Fast schon beschämt nahm Emre Can die Auszeichnung zum „Player of the Match“ entgegen und wollte sie direkt an seinen Mitspieler Julian Brandt weiterreichen. „Mannschaft, nicht ich“, meinte der strahlende Kapitän von Borussia Dortmund kurz und knapp, ehe er sich dann mit der Trophäe ablichten ließ.
Cans neue Rolle ein Problem?
Doch es war an diesem Abend unbestritten: Can hat sich diese Auszeichnung redlich verdient. Und das nicht nur, weil er, als der Druck am höchsten war, die Nerven behielt.

Der verwandelte Strafstoß war zwar der Beginn der Wende, doch noch viel wichtiger: Can ging, wie schon in den vergangenen Wochen, als Leader voran.
BVB-Kapitän Can beweist Leaderqualitäten
„Emre war schon, bevor Serhou da war, die Nummer eins beim Schießen. Deswegen hat er sich auch getraut, jetzt nochmal zu schießen und hat auch gesagt, ‚Ich will ihn schießen‘ und deshalb passt das“, erklärte Karim Adeyemi die geänderte Reihenfolge der Schützen.
Cans Überzeugung gab der Mannschaft einen Schub. Defensiv stand der 31-Jährige beim 2:1-Sieg in Lille sattelfest, agierte fehlerlos und, wenn nötig, in Zweikämpfen auch mal rigoros an der Grenze des Erlaubten.
Und auch vor seinen Teamkollegen machte er nicht halt. So auch nicht vor Serhou Guirassy. Der BVB-Stürmer beschwerte sich in der Schlussphase mit weit ausgebreiteten Armen in Richtung Defensive. Vermutlich störte es ihn, dass er keine Bälle mehr bekam. Can ließ das nichts auf sich sitzen, brüllte „Serhou“ über den halben Platz und wies ihn mit erhobenem Zeigefinger zurecht. Ein Beweis: Cans Wort hat Gewicht.
Neue BVB-Rolle beflügelt Can
Dass er überhaupt wieder so eine Körpersprache an den Tag legt, hat sicherlich auch mit seinem gestiegenen Selbstvertrauen zu tun. So oft wurde Can in der Vergangenheit als Schuldiger für die Krise ausgemacht.
Es schien lange, als wäre die Kapitänsbinde eine Riesenbürde, unter dessen Druck er zusammenzubrechen drohe. „Ich sehe das schon, dass ich manchmal ungerecht behandelt werde“, gab er im September sichtlich angeknockt zu. Die Folge: Can duckte sich weg, das Selbstvertrauen war dahin, die Leistungen blieben unter den Erwartungen.
Can drohte als Kapitän aus der ersten Elf zu rutschen. Sein Stammplatz wackelte gewaltig. Bis zu dem Zeitpunkt, als Ex-BVB-Trainer Nuri Sahin ihn aufgrund eines Personalmangels in der Innenverteidigung aufstellte. „Mit ihm ist es leicht“, schwärmte Nico Schlotterbeck gleich zu Beginn von seinem Partner und bezeichnete Can als „brutal schnell und unverzichtbar“.
Auch Niko Kovac stärkte ihm von Beginn an den Rücken und beweist: Can ist bei ihm im Abwehrzentrum neben Schlotterbeck gesetzt. Diese neue Rolle scheint ihn zu beflügeln.
Schafft es Can zurück in die DFB-Elf?
Auch Bundestrainer Julian Nagelsmann dürfte in den vergangenen Wochen genau hingeguckt haben. Bei der Europameisterschaft nominierte der 37-Jährige Can für den erkrankten Aleksandar Pavlovic als defensiven Mittelfeldspieler überraschend nach.
Noch überraschender war, dass der Dortmunder am Ende sogar in vier von fünf Spielen zum Einsatz - gegen Spanien im Viertelfinale neben Toni Kroos sogar von Beginn an - kam.
Zuletzt verzichtete Nagelsmann allerdings – wohl aufgrund des Formlochs vor Weihnachten - auf Can. Eine erneute Berufung hätte er sich durch seine jüngst gezeigten Leistungen verdient. Doch genau hier könnte seine neue Rolle zum Problem werden. Denn im defensiven Mittelfeld überzeugte Can nicht.
Und in der DFB-Innenverteidigung war neben Jonathan Tah, Antonio Rüdiger, Nico Schlotterbeck und Robin Koch zuletzt kein Platz mehr. Die Tücke bei Can: Die Rolle, die ihm beim BVB zurück zu alter Stärker verholfen hat, könnte in Sachen Nationalmannschaft schwierig werden.
Entsprechend ist in den Nations-League-Spielen gegen Italien am 20. und 23. März weiterhin kein Platz für Can im DFB-Aufgebot. In der Defensive ist Yann Aurel Bisseck erstmals dabei, im Mittelfeld sind unter anderem Angelo Stiller, Leon Goretzka, Robert Andrich und Pascal Groß nominiert.
Auch in der Zukunft gilt: Einzig durch gute Leistungen im Verein kann sich Can für die Nationalmannschaft empfehlen.