Die Reise nach München für das Champions-League-Duell gegen den FC Bayern wird für einen Benfica-Profi etwas Besonderes. Die Rede ist von Renato Sanches, Bayerns einstigem Hoffnungsträger, um den es inzwischen ruhig geworden ist.
Das 35-Millionen-Missverständnis
Der mittlerweile 27-Jährige - 2016 im Alter von 18 Jahren für 35 Millionen Euro Ablöse an die Säbener Straße gewechselt - ist in diesem Sommer leihweise zu seinem Heimatverein nach Lissabon zurückgekehrt.
Bei seinem Stammklub Paris Saint-Germain kaum gebraucht, war er vergangenes Jahr bei der AS Rom untergekommen, bekam aber lediglich zwölf Einsätze. In dieser Saison spielt er bei Benfica, stand bisher sechsmal auf dem Platz, doch zu mehr als Kurzeinsätzen reichte es trotzdem nicht.
Sanches mit geringen Einsatzzeiten
Die ewige Frage also: Was ist aus dem einstigen Wunderkind geworden, dem einige Bayern-Stars 2019 bei seinem Abschied in Richtung Lille nachgetrauert hatten?
„Ich wünsche ihm alles Gute. Ich persönlich finde, dass er ein super Typ ist. Und ich finde es sehr schade, dass er nicht mehr da ist“, hatte Kapitän Manuel Neuer bei Sanches‘ Bayern-Abgang betont, nun trifft er zum ersten Mal seit dem Abschied auf Klub-Ebene auf seinen ehemaligen Mitspieler - sofern Sanches überhaupt eingesetzt wird.
Denn Einsatzzeit war schon zu Bayern-Zeiten sein größtes Problem. Als der 18-jährige Sanches zu Bayern kam, hießen seine Positionskonkurrenten Xabi Alonso, Thiago, Arturo Vidal und Joshua Kimmich.
Rummenigge selbstkritisch
„Wir sind glücklich, ihn trotz namhafter internationaler Konkurrenz verpflichtet zu haben“, hatte sich Karl-Heinz Rummenigge vor der EM 2016 gefreut und den Youngster im Anschluss wahrscheinlich mit ebenso großer Begeisterung verfolgt wie jeder Bayern-Fan.
Schließlich gewann Sanches mit der portugiesischen Nationalmannschaft die Europameisterschaft - und wurde anschließend als bester junger Spieler des Turniers ausgezeichnet.
Seine Debütsaison unter dem früheren Bayern-Coach Carlo Ancelotti begann ebenfalls gut. In vier der ersten sechs Spiele stand er in der Startelf, dann verlor der Italiener allmählich das Vertrauen in Sanches. Es wurde eine enttäuschende Debütsaison mit nur 905 Minuten Einsatzzeit (25 Einsätze).
Lange nach Sanches‘ Zeit in München zeigte sich Rummenigge zum ersten Mal selbstkritisch. „Ich glaube, wir haben ihn ein, zwei Jahre zu früh geholt“, sagte er 2021 zur Bild, erklärte allerdings auch die Umstände des Transfers: „Wir mussten ihn damals holen. Er war mit 18 Jahren plötzlich ein total gehypter Spieler in Europa. Wir haben 35 Millionen gezahlt, was damals viel Geld war. Er hat eine tolle Europameisterschaft gespielt, ist zum ‚Golden Boy‘ gewählt worden.“
Sanches‘ Horror-Leihe
Nach seiner enttäuschenden Debütsaison folgte für den talentierten Mittelfeldspieler die Leihe in die Premier League zu Swansea, wo der damals 19-Jährige eine katastrophale Zeit erlebte. Oberschenkelprobleme warfen den Portugiesen immer wieder zurück, aber auch auf dem Platz funktionierte fast nichts.
Die englische Sun schrieb von einer „Horror-Leihe“ für den 20-Jährigen, der Guardian nannte den Portugiesen einen „spektakulären Flop“. „In England geht Renato kaputt“, hatte sein Landsmann Fernando Meira bei SPORT1 damals erklärt.
Wie Rummenigge Jahre später offenbarte, hätte man Sanches gerne kurz nach Leihbeginn zurück nach München geholt, als Jupp Heynckes auf Ancelotti folgte.
„Als Jupp Heynckes zurückkam als Nachfolger von Carlo Ancelotti, wollte er diesen Spieler haben. Jupp sagte: ‚Diesen Spieler möchte ich zurück haben. Diesen Spieler möchte ich auf das Niveau bringen, auf das er gehört‘“, so Rummenigge, der angab, dass der Plan ausschließlich „aufgrund technischer Regularien der FIFA“ scheiterte.
Wütender Sanches-Auftritt
Nach seiner Zeit in Swansea kam Sanches zurück zu den Bayern, wo inzwischen Niko Kovac der neue Trainer war. Doch unter dem Kroaten erlebte der Portugiese seine schlimmste Zeit - und schmorte auf der Bank.
Kurz bevor er im August 2019 nach Lille floh, hatte er bei einem wutentbrannten Auftritt in der Mixed Zone mit Tränen in den Augen geradezu um einen Wechsel für mehr Spielzeit gebettelt.
„Die Situation ist nicht gut für mich - weil es zum zweiten Mal in Folge dasselbe ist bei mir. Ich habe den Klub erneut gebeten, zu einem anderen Verein wechseln zu dürfen. Doch sie haben mich nicht gehen lassen“, betonte Sanches nach seinem Kurzeinsatz gegen Hertha. „Fünf Minuten wie heute, das ist nicht genug für mich.“
Damals reagierte Rummenigge wütend: „Es ist nicht angebracht, wenn man nach dem ersten oder zweiten Spiel gleich erbost davonläuft. Er wird noch seine Chancen kriegen, wir sind alle von ihm überzeugt.“
Hätte Sanches unter Heynckes funktioniert?
Doch es kam anders: Nicht einmal eine Woche später ließen ihn die Bayern ziehen, allerdings nicht auf Leih-Basis. Für eine Ablöse von 20 Millionen Euro wechselte das einstige Wunderkind nach Frankreich zu Lille und von dort zu PSG.
Jahre später zeigte sich Rummenigge nachdenklich, was aus dem talentierten Mittelfeldspieler hätte werden können. „Ich glaube, Jupp Heynckes und Renato Sanches wäre ein spannendes Projekt gewesen. Ich glaube, mit Jupp würde er möglicherweise noch in München spielen.“