Ich mache mich gleich mal unbeliebt: Ja, ich gönne Manchester City den Einzug ins Finale der Champions League. Obwohl ich eigentlich Real Madrid lieber mag. Und ich wünsche den City-Fans im Endspiel sogar den Sieg. Es geht eh nur gegen Inter, die historische Maurertruppe, die nicht mal gegen Bayern gewinnt.
Ich wünsche ManCity den Sieg
So, jetzt ist es raus.
Mir ist klar, dass das politisch nicht korrekt ist. City ist böse. Hat mehr Geld für Spieler ausgegeben als Paris (dabei kommen die alle aus Dortmund). City verstößt ständig gegen Financial Fairplay. City ist obendrein inhabergesteuert. Mindestens 50+1 wird nur eingehalten, was die jährliche Punktezahl angeht.
Und jetzt tobt das Netz wegen City. Als echter Fußball-Fan, sagen viele Fußball-Fans, darf man diesen Klub nicht mögen. Ist das so?
VAE in Deutschland unbeliebter als der VAR
Ich verstehe es ja. Der Klub gehört einem Scheich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), so viel zum Thema Tradition. Das wäre bei uns nicht möglich, also Hertha BSC vorsichtshalber ausgenommen, diese Kolumne soll ja nicht gleich übermorgen überholt sein.
Nein, VAE ist in Deutschland noch unbeliebter als VAR.
Den Inhaber von City mag irgendwie auch keiner. Er ist ja sowieso kaum mal im Stadion. Rudi Völler würde sagen: Der hat den Fußball nie geliebt. Gekauft hat er ihn trotzdem.
Mansour Bin Zayed Al Nahyan ist der Klaus-Michael Kühne Englands, aber mit mehr Geld und weniger Menschenrechten. Die meisten Fans hassen ihn. Fehlt eigentlich nur noch, dass er Red Bull trinkt.
Hat man jemals eine Mannschaft so schön spielen sehen?
Nein, man darf nicht für City sein! Schreien alle.
Seid ihr denn am Mittwoch nicht vor dem Fernseher gesessen? Hat man jemals eine Mannschaft so schön spielen sehen? Ich jedenfalls konnte einfach nicht weggucken. Wie ich muss sich damals Odysseus gefühlt haben, als er an den Sirenen vorbeisegelte. Odysseus löste das Problem mit Wachs in den Ohren, mir hat das nicht geholfen.
Meine Sirenen heißen Kevin de Bruyne, der unglaubliche Roadrunner, der immer aussieht, als hätte ihn die Lehrerin gerade beim Spicken erwischt, oder Kapitän Ilkay Gündogan, der wie kein anderer ein Spiel lesen und lenken kann (wem der Name bekannt vorkommt: Sein eher unbegabter Zwillingsbruder kickt manchmal für Deutschland).
Ich könnte ewig weiter aufzählen. Erling Haaland, die Tormaschine. Der unfassbare Jack Grealish. Dieses Talent, diese Waden!
Guardiola - der Sokrates des Fußballs
Irgendjemand hat kürzlich gesagt: Wenn City in Ballbesitz ist, dann denkt man, 13 Feldspieler stünden auf dem Platz. Diese Mannschaft lässt den Ball laufen wie keine vor ihr. Real Madrid hat es hautnah miterlebt – 1:5 in den beiden Halbfinalspielen.
Und Anführer des Ganzen ist Spielphilosoph Pep Guardiola. Der Sokrates des Fußballs. (Nein, nicht der aus Brasilien!)
Frage: Wie soll man den Fußball lieben, aber nicht dem Zauber von Manchester City erliegen? Ich krieg den Spagat nicht hin.
Oder soll ich mir vielleicht im Finale die Augen zuhalten?
Alex Steudel ist freier Journalist. Er war Bayern- und Nationalmannschaftsreporter sowie Chefredakteur von Sport Bild. In seiner Kolumne für SPORT1 widmet er sich auf nicht immer ganz ernstgemeinte Weise aktuellen Themen. Steudel-Kolumnen gibt es auch regelmäßig im kostenlosen Fußball-Newsletter Fever Pit‘ch von SPORT1-Chefredakteur Pit Gottschalk. Zur Anmeldung geht‘s hier: www.feverpitch.de