saison wieder in der Champions League. Alle Dinge, die seit meinem Abschied vor viereinhalb Jahren bei RB Leipzig passiert sind, sind Dinge, die einen Verein wachsen lassen. Was ich schon damals gerne immer gesagt habe: Der Klub hat keine Geschichte in der Vergangenheit, aber er ist mittendrin seine aktuelle Geschichte zu schreiben. Und in 10, 20 Jahren wird man eine eigene Geschichte vorweisen können. Das ist zwar eine jüngere Geschichte, als die, auf die die meisten anderen Vereine schauen können, aber es ist die Geschichte von RB Leipzig. Und enttäuschende Erfahrungen machen einen nur stärker. Das Pokalfinale am Wochenende ist doch eine tolle Geschichte.
„Nagelsmann wird bei Bayern eine Dynastie prägen können“
SPORT1: Wie sehen Sie Domenico Tedesco? Er war vor Leipzig auch Trainer in Moskau.
Compper: Domenico hat zum wiederholten Male gezeigt, dass er ein top Trainer ist, der immer etwas aufbauen kann. Mit Schalke wurde er Vizemeister. Man muss nur mal schauen, wie es danach mit den Königsblauen abwärts ging. Auch, wenn sie jetzt aufgestiegen sind, würde sich dort so mancher die Zeit unter Tedesco zurückwünschen. Da hat er als junger Trainer in einem schwierigen Umfeld sehr gute Arbeit geleistet. Bei seiner ersten Profistation in Aue ist ihm das binnen kurzer Zeit ebenfalls gelungen. Mit Spartak Moskau ist er Vizemeister geworden. Nachdem er dort weg war, hat man jetzt Probleme. Und in Leipzig hat er auch Erfolg, kann den Pokal gewinnen und spielt mit dem Team erneut in der Champions League. Noch Fragen zu Tedesco?
SPORT1: Wie fällt Ihr Zeugnis für den früheren Leipzig-Trainer Julian Nagelsmann aus?
Compper: Er bekommt von mir ein sehr positives Zeugnis ausgestellt. Er ist jünger als Manuel Neuer und schon Trainer bei Bayern München. Das ist unfassbar und zeigt, was für ein Weltklasse-Trainer er ist. Nagelsmann wird beim FC Bayern eine Dynastie prägen können. Wenn sie ihn lassen, aber das Zeug dazu hat er.
Freiburgs Weigerung: „Da wird neuer Hass geschürt“
SPORT1: Der SC Freiburg hat zuletzt etwas gemacht, was so gar nicht zum Klub passt. Man hat dem Gegner auf Fan-Utensilien zum Pokalfinale das Vereinswappen untersagt. Was sagen Sie dazu als ehemaliger Leipzig-Profi?
Compper: Freiburgs Ablehnung irritiert mich. Diese herrscht leider nach wie vor bei dem einen oder anderen Klub. Und jetzt kommt das Thema wieder hoch. Es werden auch keine Freundschaftsspiele auf Druck der Fans veranstaltet, um den eigenen Anhängern gerecht zu werden. Es ist ein Protest gegen das Zustandekommen eines Klubs wie RB Leipzig. Ich dachte, das hätte sich längst erledigt. Es ist schade, denn es ändert nichts. Der Verein existiert und die Menschen in dem Klub arbeiten genauso hart wie die Menschen in Freiburg. Es wird hoffentlich mal der Moment kommen, wo hinter die Fassade geblickt und registriert wird, dass da gute Arbeit abgeliefert wird und sie die sportlichen Erfolge verdienen.
SPORT1: Ist es nicht ein Rückfall in alte Zeiten mit der Ablehnung?
Compper: Sicher. Da wird neuer Hass geschürt. Das ist nicht die feine Art und es war nicht Freiburg-like. Aber damit müssen die Freiburger klarkommen. Das ist ein Verein, der für gewisse Werte und Toleranz einstehen will, aber ich sehe jetzt keine Toleranz. Ich finde es schade, dass es zum Pokalfinale keine Schals gibt mit beiden Logos darauf. Das ist ein Präzedenzfall. (lacht)
Compper will in die Bundesliga
SPORT1: Wo geht Ihr Weg hin? Endgültig Trainer oder doch im Sportmanagement?
Compper: Ich will definitiv ein erfolgreicher Trainer werden. Es reizt mich ungemein, mit einer Mannschaft etwas zu entwickeln, ihr eine Handschrift zu verpassen und junge Menschen voranzubringen und zu verbessern. Es ist doch etwas Schönes, ihnen ein Umfeld zu geben, in dem sie sich für ihre Leidenschaft entfalten können.
SPORT1: Wünschen Sie sich auch eine Rückkehr in die Bundesliga?
Compper: Das wäre ein absoluter Traum. Ich will Trainer in der Bundesliga werden. Mein Job in Moskau ist ein deutlicher Schritt nach vorne, aber es ist auch so, dass aufgrund des Krieges russische Vereine nicht an europäischen Wettbewerben teilnehmen dürfen und dadurch das Niveau sinken wird. Ambitionierte Spieler werden Russland verlassen. Der Weg soll für mich zurück nach Europa beziehungsweise in die Bundesliga führen. Das ist mein Ziel. Ich will es so weit wie möglich als Trainer schaffen.
Pokalfinale: Leipzig der Favorit
SPORT1: Wer war Ihr bester Trainer?
Compper: Den gibt es nicht. Ralf Rangnick hat mich geprägt, ganz klar, aber von Brendan Rodgers in Glasgow habe ich viel mitgenommen, was die Menschenführung und die Kommunikation mit den Spielern angeht. Jupp Heynckes hat mir viel beigebracht, als ich ein junger Spieler war. Und auch die Motivation eines Ralph Hasenhüttl war beeindruckend. Von jedem habe ich etwas Wichtiges gelernt.
SPORT1: Wie geht‘s aus am Samstag im Finale?
Compper: Ich glaube, dass die Leipziger als Favorit ins Spiel gehen werden, nicht nur aufgrund der Tabellen-Situation, auch wenn sie knapp ist. Leipzig muss diesen letzten Schritt einfach gehen und sich den Titel sichern. Aber die Freiburger werden ihnen alles abverlangen. Auch, wenn es durch diese Geschichte mit den Logos auf den Schals Nebengeräusche gibt, sollte der Fokus auf dem Platz liegen. Ich hoffe einfach auf ein schönes Finale. Und ich drücke Leipzig die Daumen, weil es mein ehemaliger Verein ist.