2003 erzielte sie das letzte Golden Goal der Fußball-Geschichte und machte Deutschland vor mehr als 20 Jahren im Finale gegen Schweden zum Frauen-Fußball-Weltmeister. Nia Künzers Image hat viel diesem Tor zu verdanken, aber nicht nur. Sie gewann immerhin siebenmal die Deutsche Meisterschaft, siebenmal den deutschen Pokal, holte dreimal den UEFA-Cup und ist damit eine der hochdekoriertesten Spielerinnen des Landes. Und das, obwohl sie mit 28 Jahren ihre Karriere nach vier Kreuzbandrissen beenden musste.
Künzer fehlt „Siegermentalität“
Doch sie ist der Öffentlichkeit seit 2006 als kompetente Expertin im TV erhalten geblieben. Künzer hat viel zu sagen. Als Führungskraft im Regierungspräsidium Gießen, als Mutter, als Fußball-Expertin und als Buchautorin.
Wie sie die aktuelle Lage im deutschen Frauenfußball sieht, was das Aufwachsen mit sieben Pflegegeschwistern mit ihr gemacht hat und wieso Frauen den besseren Fußball als Männer spielen, das erzählt sie in einem neuen LEADERTALK mit Persönlichkeitscoach und Autor Mounir Zitouni, der im Rahmen einer Live-Ausgabe in Frankfurt aufgenommen wurde.
- Leadertalk - der SPORT1 Podcast von und mit Business-Coach und Autor Mounir Zitouni - die aktuelle Folge bei SPORT1, auf meinsportpodcast.de, bei Spotify, Apple Podcasts und überall, wo es Podcasts gibt
„Bei der Nationalmannschaft fehlt mir die Siegermentalität“
Immer noch wird Nia Künzer auf ihren größten Erfolg angesprochen. Natürlich. „Der WM-Sieg 2003 war für den Frauenfußball in Deutschland extrem wichtig. Es war ein echtes Highlight, 13 Millionen Menschen haben damals in der ARD in der Spitze zugeschaut. Dass sich die Dramaturgie nach meinem Golden Goal so auf mich konzentriert hat, habe ich wie in Trance für mich erlebt. Ich habe das gar nicht steuern können, habe immer wieder gesagt, ich habe im ganzen Turnier nur 90 Minuten gespielt, während andere durchgespielt haben. Aber dieses Tor war dennoch eher ein Segen für mich, für den Frauenfußball“, sagt sie heute.
Dass die aktuelle Nationalmannschaft bei der letzten WM noch nicht einmal die Vorrunde überstand, ist auch für Künzer kaum erklärbar. „Bei einem erfolgreichen Turnier muss einfach alles stimmen. So wenig wie möglich Verletzte, aber auch die Resilienz, Widerstände zu überwinden, wenn es mal im Spiel ungewohnte oder schwierige Situationen gibt, und das hat im Team einfach gefehlt. Was sehr schade ist, dass es im Nachgang keine Möglichkeit gab, das aufzubereiten, einerseits sportlich aber auch – und da sind wir beim Thema Führung – was die Kommunikation angeht. Jetzt sind wir in einer sehr verzwickten Situation, haben mit Horst Hrubesch aber den richtigen Mann zu richtigen Zeit, mit der richtigen Ansprache, aber sicherlich nur eine Zwischenlösung.“
Was ihr auffällt: „Bei der Nationalmannschaft fehlt mir die Siegermentalität. Wir hatten eine Zeit, wo die Teams auf den Platz gekommen sind und nicht wirklich daran geglaubt haben, dass gegen uns was zu holen ist. Im Moment haben wir die Ausstrahlung nicht, obwohl die Spielerinnen besser ausgebildet sind als früher.“
Künzers beeindruckende Lebensgeschichte
Künzers Biographie ist beeindruckend. Im Gespräch erzählt sie: „Ich bin in Afrika geboren, aber noch als Säugling nach Deutschland gekommen. Meine Eltern haben meine Geschwister dann hier in Deutschland aufgenommen. Ich war die zweitjüngste von unseren Geschwistern. Es macht was mit einem, in einer solchen Großfamilie aufzuwachsen. Auch mal zurückzustecken, aber ich musste schon auch lernen, mich durchzusetzen. Das geht nicht ganz ohne Konflikte, aber ich habe es total zu schätzen gelernt, was es bedeutet, eine Familie, ein Team zu sein und zu haben.“
Im Regierungspräsidium Gießen hat sie aktuell einen spannenden Job mit Führungsaufgaben inne. Für sie ist klar: „Es gibt ja viele Aspekte, aber einer der wesentlichen Aspekte einer Führungskraft ist, dass sie Empathie hat, auch, dass sie authentisch ist. Das sind die wichtigsten Dinge. Das hat was damit zu tun, ob ich glaubwürdig bin bei dem, was ich mache.“
Sie führt aus: „Ich stehe vielleicht in der Hierarchie höher als andere, aber ich kommuniziere auf Augenhöhe. Das alles hat ja mit Empathie zu tun und auch wenn ich versuche, mein Team mitzunehmen - ganz ohne Empathie stelle ich mir das schwer vor.“ So glücklich sie auch gerade im aktuellen Job ist, ein wenig fehlt ihr der Fußball schon, gerade nach dem Abschied von der ARD. „Mein Job jetzt hat nicht viel mit Sport zu tun. Ich kann mir schon vorstellen, beruflich wieder näher an den Sport heranzurücken“, sagt sie deshalb.
Mounir Zitouni (53) war von 2005 bis 2018 Redakteur beim kicker und arbeitet seitdem als Businesscoach, betreut Führungskräfte in punkto Leadership, Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung. Der ehemalige Profifußballer (OFC, SV Wehen, FSV Frankfurt, Esperance Tunis) hat zuletzt die Autobiographie von Dieter Müller verfasst und veröffentlicht regelmäßig eine Kolumne auf www.sport1.de.